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Die Revolution der Gharbi-Schwestern

Nach wochenlangen Demonstrationen flüchtet der tunesische Präsident Ben Ali aus seinem Land. Auslöser des Aufstandes war die Selbstverbrennung eines Gemüsehändlers in einer Kleinstadt, die eine Volksbewegung auslöste. Viele Studenten stellten Videos der Regime-Gewalttaten ins Netz. Die Schwestern Sawzen und Zhourour Gharbi sind zwei von ihnen.

Von Rüdiger Maack |
    Die Revolution der Schwestern Gharbi begann im Dezember an einem Computer. Eigentlich begann sie aber schon viel früher: als Zhourour, die ältere der beiden, zum Studium nach Frankreich ging - und feststellte, wie wenig sie weiß über die Diktatur in ihrem Heimatland.

    "Und dann habe ich begonnen, Bücher zu lesen, die hier verboten waren. Ich kannte die Korruption und die Intrigen, weil ich ja aus der Heimatstadt von Ben Ali kam, aber ich hatte kein politisches Bewusstsein, und dann habe ich angefangen, mit meinen Schwestern über Skype zu sprechen, mit kodierten Wörtern natürlich, nicht offen."

    Skype, Facebook und youtube - wie die meisten jungen Mittelschicht-Tunesier sind Zhourour und ihre Schwester Sawzen ständig im Internet unterwegs. Sawzen hat von ihrer Schwester in Frankreich vieles erfahren über die Diktatur Ben Alis - bei uns, sagt sie konnte man davon nichts hören, da war immer alles nur gut.

    "Anfang Dezember habe ich angefangen, Videos einzustellen. Freunde haben mir Nachrichten geschickt und mich gewarnt: Nimm die wieder raus, das bringt gar nichts und Du wirst nichts verändern. Ich hatte Angst, aber ich habe mir gesagt, wenn jeder so dächte, dann würde sich wirklich nichts ändern. Wir hatten echt Angst, auch in der Nachbarschaft, wir haben uns immer eingeschlossen, weil ja auch einige Blogger und Facebooker verhaftet wurden. Und Papa hat auch gesagt: Das reicht jetzt, lasst das."

    Ihre Schwester unterbricht:

    "Wir haben gesagt: Eure Generation, Ihr habt zu oft geschwiegen und wir haben auch geschwiegen, aber es reicht jetzt."

    So begann die Revolution der Schwestern Gharbi - sie lernten erst einmal per Internet, wie man einen Proxy bastelt, um die staatliche Zensur zu umgehen.
    Das mussten sie auch, denn Anfang Januar hatte die tunesische Regierung begonnen, sämtliche Passwörter zu hacken, die aus Tunesien in Seiten wie Facebook eintippt wurden - das Regime wollte an die User ran, die die immer zahlreicher werdenden Videos online stellten.
    Bei Facebook wurde das Problem erkannt - eine ganze Abteilung kümmerte sich darum, das zu verhindern und half so den jungen Tunesiern den Aufstand zu organisieren.

    "Ich habe Videos eingestellt und die wurden gelöscht - oder die Seite war auf einmal nicht mehr erreichbar. Ich musste Links von Texten, die ich lesen wollte, an meine Schwester in Frankreich schicken und die hat mir das dann zurück geschickt, damit ich das lesen konnte. "

    Seit dem 19. Dezember hatten die insgesamt vier Schwestern der Familie zusammen mit einer weiteren Freundin immer wieder Informationen und Videos in Facebook eingestellt. Jetzt sitzen die beiden vor einem Laptop in ihrer Wohnung in einem der besseren Vororte von Tunis und sehen sich die Videos vom Winter an.
    "Mich haben viele Leute gefragt, warum ich mich da beteiligt habe, was mich das anginge? Sie haben gesagt: Du hast Dein Auto, Du hast Dein Taschengeld, Du hast Dein Studium - Ihr habt keine Firma, Ben Ali hat Euch nie was persönlich getan. Aber ich wusste ja, was hier in Tunesien passierte und ich habe lange geschwiegen. Und ich hab gesagt: ich habe die Schnauze voll von dieser Korruption, diese Leute mit ihren dicken Autos, die kamen überall durch, weil sie der Sohn von irgendwem sind, um Arbeit zu finden, musst Du den Sohn von xy kennen. Es wäre egoistisch, sich dann an dieser Bewegung nicht zu beteiligen. "

    Die Revolution hat ihr Leben verändert - und ihr Studium, sagt sie. Hier in Karthago, 15 Kilometer außerhalb von Tunis geht sie in die Universität, sie studiert in einem Management-Master-Programm.

    Die IHEC hat die wohl schönste Campus-Aussicht, die man sich vorstellen kann: hoch über dem Mittelmeer, an einer Bucht, gegenüber ein Hügel mit Villen und römischen Ruinen. Die IHEC galt lange als eine der besten Unis des Landes - doch in den letzten Jahren kam man auch dann an einen der Studienplätze, wenn man gute Beziehungen zum Präsidenten oder seiner Familie hatte. Die jüngste Ben-Ali-Tochter hat hier studiert. Seit Januar ist sie weg - der Uni-Präsident auch.

    "Nach allem, was passiert ist, haben jetzt die Professoren die Macht übernommen. Sie haben das mit den Beziehungen abgestellt und jetzt versuchen sie, das Prestige von Karthago wieder herzustellen. "

    Sawzen steht im Auditorium der Uni - eine Kirche aus der Kolonialzeit. Jetzt liegen hier Prospekte aus von amerikanischen und japanischen Hochschulen, TOEFL-Test-Ausschreibungen, Ankündigungen von Zusatzveranstaltungen.

    "Jetzt kommen Gastredner aus dem Ausland, wir haben Chefs von Unternehmen, die bei uns auftreten, wir versuchen Partnerschaften mit Unternehmen aufzubauen, wir versuchen, das Niveau wieder zu heben, alle sind motiviert, alle wollen den Wechsel."

    Die Revolution in Tunesien hat Sawzen eine neue Welt geöffnet.

    "Ich will später eine Firma gründen. Jetzt kann ich das machen, vorher war das unmöglich. Wenn ich nämlich vorgehabt hätte, eine größere Firma aufzuziehen, wäre sicher ein Trabelsi oder ein Ben Ali gekommen und hätte gesagt: entweder wir teilen, oder Du gründest gar nichts. Jetzt geht das!"

    Auch wenn Tunesien noch strauchelt und schwankt auf dem schwierigen Weg zur Freiheit - das Risiko und die Angst haben sich gelohnt - auch wenn seit Januar mehr Studentinnen als vorher mit Kopftuch auftauchen - und die ersten einen Gebetsraum in der Uni fordern.

    "Wir waren alle so stolz, Tunesier zu sein! Nach 23 Jahren des Schweigens! Und jetzt brauchen wir noch eine kleine Revolution der Mentalität."