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Die "richtige" Ernährung

Wann ist ein Jogurt "fettarm"? Wann "zuckerfrei"? Die EU-Kommission will es oftmals genau wissen - und hat eine EU-Werberichtlinie angestoßen, die die Produktaussagen künftig auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen soll. Für alle Bezeichnungen sollen exakte Nährwertprofile erstellt werden. Doch wie genau wollen wir das eigentlich wissen? Wie mündig ist der Verbraucher? Was ist nötig und was einfach nur das Ergebnis der aufgeblasenen Brüsseler Bürokratie? Darüber diskutierten gestern in Bonn Verbraucherschutz- und Lebensmittelexperten bei der Jahrestagung der Stockmeyer-Stiftung.

Von Ditmar Doerner |
    Etwas verordnen heißt üblicherweise etwas verfügen, bestimmen, diktieren. Deswegen verursacht der Titel der Tagung "Das verordnete Lebensmittel" erst einmal Stirnrunzeln. Und hinterlässt natürlich die Frage: Wer ordnet an!? Es sind die europäischen Politiker, meint die Direktorin der Südzucker AG aus Mannheim Susanne Langguth:

    Insbesondere ist die deutsche Lebensmittelwirtschaft hoch besorgt über ein Vorhaben der Europäischen Kommission, danach soll es künftig nicht mehr möglich sein, bestimmte Lebensmittel auf Nährstoffeigenschaften, auf gesundheitliche Eigenschaften, ich nenne mal das Beispiel Hustenbonbon, mit dieser Bezeichnung zu versehen, und zwar solche Lebensmittel nicht, die einen bestimmten Gehalt an Zucker, an Fetten, an Salz oder Alkohol aufweisen.

    Die Folge könnte sein, dass z.B. Hustenbonbons zukünftig nicht mehr in Supermärkten zu finden sind, weil sie - wegen ihrer gesundheitlichen Wirkung als Arzneimittel deklariert - nur noch in Apotheken verkauft werden dürfen. Das, so Susanne Langguth, sei ein typisches Beispiel für vorschnelle Eingriffe von EU-Politikern in die Lebensmittelbranche:

    Es zeigt die ganze Absurdität der Brüsseler Bürokratie. Ich glaube, dass noch kein Kind von dem Genuss von Bonbons dick geworden ist, schon gar nicht von Hustenbonbons, die Karies nehmen bei uns rapide ab, der Zuckerkonsum ist gleichgeblieben, also es gibt eigentlich gar keine Indikatoren, dass man nun eine solch massive Bremse ziehen müsste, ich glaube, da haben sich die Bürokraten in Brüssel etwas ausgedacht und wollen es nun auf Biegen und Brechen durchsetzen.

    Stichworte, die ebenfalls auf der Konferenz in Bonn immer wieder fallen, sind Überregulierung, Unterregulierung und Fehlregulierung. Sie sind eine höfliche Umschreibung dafür, dass sich die europäische Kommission nach Ansicht vieler deutscher Lebensmittelexperten und auch Verbraucherschützer manchmal zu viel, manchmal zu wenig und manchmal einfach falsch um Produkte der Lebensmittelindustrie kümmert. Ganz besonders häufig, sagt Edda Müller vom Bundesvorstand der Verbrauchzentrale, sei die Fehlregulierung: Ein Beispiel dafür sei das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, das zum Beispiel häufig kleine Ökobauern gegenüber großen Molkereibetrieben benachteilige:

    Gerade die Lebensmittelbranche und auch die Erzeuger, die Landwirtschaft, leiden darunter, dass den Menschen viel vorgegaukelt wird, mit ländlicher Idylle zum Beispiel. Wenn man heute Lebensmittel vermarktet, dann schafft man die Illusion eines Bauernhofes, der Erzeugung der Tiere und der Pflanzen etwa nach Vorstellung des 18. Jahrhunderts. Der Käse kommt von einer Milch, die von einer Sennerin die Alm heruntergetragen wird, und gleichzeitig leidet die Landwirtschaft darunter, weil die erhöhten Kosten, die sie in bestimmte Anstrengungen in Umwelt und Tierschutz treiben, nicht ausreichend transportiert werden können.

    Doch wie ist diese Fehlregulierung zu erklären? Edda Müller findet die Antwort in der Uneinheitlichkeit der gesetzlichen Bestimmungen, die bereits innerhalb Deutschlands von Bundesland zu Bundesland zu finden ist:

    Informationen z.B. über die Herstellungsmethoden sind nicht eindeutig geregelt, da kann jeder sagen: "Das ist ein Produkt, das ist besonders tiergerecht hergestellt", aber die Definition "Was ist eigentlich tiergerecht? " ist nicht da, also Tür und Tor geöffnet für irreführende Werbung und damit auch ein Nachteil für die Unternehmen, die mit höheren Kosten produzieren und die glaubhaft diesen Vorteil gegenüber dem Verbraucher auch transportieren wollen.
    Kopfschütteln ernteten die EU-Politiker von den Lebensmittelexperten besonders im Marmeladen-/Konfitürenstreit, einem Beispiel für Überregulierung. Seit Generationen unterscheiden die meisten Menschen die beiden Brotaufstriche dadurch, dass Marmelade aus ganzen Früchten hergestellt wird, Konfitüre aber aus dem gelierten Saft. Nach EU-Recht besteht Marmelade aber aus Zitrusfrüchten, während die Bezeichnung Konfitüre allen übrigen Früchten vorbehalten ist. Damit aber Marmelade auch zukünftig noch von Konfitüre unterschieden werden kann, muss Marmelade unter der Bezeichnung "Marmelade aus Zitrusfrüchten" verkauft werden.
    Solche Beispiele sind es, die deutsche Lebensmittelexperten verärgern. Ihre Forderung an Brüssel: Einheitliche Richtlinien - mit Augenmaß.