Lange Zeit war Syrien international isoliert, doch die Europäische Union versucht seit kurzem den arabischen Staat bei ihrer Friedensmission im Nahen Osten mit einzubinden. Die Türkei fungiert dabei als Vermittler bei den Gesprächen zwischen Syrien und dem Libanon und die Türkei ist außerdem einer der bevorzugten Handelspartner der neu erstarkenden syrischen Privatwirtschaft. Die armenische Gemeinschaft in Syrien hält allerdings an ihrem alten türkischen Feindbild fest.
Die Radikalität der Diaspora: Ein Bericht aus Aleppo von Antje Bauer
"Es gibt in der Türkei Leute, die über den Genozid reden. Das ist ein gutes Zeichen. Aber da geht es nicht um die Armenier, sondern das ist Politik: Sie wollen Europa zeigen, dass sie sich demokratisiert haben.
Wenn man mit den 20-30er Jahren vergleicht, der Zeit nach dem Genozid, dann hat sich viel geändert. Damals hieß es, nichts Derartiges sei geschehen, jetzt hört man eher: Ja, stimmt, da ist was vorgefallen, lass uns sehen, was es war. Die alte Haltung weicht immer mehr auf, das ist unsere Hoffnung.
Türken sind Türken. Wahrscheinlich gibt es auch dort ein paar gute Leute, wie überall. Aber der Nationalcharakter bleibt immer derselbe."
Seit fast hundert Jahren wird in der Türkei der Völkermord an den Armeniern geleugnet. Noch immer riskiert jeder eine lange Haftstrafe, der offen von einem Genozid spricht. Dennoch bahnt sich seit einiger Zeit ein Wandel an: Immer offener wird darüber diskutiert, ob die Ermordung von eineinhalb Millionen Armeniern in den Jahren 1915 bis 1918 nicht doch etwas anderes war als reine Selbstverteidigung des Osmanischen Reiches, wie es in der Türkei bislang dargestellt wird. Ein Zeichen des Tauwetters war im Sommer der Besuch des türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül in der armenischen Hauptstadt Eriwan, der erste Besuch eines türkischen Staatschefs in Armenien.
Die Armenier, die südlich der Türkei, in Syrien, leben, betrachten diese Veränderungen jedoch mit großer Skepsis. Die Mehrzahl der 100.000 syrischen Armenier sind Nachkommen von Überlebenden des Genozids. Ihre Großeltern oder Urgroßeltern sind von türkischen Truppen in die nordsyrische Wüste von Deir ez-Zor getrieben worden und haben sich von dort nach Aleppo durchgeschlagen. Das ist auch der Grund, warum die meisten syrischen Armenier heute in Aleppo wohnen.
Die 91-jährige Osana Tokmakjian, die in einem armenischen Altersheim inِ Aleppo lebt, gehört zu den wenigen, die noch eigene Erinnerungen an die Ereignisse haben.
"1917 wurde meine Mutter mit ihren sechs Kindern von den Türken nach Syrien getrieben. Vier von uns Kindern kamen in ein Waisenhaus im Libanon, zwei blieben mit meiner Mutter in Aleppo. Ich war wohl 3 Jahre im Libanon, dann kam ich nach Aleppo. Wir hatten nichts zu essen und nichts anzuziehen, es gab gar nichts. "
Die Erfahrungen, die die Armenier während der Todesmärsche in Richtung Syrien gemacht haben, sind bei ihren Nachkommen fast hundert Jahre später noch immer sehr präsent. Nairy Zakoyan arbeitet in einer Schule in Aleppo.
"Mein Urgroßvater hat den Genozid überlebt, er hat meinem Großvater erzählt, was passiert ist, und mein Großvater meinem Vater und mein Vater mir. Er erzählte, dass die türkischen Soldaten ihnen verboten haben, Wasser zu trinken und zu essen, dass sie immer weiterlaufen mussten, dass nur die überlebt haben, die sehr stark waren und gesund."
Freilich bleibt es nicht allein den einzelnen Familien überlassen, die Erinnerung an den Genozid wachzuhalten - die gesamte armenische Gemeinschaft arbeitet daran, und das will was heißen.
Von klein auf sind die Armenier fast nur unter sich: Fast alle besuchen armenische Schulen; erst wenn sie auf die Universität gehen, bekommen sie nahen Kontakt mit muslimischen Syrern. Aber auch als Erwachsene leben sie weitgehend in einer Parallelgesellschaft: In ihren Stadtvierteln sind sie in der Mehrheit, in ihrer Freizeit wie auch bei der Arbeit bleiben sie nach Möglichkeit unter sich. Und dass eine Armenierin etwa einen Muslim heiraten könnte, ist sowieso ausgeschlossen.
Zwar gehören die Armenier drei verschiedenen christlichen Kirchen an, aber ihre ausgeprägte Religiosität ist ihnen allen gemein. Deshalb sind es vor allem die Geistlichen, die den Zusammenhalt der Gemeinschaft gewährleisten und dafür sorgen, dass die Empörung über den Genozid nicht abklingt. Der protestantische Pastor Serop Megerditchian organisiert Reisen mit Jugendgruppen nach Armenien und in die Türkei, genauer: an die Orte in der Türkei, in denen früher Armenier gelebt haben.
"Zum einen besuchen wir Armenien, Eriwan und so, und zum anderen das besetzte Land: Marasch, Antep, Kilis, und die armenisch besiedelten Orte in Istanbul. Warum tun wir das? Weil wir zu unseren Vorfahren gehören, es ist eine Art historische Kette, dem können wir nicht entgehen."
Der Pastor ist nicht der Einzige, der die ehemals armenisch besiedelten Gebiete in der Türkei als besetztes Land ansieht. Viele Armenier hier in Aleppo haben die Vorstellung, dass die Türkei zuerst den Völkermord anerkennen und in einem zweiten Schritt Gebiete an die Armenier abtreten müsste, die dann dem Staat Armenien zugeschlagen würden. Geflissentlich übersehen die syrischen Armenier dabei, dass es im Osmanischen Reich kein geschlossenes Gebiet namens Armenien gab, sondern vor allem gemischt besiedelte Gebiete, in denen die Armenier mit Arabern, Kurden und Türken zusammenlebten. Vor allem aber verschließen sie die Augen vor der Tatsache, dass seither 100 Jahre vergangen sind und das Rad der Geschichte nicht ohne weiteres zurückzudrehen ist, ohne dem alten Unrecht ein neues hinzuzufügen. Die Käseglocke, unter der die jungen Armenier aufwachsen, befördert eine gewisse Erbarmungslosigkeit, wie Houshik Ghazariyan, eine Studentin aus Aleppo, demonstriert.
"Jemand muss für dieses Verbrechen bestraft werden. Und wenn die Urgroßeltern der heutigen Türken straflos ausgegangen sind, dann kann das nicht für die Türken heute gelten. Es wird eine Generation geben, die den Preis dafür bezahlt, das ist Fakt."
Das Land, in dem ihren Vorfahren so viel Unrecht geschehen ist, zieht die Armenier noch immer in Bann. Viele haben von ihren Großeltern Türkisch gelernt, viele gucken türkisches Fernsehen und verfolgen die Debatten über das Armenierthema. Manche fahren in die Türkei und machen dort ein Wechselbad der Gefühle durch. Jirair Reisian, Lehrer an einer Schule von Aleppo, war Anfang der 70-er Jahre mal dort.
"Istanbul ist für mich das Zentrum der armenischen kulturellen Wiedergeburt des 19./20. Jahrhunderts. Es ist auch durch die byzantinischen Stätten und Museen eine interessante Stadt und eine schöne Stadt, aber ich war dort während der Invasion Zyperns. Und ich habe gesehen, wie Türken, die sehr nett, intellektuell und kultiviert waren, sich von einem Moment zum anderen verändert haben. Deshalb vertraue ich nicht darauf, dass sich der Charakter der Türken verändert hat."
Die Diaspora befördert radikale Haltungen. Doch unter den Jüngeren gibt es auch besonnene Stimmen, wie etwa die des Jurastudenten Kevork Hagopdjian.
"Wir leben zusammen und sind Nachbarn, und deshalb müssen wir mit ihnen reden. Aber es gibt eine rote Linie, und das ist die Anerkennung des armenischen Genozids. Das ist die Voraussetzung, um sich zusammenzusetzen und mit der Türkei zu reden."
Die Radikalität der Diaspora: Ein Bericht aus Aleppo von Antje Bauer
"Es gibt in der Türkei Leute, die über den Genozid reden. Das ist ein gutes Zeichen. Aber da geht es nicht um die Armenier, sondern das ist Politik: Sie wollen Europa zeigen, dass sie sich demokratisiert haben.
Wenn man mit den 20-30er Jahren vergleicht, der Zeit nach dem Genozid, dann hat sich viel geändert. Damals hieß es, nichts Derartiges sei geschehen, jetzt hört man eher: Ja, stimmt, da ist was vorgefallen, lass uns sehen, was es war. Die alte Haltung weicht immer mehr auf, das ist unsere Hoffnung.
Türken sind Türken. Wahrscheinlich gibt es auch dort ein paar gute Leute, wie überall. Aber der Nationalcharakter bleibt immer derselbe."
Seit fast hundert Jahren wird in der Türkei der Völkermord an den Armeniern geleugnet. Noch immer riskiert jeder eine lange Haftstrafe, der offen von einem Genozid spricht. Dennoch bahnt sich seit einiger Zeit ein Wandel an: Immer offener wird darüber diskutiert, ob die Ermordung von eineinhalb Millionen Armeniern in den Jahren 1915 bis 1918 nicht doch etwas anderes war als reine Selbstverteidigung des Osmanischen Reiches, wie es in der Türkei bislang dargestellt wird. Ein Zeichen des Tauwetters war im Sommer der Besuch des türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül in der armenischen Hauptstadt Eriwan, der erste Besuch eines türkischen Staatschefs in Armenien.
Die Armenier, die südlich der Türkei, in Syrien, leben, betrachten diese Veränderungen jedoch mit großer Skepsis. Die Mehrzahl der 100.000 syrischen Armenier sind Nachkommen von Überlebenden des Genozids. Ihre Großeltern oder Urgroßeltern sind von türkischen Truppen in die nordsyrische Wüste von Deir ez-Zor getrieben worden und haben sich von dort nach Aleppo durchgeschlagen. Das ist auch der Grund, warum die meisten syrischen Armenier heute in Aleppo wohnen.
Die 91-jährige Osana Tokmakjian, die in einem armenischen Altersheim inِ Aleppo lebt, gehört zu den wenigen, die noch eigene Erinnerungen an die Ereignisse haben.
"1917 wurde meine Mutter mit ihren sechs Kindern von den Türken nach Syrien getrieben. Vier von uns Kindern kamen in ein Waisenhaus im Libanon, zwei blieben mit meiner Mutter in Aleppo. Ich war wohl 3 Jahre im Libanon, dann kam ich nach Aleppo. Wir hatten nichts zu essen und nichts anzuziehen, es gab gar nichts. "
Die Erfahrungen, die die Armenier während der Todesmärsche in Richtung Syrien gemacht haben, sind bei ihren Nachkommen fast hundert Jahre später noch immer sehr präsent. Nairy Zakoyan arbeitet in einer Schule in Aleppo.
"Mein Urgroßvater hat den Genozid überlebt, er hat meinem Großvater erzählt, was passiert ist, und mein Großvater meinem Vater und mein Vater mir. Er erzählte, dass die türkischen Soldaten ihnen verboten haben, Wasser zu trinken und zu essen, dass sie immer weiterlaufen mussten, dass nur die überlebt haben, die sehr stark waren und gesund."
Freilich bleibt es nicht allein den einzelnen Familien überlassen, die Erinnerung an den Genozid wachzuhalten - die gesamte armenische Gemeinschaft arbeitet daran, und das will was heißen.
Von klein auf sind die Armenier fast nur unter sich: Fast alle besuchen armenische Schulen; erst wenn sie auf die Universität gehen, bekommen sie nahen Kontakt mit muslimischen Syrern. Aber auch als Erwachsene leben sie weitgehend in einer Parallelgesellschaft: In ihren Stadtvierteln sind sie in der Mehrheit, in ihrer Freizeit wie auch bei der Arbeit bleiben sie nach Möglichkeit unter sich. Und dass eine Armenierin etwa einen Muslim heiraten könnte, ist sowieso ausgeschlossen.
Zwar gehören die Armenier drei verschiedenen christlichen Kirchen an, aber ihre ausgeprägte Religiosität ist ihnen allen gemein. Deshalb sind es vor allem die Geistlichen, die den Zusammenhalt der Gemeinschaft gewährleisten und dafür sorgen, dass die Empörung über den Genozid nicht abklingt. Der protestantische Pastor Serop Megerditchian organisiert Reisen mit Jugendgruppen nach Armenien und in die Türkei, genauer: an die Orte in der Türkei, in denen früher Armenier gelebt haben.
"Zum einen besuchen wir Armenien, Eriwan und so, und zum anderen das besetzte Land: Marasch, Antep, Kilis, und die armenisch besiedelten Orte in Istanbul. Warum tun wir das? Weil wir zu unseren Vorfahren gehören, es ist eine Art historische Kette, dem können wir nicht entgehen."
Der Pastor ist nicht der Einzige, der die ehemals armenisch besiedelten Gebiete in der Türkei als besetztes Land ansieht. Viele Armenier hier in Aleppo haben die Vorstellung, dass die Türkei zuerst den Völkermord anerkennen und in einem zweiten Schritt Gebiete an die Armenier abtreten müsste, die dann dem Staat Armenien zugeschlagen würden. Geflissentlich übersehen die syrischen Armenier dabei, dass es im Osmanischen Reich kein geschlossenes Gebiet namens Armenien gab, sondern vor allem gemischt besiedelte Gebiete, in denen die Armenier mit Arabern, Kurden und Türken zusammenlebten. Vor allem aber verschließen sie die Augen vor der Tatsache, dass seither 100 Jahre vergangen sind und das Rad der Geschichte nicht ohne weiteres zurückzudrehen ist, ohne dem alten Unrecht ein neues hinzuzufügen. Die Käseglocke, unter der die jungen Armenier aufwachsen, befördert eine gewisse Erbarmungslosigkeit, wie Houshik Ghazariyan, eine Studentin aus Aleppo, demonstriert.
"Jemand muss für dieses Verbrechen bestraft werden. Und wenn die Urgroßeltern der heutigen Türken straflos ausgegangen sind, dann kann das nicht für die Türken heute gelten. Es wird eine Generation geben, die den Preis dafür bezahlt, das ist Fakt."
Das Land, in dem ihren Vorfahren so viel Unrecht geschehen ist, zieht die Armenier noch immer in Bann. Viele haben von ihren Großeltern Türkisch gelernt, viele gucken türkisches Fernsehen und verfolgen die Debatten über das Armenierthema. Manche fahren in die Türkei und machen dort ein Wechselbad der Gefühle durch. Jirair Reisian, Lehrer an einer Schule von Aleppo, war Anfang der 70-er Jahre mal dort.
"Istanbul ist für mich das Zentrum der armenischen kulturellen Wiedergeburt des 19./20. Jahrhunderts. Es ist auch durch die byzantinischen Stätten und Museen eine interessante Stadt und eine schöne Stadt, aber ich war dort während der Invasion Zyperns. Und ich habe gesehen, wie Türken, die sehr nett, intellektuell und kultiviert waren, sich von einem Moment zum anderen verändert haben. Deshalb vertraue ich nicht darauf, dass sich der Charakter der Türken verändert hat."
Die Diaspora befördert radikale Haltungen. Doch unter den Jüngeren gibt es auch besonnene Stimmen, wie etwa die des Jurastudenten Kevork Hagopdjian.
"Wir leben zusammen und sind Nachbarn, und deshalb müssen wir mit ihnen reden. Aber es gibt eine rote Linie, und das ist die Anerkennung des armenischen Genozids. Das ist die Voraussetzung, um sich zusammenzusetzen und mit der Türkei zu reden."