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Die Räuberbraut

"Männerromane handeln von Männern. Frauenromane handeln ebenfalls von Männern, aber unter einem anderen Gesichtspunkt. Es gibt Männerromane, in denen keine Frau vorkommt, ausgenommen vielleicht die Zimmerwirtin oder die Stute, aber es gibt keinen Frauenroman, in dem keine Männer vorkommen. Frauen schreiben gewöhnlich keine Romane, wie sie von Männern bevorzugt werden, aber Männer schreiben bekanntlich Romane, wie sie von Frauen bevorzugt werden. Es gibt Leute, die das seltsam finden."

Denis Scheck |
    Zu diesen Leuten zählt Margaret Atwood. Die Frage nach den Geschlechterrollen in Literatur und Wirklichkeit, das ist ein Leitmotiv ihres literarischen Werks - ein Werk, das inzwischen zwölf Gedichtbände umfaßt, mehrere Sammlungen von Erzählungen und Essays sowie acht Romane.

    Margaret Atwood, das ist Kanadas berühmteste Schriftstellerin, die einzige von Weltruhm, übersetzt in mehr als zwanzig Sprachen. Auf der Liste der Exportschlager ihres Heimatlandes komme sie gleich hinter Whisky und Ahornsirup, merkt sie mit typischer Selbstironie dazu an. Margaret Atwood, das ist aber auch das literarische Multitalent - als scharfzüngige Kritikerin ebenso renommiert wie gefürchtet, als Wissenschaftlerin bekannt für ein Standardwerk zur Literatur Kanadas, als erstaunlich produktive Autorin in allen Sätteln gerecht und dabei so unverwechselbar, daß im englischen Sprachraum schon das Adjektiv "Atwoodian" geprägt wurde. "Atwoodian", damit ist der besondere Blick dieser Autorin gemeint, ihr Gespür für die versteckten Ironien des alltäglichen Geschlechterkampfs und ihr Vermögen, diesen sprachlich unverwechselbaren Ausdruck zu verleihen.

    Margaret Atwood wurde 1939 in Ottowa geboren und verbrachte ihre ersten sechs Lebensjahre in jenem Teil Kanadas, der ebenso poetisch wie realistisch "The Wilderness" genannt wird: ihr Vater, ein Entomologe, gehörte zu einem Forschungsteam, das am Nordufer des Lake Superior Flora und Fauna der kanadischen Wildnis untersuchte. Auf einer Lesereise durch Deutschland, wo sie ihren neuen Roman "Die Räuberbraut" vorstellt, erzählt mir Margaret Atwood über ihre Kindheit: "It was very romantic. Or let's say that this is the image that all Europeans have of how Canadians grow up but very few of them actually do grow up that way. So you can consider me a mythological being.”

    Ja, ihre Kindheit sei sehr romantisch gewesen. Sie habe genau jener Klischeevorstellung entsprochen, die in den Köpfen vieler Europäer von Kanada herumspuke. Insofern könne man sie eine Sagengestalt nennen, denn im Unterschied zu den allermeisten Kanadiern habe sie tatsächlich einmal so naturverbunden gelebt.

    Da liegt es nahe, in der Einsamkeit dieses von jeder Zivilisation abgeschnittenen Kindheitsparadieses die Erklärung für Margaret Atwoods Lust am Geschichtenerzählen zu suchen. Doch davon will sie nichts wissen. Das sei Unsinn, schließlich gebe es genug Schriftsteller, die in der Stadt mit Radio und Fernsehen aufgewachsen seien und die ebenfalls Geschichten erzählten. Für solche Generalisierungen hat sie ebensowenig übrig wie für Fragen, die sie zu einer Auslegung der eigenen Texte bewegen wollen: "Ich mag es nicht sonderlich, meine eigenen Bücher auszulegen. Das nimmt den Kritikern die Butter vom Brot. Ich bin da ganz für Arbeitsteilung: ich schreibe die Bücher, und die Kritiker legen sie aus. Wenn ich selbst eine Interpretation meiner Bücher abgeben würde, wäre das eine Katastrophe. Denn dann würde meine Auslegung ja als die reine Wahrheit gelten. Ein Buch wird aber gerade dadurch interessant, daß mehr als nur eine Interpretation möglich ist.”

    Solche Statements lassen die mit allen Wassern der Theorie gewaschene Literaturwissenschaftlerin Atwood erkennen. Nach einem Anglistikstudium in Toronto und an der amerikanischen Harvard University lehrte sie in den 60er Jahren an verschiedenen Universitäten der USA und Kanadas. Dort sammelte sie Material für eine Untersuchung der kanadischen Literatur, die 1972 unter dem programmatischen Titel >>Survival << erschien. Das Überleben, die Selbstbehauptung in widrigen klimatischen und geografischen Umständen, steht für Margaret Atwood am Anfang der Literatur ihres Heimatlandes und wird in übertragener Bedeutung zu ihrem Schlüsselmotiv. Überleben, das hieß früher ein Kampf gegen Naturgewalten, gegen die indianische Urbevölkerung und gegen die habgierige Kolonialmacht England. Heute, da das Joch der Kolonialisierung längst abgeschüttelt, die Natur wo nicht gebändigt, so doch aus dem Bewußtsein verdrängt ist und das verbliebene Häuflein Indianer schickes Ethno-Flair verbreiten, heute ist Überleben eine Frage der Identität. Und diese Identität, so Margaret Atwood, ist in Kanada bedrohter als anderswo: "Look at the political situation right now. I mean, it all plays itself out. Here we are again wondering whether there is gonna be a country in 4 years. We are just constantly in this position and we have been ever since there has been a Canada. So of course it is the very key to our imagination and it plays itself out in all kinds of different ways. But if a country circles itself around a motiv, you don't get just one note, you get many many variations.”

    Angesichts der politischen Situation von heute und den Autonomiebestrebungen der Frankokanadier, so Margaret Atwood, stelle sich die Frage, ob es in vier Jahren überhaupt noch ein Kanada geben werde. Das Motiv des Überlebens sei also aktueller denn je. Doch nätürlich kehre ein solches Leitmotiv im Leben eines Landes nicht nur nur in einer Form wider, sondern äußere sich in zahlreichen Variationen.

    Eine dieser Variationen ist für Margaret Atwood die Frage nach dem Überleben der Frau im Patriarchat. In ihrem Ende des 22. Jahrhunderts spielendem Roman >>Der Report der Magd<<, verfilmt von Volker Schlöndorff unter der Titel >>Die Geschichte der Dienerin<<, schildert Atwood ein Horrorszenario. In einem fiktiven Staat namens Gilead haben christliche Fundamentalisten ein Regime errichtet, in denen Frauen auf die Rollen von Hausmuttchens, Arbeitssklavinnen und Gebärmaschinen reduziert sind. Kein Zufall, daß Atwood den Schreckensstaat Gilead nicht in Kanada, sondern auf dem Gebiet der zur Handlungszeit des Romans untergegangenen USA angesiedelt hat. In den 80er Jahren wuchs in Kanada das Bewußtsein einer politischen, ökonomischen und kulturellen Bedrohung durch den übermächtigen Nachbarn. Atwood formulierte in >>Der Report der Magd<< nicht nur eine feministische Dystopie, sondern das allgemeine Unbehagen vieler Kanadier an der politischen Entwicklung der USA unter Reagan und Bush. Die Vereinigten Staaten und Kanada, das sind, in Abwandlung eines Satzes von Karl Kraus, zwei Länder, getrennt durch ihre gemeinsame Sprache. Wie solche Bedrohungen der eigenen Identität literarisch fruchtbar werden können, erklärt Margaret Atwood am Beispiel der Grenze: " In der Literatur werden Grenzen immer mit bestimmten Motiven verknüpft, mit bestimmten Vorstellungen: des Übertretens von Grenzen zum Beispiel. Was für ein Ort ist das Grenzland? Diesseits und jenseits der Grenzen geht es immer etwas gefährlicher zu als anderswo. Eine Grenze ist eine Trennlinie, aber wie real ist diese Trennlinie? Ist das Land auf der einen Seite der Grenze gleich oder anders wie das Land auf der anderen Seite? Welche Art Menschen halten sich an Grenzen auf? Häufig sind es äußerst zwielichtige Gestalten. Manchmal interessante Menschen, manchmal Menschen, die nichts Gutes im Schilde führen. Manchmal Menschen, die sich verändern wollen -und zwar nicht nur räumlich. Grenzen sind auch Schwellen, und für unsere Psyche sind solche Schwellen sehr wichtig. Wenn man eine Schwelle überschreitet, läßt man das Alte hinter sich und fängt etwas Neues an. Für Kanadier verbinden sich die Vereinigten Staaten mit vielen Mythen. Ähnlich verhält es sich für US-Amerikaner, auch für sie ist Kanada ein mythenumrankter Ort. Wir amüsieren uns oft über das Bild von Kanada in den Köpfen der Amerikaner, die glauben, wir lebten alle in Iglus oder daß Kanada ungefähr so ist wie die USA vor vierzig Jahren. Oft hört man auch, Kanada sei jenes Paradies, das die Vereinigten Staaten einmal waren aber heute nicht mehr sind. Amerikaner sagen Sachen wie, ach, bei euch gibt's weniger Verbrechen als bei uns, wenn ich in Rente gehe, ziehe ich auch nach Kanada."

    Kanada, ein Rentnerparadies? Die USA, eine Hölle von Gewalt, Gier und Verbrechen? Margaret Atwood spielt souverän mit solchen Klischeevorstellungen. Schon immer hat es sie gereizt, wider den Stachel zu löcken. In ihrem satirischen Roman >>Die eßbare Frau<< von 1969 zeichnete sie das Bild einer von Besitzansprüchen und Rollenvorgaben eingeengten jungen Frau, die in einem langsamen Emanzipationsprozeß zu sich selbst findet. Auch im Mittelpunkt ihrer letzten beiden Romane,>>Katzenauge<< und>>Die Räuberbraut <<, stehen Frauen, doch die Fragestellung hat sich verändert. Beide Bücher kreisen um ein gemeinsames Thema: die Grausamkeit von Frauen gegenüber Frauen. War es Anfang der 60er Jahre das Patriarchat, so ist es nun die Lila-Latzhosen-Fraktion des Feminismus, der ihr Spott gilt. Margaret Atwood über ihr Motiv, sich am Dogma der heilen Frauenwelt zu vergehen und der Femme fatal zu einem Combeack zu verhelfen: "Ich glaube, daß alle Schriftsteller in gewisser Weise gegen etwas schreiben. Das heißt, sie schreiben gegen vorherrschende Tendenzen an. Um die Jahrhundertwende gab es sehr viele Femmes fatals, man muß sich nur mal in der Kunstgeschichte umsehen, dort wimmelt es von Bildern solcher Frauen. Auch im Film gab es sie, zum Beispiel in >>Der blaue Engel<<, verkörpert von Marlene Dietrich. Dann begann in den 60er Jahren die Frauenbewegung, und daß Frauen auf fähig zu Bösem sind, galt nun nicht mehr als opportun. Die feministischen Theoretikerinnen blickten auf 400 Jahre Geschichte zurück, in denen Frauen die Sündenböcke waren, verfolgt wurden und als minderwertig galten. Eigentlich geht das bis auf die frühen Kirchenväter zurück, die sich mit Fragen beschäftigten wie der, ob Frauen eine Seele besitzen. Also wurden andere kulturelle Möglichkeiten ausgelotet. Aber nach gewisser Zeit sind diese Möglichkeiten erschöpft, und da fragt man sich, wo die bösen Frauen wie Marlene Dietrich geblieben sind. Warum sind sie verschwunden?"

    O-Ton Margaret Atwood

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