Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


"Die Räuber" auf brasilianisch

"Bestie Mensch" haben die 14. Internationalen Schillertage ihr diesjähriges Programm überschrieben. Dort waren unter anderem drei Auftragswerke aus Südamerika zu sehen. "Los Bandidos" - "Die Räuber" brachte der brasilianische Regisseur Zé Celso auf die Bühne, inspiriert von der Gewalt auf den Straßen unterm Zuckerhut.

Von Christian Gampert | 23.06.2007
    "Das Theater glich einem Irrenhause", berichtete ein Zeuge von der Uraufführung von Schillers "Räubern" 1782 in Mannheim, "rollende Augen, geballte Fäuste, heisere Aufschreie im Zuschauerraum." Einem Irrenhause gleicht auch das bundesdeutsche Theater ja öfter, wenngleich das Publikum immer weniger die Fäuste ballt. Ist wahrscheinlich zu anstrengend. Dafür gibt es rollende Augen und heisere Aufschreie jetzt auf der Bühne - zumindest, wenn der brasilianische Regisseur Zé Celso sein "Teatro Oficina" ins Kampfgetümmel schickt. Die spielen mit einem solchen Überdruck, dass der Räuberhauptmann Karl Moor (oder vielmehr dessen Darsteller) sich am Abend vor der Mannheimer Welturaufführung den Fuß brach. Er spielte dann trotzdem, mit Krücken.

    Was will uns das sagen? Nun, dass das Theater des Zé Celso zwar durchaus, wie vorher angepriesen, dionysisch und wild, aber geistig etwas fußlahm ist. Alles wird hier zusammengeschmissen: lateinamerikanische Folklore und deutscher Sturm und Drang, Tele-Novela und Schiller, Tagespolitik und griechischer Mythos, katholische Kirche und Trotzki, Salsa und Ode an die Freude, es wird schon irgendwie passen, auch wenn die Aufführung fast fünf Stunden dauert und das Publikum in den Sielen hängt. Nur am Anfang, da zieht man relativ beschwingt in die Arena ein.

    Zé Celsos Räuber-Version hat einen recht privaten Hintergrund: seit Jahren versucht ein Medienmogul, das Oficina-Theater aus seiner Spielstätte in Sao Paulo zu vertreiben und dort ein Einkaufszentrum zu bauen. Dieser brasilianische Berlusconi ist quasi des Theater-Regisseurs böser Bruder, und so erzählt Zé Celso nun die Geschichte von Karl und Franz Moor als Telenovela, als Fortsetzungs-Bacchanal und -Oper, in der die Räuber als eine Art Guerilla der Globalisierungsverlierer, dann aber auch als skrupellose Anschlags-Gang agieren. Alles alles fließt ineinander, Musik und sehr körperbetontes Spiel und Film und Fellini-artige Absurditäten; der Schlagzeuger gibt den Spiegelberg, die Amalia wird zur Germania, zwischendrin landet man bei Hektor und Achilles, beim Papst und der SS, und auf den eher fassungslosen Europäer wirkt dieses aufgeblähte Gesamtkunstwerk wie eine jener synkretistischen Religionen, die alte Voodoo-Kulte und Zauber-Rituale in etablierte (auch theatrale!) Gottesanschauungen integrieren.

    Natürlich ist Schiller nur Vorwand für das alles. Aber die Schillertage sind eben ein "produzierendes" Festival, das heißt: sie kaufen nicht nur die besten Inszenierungen ein (Nicolas Stemanns "Ulrike Maria Stuart"-RAF-Trashpop war ein Publikumsrenner), sondern sie vergeben auch Stückaufträge, diesmal insgesamt drei nach Südamerika - und einen an den Postexpressionisten Albert Ostermaier, der gleich zu Beginn des Festivals Schillers "Verbrecher aus verlorener Ehre" zum Staatsfeind Nr.1 aufblies, frei nach Foucault und mit freundlicher Hilfe des französischen Film Noir und dazugehöriger Regenmäntel. Regisseur Burkhard C. Kosminski geizte nicht mit Stammheim-Anspielungen, aber die Inszenierung versackte in Ödnis und Ostermaiers lyrischem Kitsch.

    Sein Stück sei die Übertragung eines Schiller-Themas auf chilenische Verhältnisse, sagt der Regisseur Luis Ureta. Aber seine "Versuche über die Schönheit" boten dann nur das übliche Schnipsel-Theater: Schiller-Briefe über die Sprache als Rettungsanker werden flugs umgepolt zu Veitstänzen zur Häßlichkeit; Watteau, "Desperate Housewifes", van Goghs Ohr-Operation, Models, Platon, Prometheus, Erdbeben und dergleichen spielen eine gewisse Rolle auf einem chilenischen Flughafen, der eigentlich eine Baustelle ist, und insgesamt bleibt der Eindruck, dass hier vier Personen einen Autor suchen. Kein Wunder, dass Ureta auch schon mal Texte von René Pollesch inszenieren durfte.

    Konsequenten, allerdings lustvollen Trash produzierten die Autoren von "Drama Köln", die jeden zweiten Abend eine Schiller-Soap schrieben und von wechselnden Regisseuren aufführen ließen. Die wild in Klischees rudernden Folgen präsentierten zum Teil vielversprechende, improvisationsfähige Schauspieler, stießen uns aber mit der Nase in die trübe Erkenntnis, dass vieles im deutschen Theater derzeit nur postmodernes Schülertheater ist. Das südamerikanische Theater ist allerdings auch nicht viel weiter.