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"Die Realität so sagen, als ob sie trotzdem nicht wär"

Der Büchnerpreisträger Josef Winkler ist ein liebenswürdiger Mensch, aber als Schriftsteller ist er ein Extremist. Er hat dreizehn Bücher geschrieben, und alle haben den Tod zum Thema: den Tod von Menschen, das Spielen des Autors mit dem Gedanken an Selbstmord, überhaupt die Todesverfallenheit alles Lebendigen. Josef Winklers Prosa lebt aus den Stoffen einer Realität, die grausig ist.

Von Joachim Güntner |
    Der Büchnerpreisträger Josef Winkler ist ein liebenswürdiger Mensch - aber als Schriftsteller ist er ein Extremist. Er hat dreizehn Bücher geschrieben, und alle haben den Tod zum Thema: den Tod von Menschen, das Spielen des Autors mit dem Gedanken an Selbstmord, überhaupt die Todesverfallenheit alles Lebendigen. Josef Winklers Prosa lebt aus den Stoffen einer Realität, die grausig ist. Einer selbsterlebten, einer autobiografischen Realität, wie man sagen muss. Winkler ist obsessiv von sich besessen. Hier schreibt einer, der durch die Zwänge und Leiden seiner Kindheit produktiv geworden ist, der die harten Früchte eines gedrückten, beschädigten Lebens vor uns ausstreut.

    Das war nicht anders, als sich Josef Winkler gestern im Darmstädter Staatstheater für den Büchnerpreis bedankte. Seine Dankesrede war gar keine Rede. Sie war eine autobiografische Erzählung, ein Stück Literatur. Die zentralen Motive, die jeder Winkler-Leser aus dem Werk dieses in Österreich berühmten, bei uns in Deutschland noch immer nicht sonderlich bekannten Autors kennt, diese zentralen Motive waren alle da: das Aufwachsen in der bäuerlichen Enge seines Oberkärntner Heimatdorfes, die Wortkargheit der durch den Tod dreier Söhne stumm gewordenen Großeltern, der autoritäre Vater, mit dem eine liebevolle Gemeinschaft nur einziges Mal möglich scheint - nämlich ausgerechnet in dem Moment, als Vater Jakob und Sohn Josef im Keller eine Ratte mit dem Knüttel an der Wand zerquetscht haben. Da, und nur da, hätten sich beide vielleicht doch einmal umarmt. Scheußlich. Und dann natürlich der Katholizismus, unter dem der Knabe groß wurde, mit Engeln als Buchhaltern der Sünde, die seine Phantasie quälen statt seine junge Seele zu trösten. Schließlich die Erfahrung des Bücherlesens, die konstitutiv war für Winkler, weil er ohne die Bücher nicht Schriftsteller geworden wäre - diese Bücher, die es im Elternhaus nicht gab, die Josef mit Geld beschaffte, was er den Eltern stahl oder als Ministrant und Austräger des Kirchenboten verdiente. Josef Winkler las und liest, wie er schreibt, also im Furor und aus existenzieller Not. Immer musste, wie er gestern bekräftigte, die Literatur aufs Ganze gehen.

    Zum Ritual der Dankesreden von Büchnerpreisträgern gehört, dass sie sich am Namensgeber des Preises abarbeiten. Davon konnte gestern bei Josef Winkler keine Rede sein. Was sagte er über Büchner? Dass er am Nordseestrand in Vorbereitung seiner Rede Büchners Jugendschrift "Über den Selbstmord" gelesen habe. Über den Selbstmord - na was denn sonst. Bei dieser kargen Erwähnung eines Buchtitels blieb es. Mit dem nächsten Satz war Winkler schon wieder bei sich, bei seinen Strandbeobachtungen, bei seiner Familie, bei seiner eigenen Kindheit. Diesem Autor gerät alle Lektüre in den unmittelbaren Selbstbezug, sie wird autobiografisch eingemeindet. Auch was er gestern von anderen großen Schriftstellern zitierte - von Friedrich Hebbel, Jean Genet, Emily Dickinson - waren Sätze solchen Inhalts, dass Winkler sie stets umstandslos auf sich selbst münzen konnte. Sätze, die als Leitsätze und Programmsätze sein eigenes Schaffen stützen.

    Diese Rede, die gar keine Rede war, war sie denn immerhin rhetorisch gut? Zu fürchten steht, dass Josef Winkler mit seinem Vortrag nur wenige Leute nach seinem Werk begierig gemacht hat. Als Vorleser seiner selbst war Josef Winkler abschreckend. Sein Duktus ist von großer Gleichförmigkeit. All diese langen Satzperioden mit ihren Verschachtelungen, Nebensätzen und Parenthesen trug Winkler im gleichen Tempo, sogar in gleicher Tonhöhe vor. Der Stil hat keine Valeurs. Man könnte behaupten, dass dies ein ästhetisches Programm sei, dass dem trüben Inhalt absichtlich eine glanzlose Form korrespondiert. Das Fatale aber ist, dass der Verzicht auf eine Gestaltung des Tons dazu führt, dass auch die geschilderten Szenen blass bleiben. Trotz aller Drastik und der Detailgenauigkeit von Winklers krassem Realismus ruft der Stoff im Kopf des Zuhörers keine Bilder auf. So ist man geneigt, die gestrige Erfahrung mit der Rede des Büchnerpreisträgers 2008 mit dem Rat zu bilanzieren: Man sollte Josef Winkler lesen. Aber man muss vermeiden, ihn zu hören.