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Die Revolution frisst nicht nur ihre Kinder

Ideologien haben Europa im 20. Jahrhundert verwüsteten, Auseinandersetzung zwischen weltlicher und geistlicher Macht gingen ihnen voraus. All das kommt im Geschichtslesebuch des Matthias von Hellfeld vor, "Akte Europa" heißt sein Buch, "Geschichte eines Kontinents" ist der Untertitel. Grundlegend für die Entstehung und den Einbruch in das alltägliche Leben der Menschen in Europa ist zweifellos die Französische Revolution.

16.07.2007
    Eine kleine Leseprobe des Autors:

    Ende September 1792 wird bekannt, dass der in Haft sitzende König militärische Geheimnisse an die Feinde der Revolution verraten haben soll. Für diesen vermeintlichen Hochverrat wird ihm jetzt der Prozess vor der Nationalversammlung gemacht. Das Ergebnis ist klar: Der letzte absolutistische Herrscher Frankreichs muss sterben.

    Am Morgen des 21. Januar 1793 wird der Monarch mit verbundenen Augen die zehn Stufen der Guillotine hinaufgeführt. Seine letzten Worte gehen im Trommelwirbel einer Armeekapelle unter. Als das Haupt Ludwigs XVI. durch das hinabsausende Beil vom Hals getrennt ist, greift der Henker in den Korb und zeigt den schaulustigen Pariser Bürgern den blutenden Kopf des Königs. Laute "Vive la république!" - Rufe erschallen an diesem düsteren Morgen, manch einer drängt sich nach vorne, taucht sein Taschentuch ins königliche Blut - ein makabres Souvenir der Revolution. Genau wie bei der öffentlichen Hinrichtung des englischen Königs Charles I. am 16. Januar 1649 spüren die Anwesenden, dass sie im Moment der Exekution alle Brücken hinter sich abgebrochen haben. Nun gibt es kein Zurück mehr, jetzt sind es die Revolutionäre selbst, die die Verantwortung für die Nation tragen. Für alles, was von nun an geschieht, können sie nur sich selbst richten. Und genau wie vor 154 Jahren gehen die Zuschauer des mörderischen Spektakels niedergeschlagen nach Hause. Sie ahnen, einem Vatermord beigewohnt zu haben, der sie unwiderruflich mit der Revolution verstrickt.

    Als Jean Paul Marat heimtückisch ermordet wird, hat die Revolution ihren ersten Märtyrer und einen letzten Anlass das von Dr. Joseph Ignace Guillotin entwickelte gleichnamige Schafott seiner blutrünstigen Bestimmung zuzuführen. Die Delinquenten spürten allenfalls einen kurzen Hauch über dem Nacken hatte der Arzt den Konvents-Abgeordneten versichert und damit deren letzte Skrupel bei der rücksichtslosen Bekämpfung der Revolutionsgegner zerstreut. Kopf und Lenker des nun einsetzenden Terrors ist Maximilian Robespierre, der zunächst die gemäßigten Girondisten aus den Reihen der Revolution ausschließt und ihnen dann einen Prozess macht, der diesen Namen nicht verdient. Ende Oktober 1793 werden unter dem Jubel tausender Zuschauer 21 führende Girondisten umgebracht. Unter ihnen befindet sich auch Pierre Vergniaud, der sein Leben mit dem legendären Satz "Die Revolution frisst ihre Kinder" beendet.

    Die Revolution frisst aber nicht nur ihre Kinder sondern auch ihre Väter. Als am 5. April 1794 Georges Jacques Danton die letzten Stufen zum Schafott hinaufgehen muss, erreicht die Henkershand einen der klügsten Köpfe der Revolution. Spätestens mit Dantons Tod, dem der Dramatiker Georg Büchner mit seinem gleichnamigen Werk später ein Denkmal gesetzt hat, ist es jedem Zeitgenossen klar, dass der "Wohlfahrtsausschuss", von dem die Todesurteile ausgehen, eine blutrünstige Diktatur ausübt. Die französische Revolution geht Mitte des Jahres 1794 auf die schlimmste Phase der Terrorherrschaft zu, am 10. Juni wird das so genannte "Schreckensgesetz" verkündet, das die Hinrichtung von Verdächtigen auf dem Verwaltungswege erlaubt. Jetzt werden täglich zwischen 50 und 100 Menschen im Namen der Revolution ins Jenseits befördert. Am 27. Juli 1794 macht der Wahnsinn auch vor seinem Erfinder nicht halt, Maximilian Robespierre wird verhaftet und einen Tag später unter großer öffentlicher Anteilnahme guillotiniert. Das sich anschließende Volksfest signalisiert das Ende der Schreckensherrschaft.


    Matthias von Hellfeld las aus seinem Buch "Akte Europa - Geschichte eines Kontinents", erschienen bei dtv in München; das Buch hat 414 Seiten und kostet 16 Euro 50.