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Die Radio-Wutbürger

WDR3 will sein Radioprogramm reformieren. Und das ruft Protest hervor. Die Gegner der Reform befürchten eine Verflachung des Programms.

Von Adalbert Siniawski | 12.05.2012
    Etwa 700 Besucher strömen in den Saal des Kölner Schauspielhauses – darunter viele Journalisten, einige WDR-Mitarbeiter, vor allem aber aufgebrachte Hörer.

    "Es hat da Reformen gegeben, die haben alles verschlimmbessert, das ist schon eine ganz lange Spur. Die guten Sendungen sind Stück für Stück abgebaut worden und das ist ein Begräbnis erster Klasse. Es gibt drei, vier Sendungen, die noch gut sind, die erhaltenswert sind. Nee, es ist ein Trauerspiel."

    "Mich hat vor allem erschreckt, wie wenig offenbar innerhalb des Hauses kommuniziert wird über die Programmveränderungen, die geplant sind. Das sind doch Menschen, die sich für's Programm engagieren und die auch Punkte vorbringen, die durchaus Sinn machen, also zum Beispiel, dass es sinnvoll ist, auf verschiedenen Programmwellen des Senders WDR ähnliche Themen zu behandeln, weil es immer einen unterschiedlichen Blickwinkel gibt."

    "Und wenn das verflacht wird – wobei noch keiner sagen kann, in welche Richtung das gehen soll – dann ist das natürlich höchst bedenklich, weil es im Grunde keinen Sender mehr derartiger Formate gibt."

    "Es darf nicht so sein, dass man sich alleine oder vorzugsweise an der Einschaltquote orientiert. Das ist zu wenig, dafür haben wir andere, aber nicht die Öffentlich-Rechtlichen, das ist ja das letzte, was noch bleibt in dem Fall."

    Bei dieser nicht-repräsentativen Umfrage unter den Besuchern finden sich ausschließlich Reformgegner – vor allem Lehrer und Kulturschaffende aus der Generation 60plus, aber auch einige jüngere. Den geplanten Umbau bei WDR3 sehen viele als Symptom für die allgemeine Krise der Kultureinrichtungen.

    "Es ist ja nicht nur der Kultursender, es ist der gesamte Komplex eigentlich, mit den Orchestern geht's weiter, da weiß ich auch: Es wird gestrichen, gestrichen, gestrichen. Das ist sehr traurig, dass wir die Kultur, die über Jahrhunderte gewachsen ist, mit Füßen sage ich mal treten?! Kann man so sagen, oder?"


    Argumente, die genauso auf dem Podium fallen. In den fünfköpfigen Chor der Gegner stimmt Richard David Precht ein. Der Publizist, Philosoph und ehemalige Moderator einer eingestellten WDR3-Sendung greift den Hörfunkdirektor des Westdeutschen Rundfunks, Wolfgang Schmitz, frontal an:

    "WDR3 hat nur dann eine Zukunft, wenn es gelingt, auch an die Jugendlichen und Jüngeren heranzukommen. Dazu gehört aber nicht, dass man sagt, man kann jungen Leuten keine Wortbeiträge von fünf Minuten mehr zumuten und muss sie auf drei Minuten kürzen, sondern, dass man junge Leute am Programm beteiligt. Das heißt zunächst einmal, dass man als Reformer, als Chefreformer, nicht einen Hörfunkdirektor hat, der bereits 65 ist und nicht die Sprache der jungen Leute spricht."

    Der sich in der Runde immer wieder verteidigen muss:

    "Ich bin jetzt ein bisschen unruhig, weil ich mich grundsätzlich frage, ob ich hier überhaupt diskutieren darf, weil Herr Precht mich hier schon eigentlich in Rente schicken wollte. Aber ich versuche, mit dem Rest meines alternden Verstandes ihnen das mal eben zu erklären. Wir wollen ohne jede Quotenvorgabe, die gibt es für WDR3 nicht, aber doch versuchen, mit dem Angebot, was wir machen, möglichst viele zu erreichen. Und wenn wir merken, dass wir Teile der Kulturhörerinnen und -hörer in der Gefahr sind, zu verlieren, dann müssen wir uns bewegen. Und ich finde, ein Wesen von Kultur ist auch Wandel, Veränderung und nach vorne gehen, Neues ausprobieren."

    Konkret: WDR5 gehört das Wort und WDR3 die Musik. Deswegen sollen bei der Kulturwelle dem Vernehmen nach unter anderem die politischen "Journale" wegfallen, die Sendeplätze der Literatur- und Musikfeatures zusammengestrichen und die kulturellen "Resonanzen" auf WDR5-Beiträge zurückgreifen. Mit den frei werdenden Mitteln will Schmitz neue Projekte finanzieren: unter anderem ein Kulturmagazin am Sonntag, eine politische Tageszusammenfassung und ein besseres Internetangebot. Wo ist ein handfestes Strategiepapier, fragen die Radioretter.

    Wolfgang Schmitz: "Die Konzepte liegen natürlich auf dem Tisch, und in dem Zusammenhang will ich darauf hinweisen ..."

    Hans-Heinrich Große-Brockhoff: "Wo? Auf dem Tisch des Rundfunkrats!"

    Schmitz: "Der Rundfunkrat ist ja der legitimierte Vertreter der Öffentlichkeit. Das erklärt in Teilen, warum wir uns in der öffentlichen Diskussion bisher zurückgehalten haben, weil wir der Funktion und dem Auftrag des Rundfunksrats nicht in die Quere kommen wollen ... "

    Große-Brockhoff: "Da wäre ich aber gar nicht so zimperlich!"

    Schmitz: "Leute, da könnt ihr ja gerne lachen und pfeifen ..."

    Ob die Geschäftsführung wird lachen können, das wird sich wohl am 30. Mai zeigen – dann will der WDR-Rundfunkrat zum Reformkonzept Stellung beziehen.