Freitag, 29. März 2024

Archiv


Die Römerin

Romananfänge sagen oft mehr als tausend Worte: "Mit sechzehn war ich eine wirkliche Schönheit. Mein Gesicht war ein vollkommenes Oval, schmal an den Schläfen und unten etwas breiter, mit lang gezogenen, großen, sanften Augen, einer geraden Nase, die eine Linie mit der Stirn bildete, und einem großen Mund mit schönen roten, vollen Lippen, die, wenn ich lachte, regelmäßige und strahlend weiße Zähne zeigten." Mit diesen Sätzen beginnt Alberto Moravias 1947 erschienener Roman "Die Römerin". Ein Anfang, der, ehrlich gesagt, keine große Lust bereitet weiterzulesen. Die Frau, die da so unbedarft eingebildet die eigene Schönheit preist heißt Adriana und ist Die Römerin . Die deutsche Erstausgabe des Romans erschien 1950 in der Übersetzung von Dorothea Berensbach.

Shirin Sojitravalla | 15.08.2003
    Michael von Killisch-Horn hat Die Römerin nun abermals übersetzt, sanft modernisiert, hier und da glücklichere Wendungen gefunden, ihn etwas abgestaubt, prägnanter und klarer gemacht. Überzeugend seine Idee, das von Adriana dauernd benutzte "Die Mutter" durch "Die Mama" zu ersetzen. Vieles aber ist gleich geblieben, die Tonart ist die alte. Doch die Neuübersetzung wird dem Roman ohnehin nicht helfen, er wird nicht viele Leser finden. Moravia ist längst kein gefragter Autor mehr, und nachdem man jetzt "Die Römerin" noch einmal gelesen hat, fragt man sich, warum eigentlich?

    Auf mehr als 500 Seiten versteht es Moravia schließlich, nicht zu langweilen, eine Geschichte zu präsentieren, die mit knackigen Überraschungen aufwartet, mit Spannung nicht geizt und doch auch eine anrührende, wenn auch etwas altmodische Liebesgeschichte bietet. Der Roman spielt im faschistischen Italien der 30er Jahre. Doch für Politik interessiert sich Adriana höchstens der Liebe wegen. Sie liest in der Zeitung am liebsten das Vermischte, wo auch ihr eigenes Leben herrlich hineinpassen würde. Denn ihr Lebenslauf gleicht nicht selten einem schlechten Roman. In armen Verhältnissen wächst das hübsche Ding unter der Obhut seiner Mutter heran. Die hat ihre Tochter und deren Karriere immer fest im Blick, bringt sie erst als Aktmodell in diverse Malerateliers, bis sie Adriana so weit hat, die Männer auch in ihr Bett zu lassen.

    So wird aus dem Mädchen mit dem schönen Körper eine geschäftstüchtige Hure. Adriana erzählt uns ihr Leben im Rückblick und irgendwie schließt man die einigermaßen dumme Gans ins Herz. Dabei gibt es keinen Grund dafür. Sie ist von einer Naivität, die rasend macht, von einer Unbedarftheit, die geschüttelt werden will und hängt nicht ausrottbaren Kleinmädchenträumen nach. Denn ganz im Gegensatz zu ihren literarischen Kolleginnen möchte Adriana gar nichts weiter als bloß ein ganz normales Leben führen. Das heißt für sie: ein Mann, ein Haus, ein Kind. Von dieser "Schatz-wie-war-dein-Tag?-Idylle" erhofft sie sich ihr ganzes Lebensglück. Adriana geht es nicht um den Aufstieg in die höhere Gesellschaft, den Zolas Nana verfolgte und sie möchte auch kein "Glanz" werden wie das kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun. Nein, Adriana möchte bloß raus aus der Enge ihrer Verhältnisse, um hernach nicht weiter aufzufallen. Doch da das Leben nicht macht, was wir wollen, verliebt sich Adriana in den eigenbrötlerischen und schwierigen politischen Aktivisten Giacomo. Schwanger wird sie dann von einem gesuchten Mörder und von einem Haus ist auf den letzten Seiten des Romans schon gar nicht mehr die Rede.

    Warum aber bloß mag man diese Frau, die bei Licht besehen, fad und hohl erscheint. Ganz einfach, der Leser hat Mitleid mit ihr, und zwar in erster Linie deswegen weil Moravia möchte, dass er Mitleid mit ihr hat. So lässt er Adriana an einer Stelle sagen: "Ich dachte, dass wohl auch alle anderen mindestens einmal am Tag spüren müssten, dass ihr Leben auf einen Punkt unaussprechlicher und absurder Angst zusammenschrumpfte. Nur, dass auch bei ihnen dieses Wissen keine sichtbare Wirkung zeitigte. Sie gingen aus dem Haus und spielten ganz aufrichtig ihre Rolle. Dieser Gedanke bestärkte mich in meiner Überzeugung, dass alle Menschen ohne Ausnahme Mitleid verdienten, und sei es nur, weil sie lebten." Abgesehen davon, dass man sich wundern darf, wie Adriana, das einfache Mädchen aus dem Volk, zu solchen Gedankengängen kommt, formuliert sie hier Moravias Hauptanliegen beim Schreiben: Das Mitleiden mit den Figuren, das ihn selbst erfüllt und das er beim Leser erzeugen möchte. In diesem Roman schafft er das lässig, auch weil er trotz einiger sozialromantischer Verklärungen das Abgebrühte und Selbstverlogene der Römerin nicht ausspart.