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Die Revolution wird gefilmt

150 Millionen Videokameras hat die Industrie seit 1985 weltweit verkauft. Auf ihre Mini-DV-Bänder speichern Amateure und Halbprofis so viele bewegte Bilder wie nie zuvor in der Geschichte. Auf den Bändern sind zwar meist Hochzeit, Familienfeier, Urlaub, spielende Kinder zu sehen - überall auf der Welt haben auch politische Gruppen das Potenzial der allseits verfügbaren Kameras erkannt. Dass Videobilder allseits verfügbar und relativ preiswert weiter zu verarbeiten sind, hat die Informationsflüsse in der Welt verändert. Das Phänomen ist Thema einer Konferenz mit dem Titel "Camcorder Revolution" in Köln.

Von Ulli Schauen | 12.03.2005
    Auf der philippinischen Insel Mindanao kämpfen Ureinwohner um das Land, auf dem sie leben. Seit Jahren wollen Holzkonzerne das Makanata-Volk von ihrem Land verdrängen. Das Recht ist auf Seiten der Makanata, aber wenn sie sich wehren, tauchen bezahlte Killer auf und terrorisieren sie - und die Polizei bleibt untätig.

    Aber diesmal wird der Terror gefilmt. Zwei Aktivisten werden gefunden - einer stirbt vor laufender Kamera. Auf Mindanao half die internationale Organisation "Witness" - Zeugen - den Ureinwohnern zu der neuen Technologie. Sie schenkte ihnen eine Kamera, und dazu Kurse und Unterstützung beim Drehen und Schneiden. Die Videoaufnahmen erzeugen internationale Aufmerksamkeit - zum ersten Mal werden die Mörder festgenommen.

    Katerina Cizek aus Kanada zeigt dies in ihrem Video "Seeing is believing". Es enthält Beispiele aus aller Welt über das, was Cizek die "Camcorder Revolution" nennt, eine Umwälzung der Informationsflüsse durch die neuen Techniken.

    " Ich wäre keine Filmemacherin geworden, gäbe es diese Revolution nicht. Jeder meiner Filme hat entscheidende, wichtige Szenen, die von Amateurfilmern gedreht wurden. Die haben zum Beispiel die Massaker in Ruanda gefilmt, als die Fernsehteams aus dem Westen abgereist waren."

    Manche treibt die Erfahrung mit den etablierten Medien dazu, Videoaktivist zu werden. Bärbel Schönafinger war als professionelle Videocutterin ausgelastet, aber unzufrieden und verließ ihre Arbeit.

    " Für mich war das eine riesige Enttäuschung. Ich fand das total uninteressant und schlecht. Deswegen wollte ich selbst über die Inhalte bestimmen, die Filme, die ich mache. Und deshalb war es notwendig, ein eigenes Distributionssystem aufzubauen""

    Mit anderen zusammen gründete sie Kanal B, eine globalisierungskritische Videogruppe. 800 Videoclips kann man auf ihrer Website aufrufen. 250 Aktionsgruppen lassen sich sechs mal im Jahr ihre Videomagazin per Post schicken.

    Bärbel Schönafinger drehte eine Dokumentation über den Terror gegen Gewerkschafter im Norden Kolumbiens. Dabei verglich sie ihre eigenen Beobachtungen mit dem, was sie über Kolumbien im Fernsehen zu sehen bekam.

    " Da hab ich zufällig zwei Fernsehdokumentationen angeguckt, und diese verlaufen nach dem Schema, Man geht hin, redet mit den lokalen Autoritäten, die Menschen die dort leben, sind Statisten ihres eigenen Elends, werden aber nicht selber befragt. Und es wird so eine Geschichte erzählt "oh, guck mal hier ist Krieg, ist ganz schrecklich, alle laufen mit Waffen rum, das kann doch nicht sein" Also die Einordnung fehlt. Dass der Zuschauer damit etwas anfangen könnte und sich sagen kann, aha, so läuft der Hase, deswegen werden da Menschen umgebracht, das wird überhaupt nicht erklärt in den allermeisten Fällen."

    Ob nun ein Videofilmemacher zu Aktivisten werden oder Aktivistinnen ein Video machen - einerseits freuen sie sich, dass sie ohne Vorgaben und Zwänge ihre Videos machen können, dann wieder richten sie ihre Blicke auf das Fernsehen, wo es mehr Geld und mehr Zuschauer gibt.

    Doch viele Fernsehredakteure winken da ab, wie zum Beispiel Jan Metzger, der beim Hessischen Rundfunk für Videojournalisten zuständig ist. Fernsehen ist für die Mehrheit da, sagt er - und Gegenöffentlichkeit soll Gegenöffentlichkeit bleiben.

    " Ich halte es für eine Illusion und für eine Überforderung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, wenn Leute, die ganz bewusst radikale, randständige Positionen vertreten, was ihr völlig gutes Recht ist, wenn diese Leute glauben, dass sie damit eins zu eins im öffentlich-rechtlichen Rundfunk landen können."

    Manches könnte nie im Fernsehen gesendet werden, wie das Video des internationalen Netzwerks indymedia über eine Polizeiaktion in Hamburg. Montiert haben die Aktivisten den Clip aus abgehörtem Polizeifunk und aus Aufnahmen des Norddeutschen Rundfunks - und das ist alles illegal. Aber das Video hatte einen Effekt. Im Prozess gegen Demonstranten wurde deutlich, wie wahllos die Hamburger Polizei Jagd auf Demonstranten machte. Die Demonstranten wurden frei gesprochen.

    70 Gruppen stellen in aller Welt Texte, Fotos und Videos auf die Websites von indymedia, wo sie jederzeit abgerufen werden können - eine Plattform für Globalisierungskritiker, Menschenrechtler, Atomgegner und andere. So finden dann die Bilder von der fünfzigsten Polizeiaktion gegen die hundertste Demonstration den Weg in die Öffentlichkeit, seltener hingegen ein Werk mit Hintergrund und differenzierter Recherche.

    "Nehmt das muslimische Schild da runter, sofort." Der serbische General gibt Anweisungen beim Einmarsch seiner Truppen in Srebrenica, wo sie tausende Einwohner umbringen. Und ein Videofilmer der serbischen Armee filmt ihn dabei - das Video soll später beitragen zum Ruhm der Soldaten. Doch es kommt anders. Das Video wird zum Beweisstück beim internationalen Gerichtshof in Den Haag, der General wird verurteilt.

    Auch Kriegsverbrecher, Rechtsradikale, Faschisten, Terroristen nutzen die neuen Möglichkeiten der Medien, Videos werben für Selbstmordattentate. Ob Gut oder Böse, richtig oder falsch, schwarzweiß oder differenziert, laut oder leise, Hintergrund oder Propaganda - keine Redaktion sortiert die Bilderflut bei den Videoaktivisten. Der Zuschauer entscheidet alleine, was er konsumiert, glaubt und konsumiert.