"Die Grundspannung, aus der heraus das Buch geschrieben ist, ist ja die zwischen der Allerkonkretesten und dem Allerabstraktesten."
Benjamin Steininger. Autor von "Raum-Maschine Reichsautobahn". Einem Buch, das von Hitlers Projekt der Mobilisierung handelt. Erfreulicherweise aber nährt sich Steininger nicht über die bis an und über die Grenze zum Voyeurismus ausgeweideten historischen Umstände. Ihn interessieren an den "Straßen des Führers" die technischen und kulturwissenschaftlichen Aspekte, die uns bis heute - mehr oder minder bewusst - in den Bann des gewaltigen Bauwerks schlagen.
"Das heißt, wenn wir uns neben eine Autobahn stellen, da stehen wir zwar direkt, sagen wir mal an der A8, haben aber eigentlich ein ganz befremdetes Gefühl. Das heißt, wir kommen uns ungeheuer distanziert vor, obwohl wir eigentlich mit der Hand auf den Asphalt klopfen können. Und auf der anderen Seite fühlen wir uns ungeheuer heimisch, wenn wir einen Atlas aufschlagen und da den Verlauf dieser Strecke sehen. Das ist eben so der Stachel gewesen, der mich dann dazu gebracht hat, ein bisschen genauer diese Realgeschichte dieses Straßenbauwerks zu untersuchen."
Diese Untersuchung führt der Berliner Kulturwissenschaftler Benjamin Steininger mit Liebe zum Detail und erstaunlichem technischen Sachverstand. Der Leser erfährt, dass die entscheidende Innovation des nationalsozialistischen Autobahnbaus in der Verwendung von Betonplatten bestand. Diese Platten waren verhältnismäßig billig und konnten direkt vor Ort gegossen werden. Steininger beschreibt das so:
Der Beton wird von einer auf Baugleisen links und rechts der Fahrbahn aufliegenden Arbeitsbühne aus verteilt, verdichtet und abgezogen, so dass die Stahlschienen das Richtgleis für die Genauigkeit der plastischen Betonoberfläche abgeben. Die Höchstabweichung von der ideal ebenen Fahrbahn schrumpft in den Richtlinien denn auch von fünf Millimeter pro drei Meter auf vier Millimeter pro vier Meter und in Spezialfällen wie bei der 1938 bei Dessau gebauten, für Geschwindigkeiten über 400 Stundenkilometer ausgelegten, Rekordstrecke, ist sogar von drei Millimeter pro vier Meter die Rede.
Auf der Dessauer Rennstrecke wurde 1938 mit drei Millimetern pro vier Meter sogar eine Glattheit erreicht, die rein rechnerisch Geschwindigkeiten bis vierhundert Stundenkilometer erlaubte. Dafür wurde die Strecke von Hand mit nassem Segeltuch abgezogen. Doch Steiniger wäre nicht Kulturwissenschaftler, wenn er bei den harten Fakten stehen bleiben würde, wobei es ihm natürlich hoch anzurechnen ist, dass er sich überhaupt erst einmal um die harten Fakten kümmert, bevor er seine kulturphilosophischen Thesen aufstellt. Eine lautet, dass die Betonplatte das Auto überholte. Die Reichsautobahn, so läuft Steiningers Argumentation, stellte Fahrbahnen zur Verfügung, die von den Automobilen der damaligen Zeit gar nicht ausgereizt werden konnten. Nicht nur, dass die Autos gerade einmal ein Viertel der prinzipiell möglichen Spitzengeschwindigkeit von vierhundert Stundenkilometern leisten konnten, auch die Gesamtautozahl in Deutschland war im internationalen Vergleich verschwindend gering. 1932 gab es in Deutschland lediglich eine halbe Million PKW, während in den USA bereits 1920 über zwanzig Millionen Autos unterwegs waren. Die Autobahn war also ihrer Zeit voraus und gab durch ihr Entstehen unmissverständlich den Befehl zur Erhöhung der Individualgeschwindigkeit. Im Nachkriegsdeutschland wurde dieser Befehl aus der Hitler-Ära schließlich befolgt. Steininger zitiert Hitler in diesem Zusammenhang:
Glauben Sie denn, dass da kein Verkehr ist, wenn wir erst die Autobahn fertig haben?
Das Buch "Raum-Maschine Reichsautobahn" wird noch von einer zweiten wesentlichen Einsicht getragen. Die Autobahn hat nicht nur die Individualgeschwindigkeit, sondern auch das gesamte Raumgefühl sowie die Naturwahrnehmung des modernen Menschen verändert. Insofern wird die Reichsautobahn von Benjamin Steininger sehr erhellend als Raum-Maschine betrachtet.
"Die Frage ist nun, wo setzt diese maschinelle Bearbeitung eigentlich ein? Und dabei bin ich auf ein ganz breites Spektrum gestoßen an maschineller Überarbeitung des Raumes, der praktisch zwischen den kleinsten bodenmechanischen Bestandteilen bis hin zum großen, nur noch auf der Karte sichtbaren Gesamtraum Deutschland reicht. Das heißt, Raum wird in ganz unterschiedlicher Hinsicht umgestaltet. Wir haben durch die Einführung neuer Techniken plötzlich einen ganz neuen Zugriff auf so etwas wie Boden, auf so was wie Wald und Wiese, auf Täler und Berge. Das heißt, der Zugang zur Natur wird in einer technischen Hinsicht durch dieses Raum-Maschinenwerk Reichsautobahn ein völlig anderer."
Benjamin Steiningers Studie ist äußerst lesenwert. Das Nebeneinander von technischen Fakten und philosophischen Interpretation machen den Reiz dieses Buches aus, der durch die Abbildung zahlreicher Baupläne und Werbeanzeigen im Umfeld des Prestigeprojekts der Nazis noch gesteigert wird. Und gleichsam nebenher gelingt es dem Autor, uns einen der Startpunkte der so oft beschworenen mobilen Gesellschaft vor Augen zu führen. Der einzige kritische Einwand wäre, dass Steiniger seinen sicheren, plastischen Schreibstil in den Passagen über die technischen Eigenheiten des Autobahnbaus wiederholt einer spröden Ingenieurssprache opfert. Doch darüber wird sich der Leser hinwegzutrösten wissen.
Die Pointe der Geschichte von Benjamin Steininger und der Reichsautobahn ist, dass der Autor des Buches selbst nicht ins Auto steigt. Er ist passionierter Radfahrer und nimmt somit nicht dem sich in unseren Tagen immer weiter selbst aufhebenden Projekt zur Erhöhung der Individualgeschwindigkeit teil.
"Ich glaub, dass es jetzt nicht unbedingt reizvoll ist, sich dieser hohen Individualgeschwindigkeit zu verweigern, aber dass es wohl interessant ist für ein Verständnis hoher Individualgeschwindigkeit genau von dieser Geschwindigkeit zurückzutreten, und dass es reizvoll ist, einen Standpunkt einzunehmen, der eben explizit nicht innerhalb der Maschine liegt. Paul Virillio sagt: "In Geschwindigkeit ist wie in China" - das heißt, man versteht eigentlich gar nichts. Und wenn wir jetzt als Autofahrer an der geschwinden Welt teilnehmen, dann funktionieren wir nur noch als das kleine Rädchen, was halt hinter dem Steuerrädchen sitzt, aber wir haben keinen richtigen Einblick in das, was da funktioniert. Und deswegen kann man sich eigentlich der Autobahn nur wandernd oder Fahrrad fahrend nähern."
Benjamin Steininger. Autor von "Raum-Maschine Reichsautobahn". Einem Buch, das von Hitlers Projekt der Mobilisierung handelt. Erfreulicherweise aber nährt sich Steininger nicht über die bis an und über die Grenze zum Voyeurismus ausgeweideten historischen Umstände. Ihn interessieren an den "Straßen des Führers" die technischen und kulturwissenschaftlichen Aspekte, die uns bis heute - mehr oder minder bewusst - in den Bann des gewaltigen Bauwerks schlagen.
"Das heißt, wenn wir uns neben eine Autobahn stellen, da stehen wir zwar direkt, sagen wir mal an der A8, haben aber eigentlich ein ganz befremdetes Gefühl. Das heißt, wir kommen uns ungeheuer distanziert vor, obwohl wir eigentlich mit der Hand auf den Asphalt klopfen können. Und auf der anderen Seite fühlen wir uns ungeheuer heimisch, wenn wir einen Atlas aufschlagen und da den Verlauf dieser Strecke sehen. Das ist eben so der Stachel gewesen, der mich dann dazu gebracht hat, ein bisschen genauer diese Realgeschichte dieses Straßenbauwerks zu untersuchen."
Diese Untersuchung führt der Berliner Kulturwissenschaftler Benjamin Steininger mit Liebe zum Detail und erstaunlichem technischen Sachverstand. Der Leser erfährt, dass die entscheidende Innovation des nationalsozialistischen Autobahnbaus in der Verwendung von Betonplatten bestand. Diese Platten waren verhältnismäßig billig und konnten direkt vor Ort gegossen werden. Steininger beschreibt das so:
Der Beton wird von einer auf Baugleisen links und rechts der Fahrbahn aufliegenden Arbeitsbühne aus verteilt, verdichtet und abgezogen, so dass die Stahlschienen das Richtgleis für die Genauigkeit der plastischen Betonoberfläche abgeben. Die Höchstabweichung von der ideal ebenen Fahrbahn schrumpft in den Richtlinien denn auch von fünf Millimeter pro drei Meter auf vier Millimeter pro vier Meter und in Spezialfällen wie bei der 1938 bei Dessau gebauten, für Geschwindigkeiten über 400 Stundenkilometer ausgelegten, Rekordstrecke, ist sogar von drei Millimeter pro vier Meter die Rede.
Auf der Dessauer Rennstrecke wurde 1938 mit drei Millimetern pro vier Meter sogar eine Glattheit erreicht, die rein rechnerisch Geschwindigkeiten bis vierhundert Stundenkilometer erlaubte. Dafür wurde die Strecke von Hand mit nassem Segeltuch abgezogen. Doch Steiniger wäre nicht Kulturwissenschaftler, wenn er bei den harten Fakten stehen bleiben würde, wobei es ihm natürlich hoch anzurechnen ist, dass er sich überhaupt erst einmal um die harten Fakten kümmert, bevor er seine kulturphilosophischen Thesen aufstellt. Eine lautet, dass die Betonplatte das Auto überholte. Die Reichsautobahn, so läuft Steiningers Argumentation, stellte Fahrbahnen zur Verfügung, die von den Automobilen der damaligen Zeit gar nicht ausgereizt werden konnten. Nicht nur, dass die Autos gerade einmal ein Viertel der prinzipiell möglichen Spitzengeschwindigkeit von vierhundert Stundenkilometern leisten konnten, auch die Gesamtautozahl in Deutschland war im internationalen Vergleich verschwindend gering. 1932 gab es in Deutschland lediglich eine halbe Million PKW, während in den USA bereits 1920 über zwanzig Millionen Autos unterwegs waren. Die Autobahn war also ihrer Zeit voraus und gab durch ihr Entstehen unmissverständlich den Befehl zur Erhöhung der Individualgeschwindigkeit. Im Nachkriegsdeutschland wurde dieser Befehl aus der Hitler-Ära schließlich befolgt. Steininger zitiert Hitler in diesem Zusammenhang:
Glauben Sie denn, dass da kein Verkehr ist, wenn wir erst die Autobahn fertig haben?
Das Buch "Raum-Maschine Reichsautobahn" wird noch von einer zweiten wesentlichen Einsicht getragen. Die Autobahn hat nicht nur die Individualgeschwindigkeit, sondern auch das gesamte Raumgefühl sowie die Naturwahrnehmung des modernen Menschen verändert. Insofern wird die Reichsautobahn von Benjamin Steininger sehr erhellend als Raum-Maschine betrachtet.
"Die Frage ist nun, wo setzt diese maschinelle Bearbeitung eigentlich ein? Und dabei bin ich auf ein ganz breites Spektrum gestoßen an maschineller Überarbeitung des Raumes, der praktisch zwischen den kleinsten bodenmechanischen Bestandteilen bis hin zum großen, nur noch auf der Karte sichtbaren Gesamtraum Deutschland reicht. Das heißt, Raum wird in ganz unterschiedlicher Hinsicht umgestaltet. Wir haben durch die Einführung neuer Techniken plötzlich einen ganz neuen Zugriff auf so etwas wie Boden, auf so was wie Wald und Wiese, auf Täler und Berge. Das heißt, der Zugang zur Natur wird in einer technischen Hinsicht durch dieses Raum-Maschinenwerk Reichsautobahn ein völlig anderer."
Benjamin Steiningers Studie ist äußerst lesenwert. Das Nebeneinander von technischen Fakten und philosophischen Interpretation machen den Reiz dieses Buches aus, der durch die Abbildung zahlreicher Baupläne und Werbeanzeigen im Umfeld des Prestigeprojekts der Nazis noch gesteigert wird. Und gleichsam nebenher gelingt es dem Autor, uns einen der Startpunkte der so oft beschworenen mobilen Gesellschaft vor Augen zu führen. Der einzige kritische Einwand wäre, dass Steiniger seinen sicheren, plastischen Schreibstil in den Passagen über die technischen Eigenheiten des Autobahnbaus wiederholt einer spröden Ingenieurssprache opfert. Doch darüber wird sich der Leser hinwegzutrösten wissen.
Die Pointe der Geschichte von Benjamin Steininger und der Reichsautobahn ist, dass der Autor des Buches selbst nicht ins Auto steigt. Er ist passionierter Radfahrer und nimmt somit nicht dem sich in unseren Tagen immer weiter selbst aufhebenden Projekt zur Erhöhung der Individualgeschwindigkeit teil.
"Ich glaub, dass es jetzt nicht unbedingt reizvoll ist, sich dieser hohen Individualgeschwindigkeit zu verweigern, aber dass es wohl interessant ist für ein Verständnis hoher Individualgeschwindigkeit genau von dieser Geschwindigkeit zurückzutreten, und dass es reizvoll ist, einen Standpunkt einzunehmen, der eben explizit nicht innerhalb der Maschine liegt. Paul Virillio sagt: "In Geschwindigkeit ist wie in China" - das heißt, man versteht eigentlich gar nichts. Und wenn wir jetzt als Autofahrer an der geschwinden Welt teilnehmen, dann funktionieren wir nur noch als das kleine Rädchen, was halt hinter dem Steuerrädchen sitzt, aber wir haben keinen richtigen Einblick in das, was da funktioniert. Und deswegen kann man sich eigentlich der Autobahn nur wandernd oder Fahrrad fahrend nähern."