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Die Rolle der großen Tiere als Nährstofftransporter

Als vor 12.000 Jahren in Südamerika die jüngste Eiszeit zu Ende ging, verschwanden Riesenfaultiere, Mammuts oder die gepanzerten Glyptodonten. Nun haben britische und amerikanische Forscher festgestellt, dass mit diesen Tieren auch die wichtigsten Nährstoffverteiler ausstarben.

Von Dagmar Röhrlich | 12.08.2013
    Man könnte es durchaus als posttraumatischen Stress einer Landschaft bezeichnen: Den Ergebnissen der Modellrechnungen britischer Umweltforscher zufolge, leiden in Südamerika die mit dem Amazonasbecken verbundenen Ökosysteme heute noch unter dem Aussterben der großen Tiere, erklärt Chris Doughty von University of Oxford:

    "Den meisten Menschen ist nicht klar, dass bis vor 12.000 Jahren in Südamerika viele große Tiere gelebt haben. Es gab drei Arten von Elefanten, Riesenfaultiere ..."

    Insgesamt 64 Arten verschwanden: Alles Tiere der sogenannten Megafauna, das heißt, sie wogen mindestens 44 Kilogramm, konnten aber auch ein paar Tonnen auf die Waage bringen. Chris Doughty und sein Team fragten sich, welche Folgen das Verschwinden dieser Riesen für die Verteilung von mineralischen Nährstoffen hatte. Die Herkunft dieser Nährstoffe ist im Amazonasbecken klar: Es sind die Anden. Die Verwitterung löst die Nährstoffe heraus, sie werden durch das Flusssystem verteilt und an den Ufern und in den Überschwemmungszonen von den Pflanzen aufgenommen:

    "Dann verteilen die Tiere die Nährstoffe: Sie fressen die Pflanzen und wandern dann in trockenere Gebiete, wo sie Dung absetzen. Auch wenn sie einmal sterben, sind ihre Körper nährstoffreich. Die Tiere schaffen also die mineralischen Nährstoffe von den Plätzen, wo sie reichlich vorkommen, dorthin, wo sie seltener sind. Für die Modellrechnungen haben wir auf diese ausgestorbenen Tiere eine Erkenntnis übertragen, die an den heute lebenden Vertretern der Megafauna gewonnen worden ist. Und zwar verfrachten Elefanten oder Bisons Nährstoffe 50 Mal weiter als kleine Tiere. 100 kleine Tiere, die es zusammen auf die Größe eines einzigen großen bringen, haben nicht denselben Effekt wie dieses eine große."

    Der Grund: Dieses eine große Tier frisst und bewegt sich sehr viel mehr als die vielen kleinen. Und so soll im Amazonasbecken das Verschwinden der Megafauna am Ende der jüngsten Eiszeit gewaltige Konsequenzen für die Nährstoffversorgung gehabt haben:

    "Unseren Berechnungen zufolge ging die Nährstoffverteilung um 98 Prozent zurück. Heute sind die Regionen außerhalb der Überflutungsflächen sehr viel schlechter mit Nährstoffen versorgt als in der Vergangenheit."

    Und noch geht der Abwärtstrend weiter, wenn auch sehr viel langsamer als in der ersten Zeit nach dem Verschwinden der großen Tiere. Ökosystemforscher Tanguy Daufresne vom französischen Nationalinstitut für Agronomieforschung, der selbst nicht an den Arbeiten beteiligt war, hält die Ergebnisse seiner Kollegen für äußerst interessant:

    "Abhängig vom Gestein sind die Nährstoffe im Untergrund kleinräumig verteilt. Die Megafauna homogenisiert danach diese Nährstoffe über lange Zeiträume in den Böden und damit auch in den Pflanzen."

    Chris Doughty und sein Team hatten sich bei ihren Berechnungen auf den Phosphor konzentriert, der in Urwäldern als wichtigster Nährstoff gilt. Und genau der Phosphor ist im andenabgewandten Teil des Amazonasbeckens rar, seitdem die großen Tiere ihn nicht mehr von den Flüssen ins Hinterland befördern. Als Folge wachsen die Bäume dort heute langsamer als im andenzugwandten Teil, so Chris Doughty:

    "Die großen Tiere spielen in der Umwelt die Rolle der Arterien in einem Körper. Als sie verschwanden, wurden weite Gebiete von der Versorgung mit mineralischen Rohstoffen regelrecht abgeschnitten."

    Inzwischen zeigen erste Berechnungen, dass am Ende der Eiszeit das Aussterben der Megafauna in Nordamerika, Europa oder Asien ähnliche Konsequenzen gehabt hat. Und auch derzeit beeinflusst das Verschwinden großer Tiere wieder die Nährstoffkreisläufe. Diesmal in Afrika: Einer neuen Studie aus dem Kruger Nationalpark in Südafrika zufolge, wird das Ausrotten von Elefanten und Nashörnern in Afrika den gleichen Effekt mit sich bringen wie das Verschwinden der Megafauna vor 12.000 Jahren.