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Die Reden des Osama bin Laden

Obwohl der islamistische Terror täglich Thema in unseren Medien ist, ist es für den nicht arabisch Sprechenden schwierig, an jene Texte zu gelangen, die das ideologische Fundament dieses Terrors bilden. Die beiden Islamwissenschaftler Marwan Abou-Taam und Ruth Bigalke haben jetzt eine Sammlung der Botschaften bin Ladens auf Deutsch publiziert, ergänzt durch eine fundierte Analyse und Kommentierung.

Redakteur am Mikrofon: Marcus Heumann |
    Marcus Heumann:
    Frau Bigalke, Herr Abou-Taam, wie erklären Sie sich die auffällige Zurückhaltung unserer Medien, wenn es um die Publikation dieser Texte geht - und was war Ihre Motivation zur Herausgabe der Botschaften bin Ladens auf Deutsch?

    Ruth Bigalke:
    Die erste Frage, die wir immer gehört haben, wenn wir über das Buch gesprochen haben, war: "Haben Sie eigentlich keine Angst?" Und als ich mit Freunden in den USA darüber gesprochen habe, haben die gesagt: "Das Buch gibt es schon lange bei uns, das liegt hier in Washington in der Bahnhofsbibliothek aus." Wir haben daraus ein bisschen geschlossen, dass es einerseits eine Angst gibt, sich mit dem Thema auseinander zu setzen, man möchte das gerne verdrängen, man möchte auch verdrängen vielleicht, dass durchaus Deutschland auch eine Ruhezone gebildet hat für Terroristen, und man möchte auch verdrängen, dass eine Gefahr besteht, man möchte sich mit diesem Thema "Gewalt" nicht auseinandersetzen.

    Marcus Heumann:
    Was konnten Sie denn bislang für Reaktionen auf die Veröffentlichung des Buchs hier bei uns vor Ort in Deutschland beobachten?

    Marwan Abou-Taam:
    Wir haben bislang zwei unterschiedliche Reaktionen erfahren. Einmal die Reaktion von Fachkreisen, also von denjenigen Leuten, die sich tatsächlich mit dem Thema beschäftigen, und da ist es, dass wir sehr viel Lob dafür gekriegt haben für die Veröffentlichung der Reden. Auf der anderen Seite, in unmittelbaren, quasi Freundeskreisen ist es dazu gekommen, dass da doch tatsächlich Ängste ausgesprochen wurden.

    Marcus Heumann:
    Wie reagiert denn der Buchhandel selber auf diese Veröffentlichung?

    Marwan Abou-Taam:
    Das Buch wird zumindest nicht ausgelegt.

    Ruth Bigalke:
    Es gibt Buchhandlungen, wo es ausgelegt wird, es gibt aber auch Buchhandlungen, wo explizit gesagt wurde auf Nachfrage: "Wir möchten das Buch nicht auslegen."

    Marcus Heumann:
    "Vom Afghanistankämpfer zum Global Player" ist das erste Kapitel Ihres Buches überschrieben, das die frühen Bin-Laden-Texte von 1994 - 1998 beinhaltet und analysiert. Das liest sich wie die Chronik einer Radikalisierung im Schnelldurchgang.

    Marwan Abou-Taam:
    Tatsächlich ist das auch ein Prozess gewesen. Bin Laden wird 1982 rekrutiert mehr oder weniger, um nach Afghanistan zu gehen, dorthin Gelder zu bringen. Er findet Gefallen am Heiligen Krieg in Afghanistan, bleibt dort und kommt Anfang der 90er zurück nach Saudi Arabien und stellt fest, dass in seiner Heimat doch kein Gottesstaat vorherrscht, und er formuliert zunächst einmal reine nationale Ziele, die er im Laufe seines Exils im Sudan dorthin revidiert, dass er anfängt, über den Welt-Dschihad nachzudenken und tatsächlich auch Leute zu rekrutieren, die den Welt-Dschihad führen sollen.

    Ruth Bigalke:
    Und wenn ich jetzt noch ein bisschen vielleicht die psycho-soziale Ebene anführen kann, denke ich, dass sich langsam herausstellt, dass bin Laden merkt, dass er ausgenutzt wurde, also dass ihn Saudi Arabien sehr gut brauchen konnte, ihn als Helden feiern konnte, während er in Afghanistan kämpft. Wenn er dann aber zurück nach Hause kommt und seine Kritik äußert, wird er ausgeschlossen. Das führt dazu, dass er seine Staatsbürgerschaft verliert, und er radikalisiert sich immer mehr, je mehr er ausgeschlossen wird. Das andere: Er fühlt sich benutzt und ist dadurch sehr gekränkt.

    Marcus Heumann:
    Die ersten Botschaften bin Ladens sind ja auch regelrechte Pamphlete gegen die Herrscher der arabischen Welt.

    Marwan Abou-Taam:
    Vor allem der saudi-arabischen Regierung. Im Prinzip greift er dort in erster Linie das saudische System an. Und sehr früh fängt er an, als er merkt, dass er in Saudi Arabien nicht weiterkommt, auch andere Kreise zu ziehen und dann andere arabische Staaten anzugreifen.

    Ruth Bigalke:
    Oder er greift die anderen arabischen Staaten an, weil es ihm gerade passt. Mal greift er den Irak an und sagt: "Das ist ein Unrechtsstaat, ein gottloser Sozialistenstaat." Und dann wiederum kann er die USA angreifen und sagen: "Die marschieren hier einfach in den Irak ein." Und da verteidigt er dieses Land auf einmal. Also das variiert dann.

    Marcus Heumann:
    Wenn man nun die Texte der folgenden Jahre, also von 1998 an bis heute, betrachtet: Welche Veränderungen in Bezug auf Inhalt und auch Diktion waren da für Sie zu beobachten?

    Marwan Abou-Taam:
    Bin Laden wird aggressiver. Insbesondere hat er am Anfang davon gesprochen, dass nicht in jedem Fall Gewalt notwendig sei, spricht er sich im Prinzip mit seiner Radikalisierung dafür aus, dass Gewalt immer ein Mittel sein muss. Das heißt, er verpflichtet jeden einzelnen Dschihadisten, tatsächlich immer bereit zu sein, um Gewalt auszuüben, um die Ziele, nämlich die Weltherrschaft bzw. die Islamisierung, zunächst einmal der islamischen Staaten, der arabischen Staaten, bis hin dann zur Vorherrschaft des Islams. Diese Ziele müssen erreicht werden durch Gewalt, und bin Laden agitiert hier immer lauter und immer gezielter darauf hin.

    Marcus Heumann:
    Sehr breiten Raum nimmt bei Ihnen die Analyse von bin Ladens Sprache ein, seiner Formulierungen, seiner Bezüge auf Koransuren. Mit welchen rhetorischen Mitteln arbeitet bin Laden? Oder auch: mit welchen Verdrehungen?

    Ruth Bigalke:
    Also bin Laden benutzt eigentlich eine sehr schöne Sprache und flicht dann immer wieder Koran-Zitate ein, ohne das irgendwie vorher zu kennzeichnen. Das heißt, er entwickelt sich auch in seinen Reden. Das ist jetzt auch wieder eine zeitliche Entwicklung immer mehr zu einer Art religiösen Autorität, oder er ernennt sich selbst zu dieser, er spielt mit der arabischen Sprache, er verwendet ironische Stilmittel sogar, das ist bisweilen ganz amüsant, er schreibt auch Gedichte. Es gibt einen Fall, wo er sich bei den Palästinensern entschuldigt, dass man jetzt sich noch nicht um die Befreiung Palästinas kümmern könne, und schreibt dann für die Palästinenser zum Trost ein Gedicht. Über Verdrehungen kann man sagen: Er geht grundsätzlich eben von einer These aus, nämlich dass sich die Welt in ein gläubiges und ein ungläubiges Lager spaltet. Auf dieser These führt er dann seine Argumente fort, die zum Teil - das ist dann die Gefahr - nachzuvollziehen sind. Er benutzt dann auch Argumente von Globalisierungskritikern, wirft den USA vor, dass sie das Kyoto-Protokoll nicht unterschrieben haben, und das sind dann aber Mittel zum Zweck und zur Bestätigung seiner grundlegenden These, dass wir uns in einem Kampf zwischen zwei Zivilisationen oder Weltanschauungen befinden.

    Marcus Heumann:
    Stichwort "Mittel zum Zweck": Bei der Verbreitung seiner Botschaften bedient sich bin Laden ja modernster westlicher Technologie, Video, Internet usw. Wird das von Islamisten, die zumindest in unseren Augen die Rückkehr zu mittelalterlichen Verhältnissen predigen, nicht als Widerspruch in sich empfunden? Oder heiligt da der Zweck die Mittel?

    Marwan Abou-Taam:
    Das wird ein bisschen falsch verstanden im Westen. Fundamentalisten wollen zwar eine Utopie aufbauen, die in der Vergangenheit liegt, also die wollen einen Staat schaffen wie den, den der Prophet Mohammed angeblich in Medina aufgestellt hat. Allerdings verfolgen die Islamisten dies mit der so genannten halben Moderne. Also die wollen die technologischen Errungenschaften der Moderne durchaus anwenden, sie beherrschen sie, die inhaltlichen werteorientierten Errungenschaften der Moderne werden aber abgelehnt.

    Marcus Heumann:
    Wenden sich diese Texte eigentlich in erster Linie an Fundamentalisten zur Stabilisierung ihres Weltbildes oder wer sind die Adressaten dieser Texte?

    Ruth Bigalke:
    Also die Hauptadressaten, die Umma, vor allem die arabische Umma, also die Gemeinschaft der Gläubigen, und dann, das sagt bin Laden in seinen Reden selber, er möchte die Jugend dazu animieren, den Dschihad auszuführen, er spricht die Händler an, die sollen den Dschihad finanzieren, und die Gelehrten, die sollen den Dschihad predigen. Er richtet sich in vielen seiner Reden, auch wenn er jetzt explizit die USA anspricht, doch auch wieder an die Araber, indem er sich nämlich als Friedensfürst darstellt, als jemand, der den Dschihad nur zu Verteidigungszwecken ausführt. Also es geht immer darum, die Umma zu mobilisieren.

    Marcus Heumann:
    Schon in Ihrer Einleitung stellen Sie die These auf, dass die islamische Jugend gerade in den westlichen Ländern bin Laden schlichtweg missversteht, also dass seine Forderungen und Ziele eigentlich überhaupt nichts mit denen junger Muslime gemein haben. Woher rührt Ihrer Ansicht nach dieses Missverständnis?

    Marwan Abou-Taam:
    Ganz einfach. Bin Laden verbietet im Prinzip in seiner Ideologie alles, was Jugendlichen Spaß macht. Alles, wofür eigentlich Jugendliche oder Jugendszenen stehen, wird von bin Laden abgelehnt als gottlos. Er will im Prinzip die Wiederherstellung eines Patriarchats, was teilweise noch vorhanden ist in der arabischen Welt, wo wieder eine Hierarchie besteht, eine Hierarchie der Älteren über die Jüngeren.

    Ruth Bigalke:
    Und der Männer über die Frauen.

    Marwan Abou-Taam:
    Und das kann nicht im Interesse der Jugend sein.

    Marcus Heumann:
    Sie haben Ihrem Buch auch einen Appendix mit zwei Al-Qaida-Dokumenten angefügt, die sich für mich besonders interessant lasen, weil es Texte sind, die sich unmittelbar mit der praktischen Durchsetzung der Herrschaft Al-Qaidas am "Tag X" beschäftigen.

    Ruth Bigalke:
    Also das eigentlich Erschütternde, wenn man diese Texte liest, ist, wie geplant das ist, wie rational vorgegangen wird, wie vielleicht auch Mittel von westlichen Sicherheitsdiensten übernommen werden, wie wirklich generalstabsmäßig die Sache durchgeplant wird. Deswegen haben wir den einen Text auch betitelt: Die Banalität des Bösen. Es wird ganz gezielt dargestellt, wie in diversen Pilotstaaten zunächst Chaos hergerichtet werden soll, also Barbarei, ein Text heißt auch "Verwaltung der Barbarei", und wie dann Al-Qaida als ordnende Kraft, als Retter, einzieht und dann auch die Macht übernimmt.

    Marwan Abou-Taam:
    Und das ist etwas, was wir heute z.B. im Irak beobachten. Wenn Sarkawi Chaos und Gewalt verbreitet, macht er dies gezielt, um letztendlich dann durch die Ermüdung der Menschen sich selber als Held darzustellen, der wieder Ordnung einbringt. Und das ist eine Strategie, die Fundamentalisten bzw. die Islamisten um bin Laden letztendlich verfolgen.

    Marcus Heumann:
    Wie weit kann man sich bei den im Buch versammelten Texten eigentlich sicher sein, dass sie tatsächlich von bin Laden höchstpersönlich stammen?

    Marwan Abou-Taam:
    Selbst dann, wenn bin Laden die Reden vorgetragen hat, gehen wir davon aus, dass er sie selbst nicht verfasst hat, sondern auch entlang der Texte werden Sie feststellen, dass unterschiedliche Stile verwendet werden, aber unterschiedliche Inhalte letztendlich auch verkauft werden, so dass wahrscheinlich Ideologen dahinter stecken, also Al-Qaida-Ideologen, die aus unterschiedlichen arabischen Ländern kommen, deswegen die unterschiedlichen Schwerpunkte, die man immer wieder finden kann.

    Ruth Bigalke:
    Die Tatsache ist aber, dass sie ihm zugeschrieben werden, und der Inhalt ihm zugeschrieben wird und als solcher dann auch wahrgenommen wird.

    Marcus Heumann:
    Vielen Dank für das Gespräch. Ruth Bigalke und Marwan Abou-Taam waren das, Herausgeber des Buches "Die Reden des Osama bin Laden". Erschienen ist es im Diederichs Verlag München, es umfasst 238 Seiten und kostet 19 Euro und 95 Cent.