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Die Rasterfahndung und der Datenschutz

Zagatta: Am heutigen Montag soll nahezu bundesweit mit der sogenannten Rasterfahndung begonnen werden, das heißt alle möglichen Datenbestände nach bestimmten Kriterien miteinander abzugleichen. Eine nicht unumstrittene Fahndungsmethode, die aber mit einigem Erfolg schon angewandt worden ist nach den Verbrechen der RAF, der Roten Armee-Fraktion gegen Ende der 70er Jahre. Einer der damals maßgeblich Verantwortung getragen hat, im Innenministerium und dann als Innenminister selbst, ist jetzt am Telefon: Gerhard Rudolf Baum, FDP-Politiker und Bundesinnenminister von 1978 bis 1982. Herr Baum, ab heute wieder Rasterfahndung. Ist das jetzt für Sie Aktionismus nach den Anschlägen in den USA, oder ist das etwas, was eigentlich längst überfällig ist?

    Baum: Gut, es gibt eine Rasterfahndung im Gesetz. Sie ist vorgesehen und sie wird jetzt aktualisiert. Das ist das neue, auf neue Tätertypen und neues Täterverhalten hin. Generell wird man sagen müssen, ja, das ist in Ordnung. Man muss natürlich zunächst einmal vor allzu großen Hoffnungen warnen. Es ist eine sehr aufwändige und sehr schwierige Art der Fahndung, also bitte keinen zu großen Optimismus. Das zweite ist: Datenschutzprobleme gibt es natürlich, denn es werden sehr viele völlig Unbeteiligte einbezogen. Deshalb meine ich sollte dies jetzt unter enger, strenger Aufsicht der Datenschutzbeauftragten gemacht werden und auch nur auf Zeit. Man muss also dafür sorgen, dass Unbeteiligte nicht im Netz hängen bleiben und belastet werden durch die Tatsache, dass sie gewisse äußere Merkmale aufzeigen, die aber für sich genommen ganz harmlos sind.

    Zagatta: Aber sind wir nicht in einer Situation, wo der Datenschutz jetzt auch einmal zurückstecken muss?

    Baum: Natürlich muss der Datenschutz auch unter Sicherheitsgesichtspunkten gesehen werden. Das ist aber nichts Neues. In den letzten Jahren ist der Datenschutz immer wieder auf die Sicherheitsbedürfnisse, auf den Datenaustausch zwischen Sicherheitsbehörden und anderen Behörden eingerichtet worden. Er wird jetzt aber allzu leicht wieder als Täterschutz diffamiert und ich erwarte einfach, dass wir uns noch einmal klar werden, was Datenschutz angesichts einer enorm fortgeschrittenen Möglichkeit der Datenverarbeitung für uns bedeutet. Es ist der Schutz unserer Persönlichkeit. Das Verfassungsgericht hat wiederholt Urteile gesprochen zu Artikel 2, Würde des Menschen, und wir dürfen nicht vergessen, dass hier nach wie vor große Gefahren zu sehen sind. Wenn wir viele Daten über uns immer mehr sammeln, kommen wir zu Persönlichkeitsbildern, möglicherweise eines Tages auch zu Bewegungsprofilen. Wir kommen - ich sage das jetzt mal plakativ - wirklich zu Ansätzen eines gläsernen Menschen. Man kann viele Daten sammeln und dann verwerten. Die Menschen sagen immer, was habe ich denn zu verbergen, aber am Ende stehen dann Persönlichkeitsprofile, die benutzt und missbraucht werden können und die Privatheit des Menschen zutiefst verletzen.

    Zagatta: Die Rasterfahndung hat sich aber doch nach den Verbrechen der RAF bewährt, nach einem Terrorakt wie etwa der Ermordung von Hanns-Martin Schleyer. Auch jetzt heißt es wieder, auf Terror zu reagieren. Lassen sich diese Situationen aus Ihrer Sicht vergleichen?

    Baum: Sie lassen sich nur bedingt vergleichen. Damals haben wir zum Beispiel nach Personen gesucht, die ihre Stromrechnung bar bezahlt haben, weil wir wussten, dass Terroristen sich so verhalten. Aber es verhalten sich eben nicht nur Terroristen so, sondern viele andere Menschen auch. Damit war ein Ansatzpunkt gegeben, den man dann in der Rasterfahndung weiter verfolgt hat. Die Situation damals war insofern anders, als der Terror nicht die Botschaft war. Die Terroristen wollten eine neue Gesellschaft aufbauen, sie hatten soziale Utopien. Das Volk war nicht das Ziel, sondern einzelne Repräsentanten des aus Sicht der RAF verhassten Regimes. Die Bedrohungslage war also anders als heute. Es ist richtig, dass man sich heute einer veränderten Bedrohungslage nähert. Es wäre aber völlig falsch, was Sie beispielsweise eben mit Herrn Müntefering besprochen haben, das Zuwanderungsgesetz plötzlich unter dem Aspekt der Gefahr zu sehen, die durch Ausländer droht. Gefahr droht auch durch Innländer und wir dürfen jetzt nicht in eine Situation verfallen, wo einfach die gegenwärtige Terrorismussituation argumentativ benutzt wird, um andere Dinge durchzusetzen, die mit Terrorbekämpfung überhaupt nichts zu tun haben.

    Zagatta: Abgesehen von diesen Anschlägen in den USA, ist der Wahlerfolg von Ronald Schill in Hamburg nicht davon ganz abgehoben auch ein Hinweis darauf, dass die Bevölkerung mehr Sicherheitsmaßnahmen will, mehr Kontrollen, vielleicht auch mehr Polizeistaat, wenn man das so sagen kann?

    Baum: Das möchte ich so nicht sagen. Hamburg ist eine sehr spezifische Situation. In Hamburg ist das Sicherheitsgefühl der Menschen, also das Bewusstsein, sicher oder unsicher zu leben, nicht beachtet worden. Die Leute hatten das Gefühl, trotz aller entgegenlaufenden Fakten, dass sie in Unsicherheit leben. Dies ist eine lokale Situation, die sich dort entwickelt hat. Ich möchte sie nicht verniedlichen. Es ist sicherlich eine Verantwortung der demokratischen Parteien, für Sicherheit zu sorgen, aber auch den Menschen zu sagen, dass es keine umfassende Sicherheit gibt und dass es immer eine Balance zwischen den Freiheitsrechten und der Sicherheit zu bestehen gibt. In Amerika zum Beispiel, das ja nun tief aufgewühlt ist, diskutiert der Kongress jetzt auch über Freiheitsrechte und akzeptiert nicht jede vorgeschlagene Maßnahme der Administration. Wir müssen uns also reif verhalten und wir müssen kühlen Kopf bewahren, wir dürfen hier nicht den Kopf in den Sand stecken, aber wenn wir das tun meine ich, werden wir auch mit solchen Leuten wie Schill fertig.

    Zagatta: Noch ganz kurz die Frage zum Schluss, Herr

    Baum: Die FDP strebt ja eine Koalition mit solchen Leuten wie Schill an. Ist das vertretbar?

    Baum: Aus meiner Sicht nicht. Ich hätte diese Verhandlungen nie begonnen. Schill steht so weit außerhalb liberaler Vorstellungen, dass ich eine solche Koalition nicht für machbar halte, zumal Herr Schill eine erdrückende Mehrheit hat. Die FDP hat 6 Sitze, Herr Schill hat 25 Sitze. Ich meine wenn die FDP das macht, dann ist das zu kritisieren. Sie hat hinzu gefügt, dass sie bei dieser Gelegenheit ihre liberale Handschrift zeigen will. Da kann ich sie nur dringend auffordern, ihre liberale Handschrift überhaupt zu zeigen. Die müsste sich sehr viel deutlicher absetzen von dieser Gemeinsamkeit, die heute zwischen Herrn Beckstein (CSU) und Herrn Schily besteht. Sie dürfte und sollte nicht Teil dieser großen Koalition auf dem Gebiet der inneren Sicherheit sein, sondern sie muss wieder liberale Flagge zeigen, vor allen Dingen im Datenschutzrecht.

    Zagatta: Danke schön! - Das war Gerhard Rudolf Baum, der frühere Bundesinnenminister. Vielen Dank für diese Einschätzungen!