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Die rote Antilope

Daniel sehnt sich nach der Wüste, nach dem heißen Sand unter seinen Füßen, nach der Sonne Afrikas. In Schweden ist es bitterkalt, die Schuhe an Daniels Füßen sind klobig und schwer. Wenn er barfuß geht, bleibt feucht - kalter Lehm an seinen Fußsohlen kleben.

Simone Hamm |
    Feuchter Lehm klebt auch unter den Schuhen von Kommissar Wallander. Lehm, in dem er stecken bleibt, auf dem er ausrutscht, als er um sein Leben läuft.

    Zwei neue Bücher von Henning Mankell sind erscheinen, ein anrührender Roman über ein afrikanisches Kind Die rote Antilope und ein neuer Krimi Die Brandmauer. Beide Romane spielen in Schweden und in Afrika. Jeder setzt sich auf seine Weise mit dem Kolonialismus und dessen Folgen auseinander.

    Mitte der 70-ger Jahre des 19. Jahrhunderts träumt der schwedische Biologiestudent Hans Bengler davon, einen noch unbekannten Käfer oder eine Fliege zu finden, ein Insekt, dem er seinen Namen geben kann. Er sucht danach in Südwest - Afrika. Er kehrt nach Schweden zurück mit einer Kiste voller aufgespießter Insekten - und einem afrikanischen Knaben, der vielleicht neun Jahre alt ist. Er stammt aus der Kalahari Wüste, seine Eltern sind von marodierenden deutschen Abenteurern ermordet worden. Irgendwie ist der Junge in die von dem zynischen Schweden Wilhelm Andersson geleitete Handelsstation gelangt. Andersson klärt Hans Bengler sofort auf über die Europäer, die ins südliche Afrika kommen:

    Hier können sie ihre Hautfarbe und ihren Gott geltend machen. Müssen nichts können, nichts wollen. Hier lebt man gut davon, Menschen zur Unterwerfung zu zwingen. Hierhin kommen Analphabeten aus Deutschland, und plötzlich sind sie Vorarbeiter von hundert Afrikanern und maßen sich das Recht an, nach Belieben über sie zu verfügen. Östlich von dieser Wüste machen die Engländer genau dasselbe, nördlich von uns sitzen Portugiesen und singen ihre sentimentalen Lieder und peitschen ihren schwarzen Arbeitern die Haut vom Leib. Nach Amerika exportieren wir Tüchtigkeit. Nach Afrika kommen entweder Erweckungsprediger oder träge Bestien.

    Einer plötzlichen, unkontrollierten Eingebung folgend, und vielleicht auch, um zu beweisen, dass er weder Erweckungsprediger noch träge Bestie ist, entschließt sich Hans Bengler, den Jungen mit nach Hause zu nehmen. Anderson runzelt die Stirn:

    Sie bilden sich ein, er würde überleben? Eine Reise auf dem Meer? Die Kälte in Schweden? Schnee und Wind und all' die stummen Menschen? Sie sind nicht nur verrückt. Sie sind außerdem überheblich. Haben sie Ihr Insekt schon gefunden?

    Hans Bengler fragt der Jungen weder wie er heißt noch woher er kommt. Er gibt ihm einen Namen: Daniel. Daniel aus der Löwengrube. Er bringt ihn nach Schweden. Dort wird Daniel begafft und bestaunt, bald für den edlen Wilden, bald für den Satan gehalten. Henning Mankell hat auch einen Roman über das Verstehen geschrieben. Und über das Nichtverstehen. Und einen Roman über die, die es gut meinen und doch das Falsche tun. Denn Schweden wird Daniel immer fremd bleiben. Und die Menschen in Schweden wissen wenig von Daniels Gefühlen und Gedanken. Alma, die Frau bei der er aufwächst, konstatiert traurig, aber nüchtern:

    Er sehnt sich zu Tode. Aber wonach sehnt er sich? Nach Eltern, die tot sind? Nach Sand,der unter seinen Füßen brennt? Er sehnt sich nach Hause. Was immer das sein mag, das ist es, wonach er sich sehnt.

    Daniel will um jeden Preis nach Afrika zurück, und koste es ihn sein Leben. Den Tod fürchtet er nicht. Von nichts und niemandem will er sich aufhalten lassen. Noch nicht einmal von bösen Geistern, die ihm in Gestalt von freundlichen Menschen begegnen. Er wehrt sich. Er schlägt grausam zurück.

    Behutsam versucht Mankell seinen Lesern die fremde Welt Afrikas nahezubringen. Er betrachtet Schweden durch die Augen Daniels. Dem angemessen ist seine schlichte, sparsame und unsentimentale Sprache.

    "Nach Afrika kommen entweder Erweckungsprediger oder träge Bestien", hatte es in Die rote Antilope geheißen. Das ist auch hundert Jahre später nicht anders. Es sind die Gutmenschen, die nach Afrika kommen, um zu helfen und die angesichts der rohen Realität allzu oft zu kalten Zynikern werden. Und schlimmer noch. Davon erzählt Henning Mankell in seinem neuesten Krimi Brandmauer.

    Carter lebt in Angola. Er beobachtet, wie die westlichen Industrienationen im Verein mit der Weltbank das Land zu Grunde richten:

    Er hatte zwei Jahre gebraucht, um einzusehen, dass das, was die Bank tat, vollkommen falsch war. Statt das Land in seiner Selbständigkeit zu stärken und den Wiederaufbau des vom Kriege verwüsteten Landes zu erleichtern, trug die Bank eigentlich nur dazu bei, die Reichen noch weiter zu mästen. Seine Machtposition brachte es mit sich, dass ihm ständig kriecherische und ängstliche Menschen begegneten. Hinter radikalen Phrasen entdeckte er Korruption, Feigheit und schlecht maskierte Eigeninteressen.

    Carter versucht dagegen anzugehen. Ohne Erfolg. Resigniert und verbittert wird er zu einem fanatischen Sektierer. Er erklärt dem globalen Finanzsystem den Krieg. Und er hat es leicht, in die Zentralen der Macht einzudringen, in die Banken, die die Welt beherrschen. Vom Computer aus. Geschützt werden ihre Programme wie auch das ihres Gegners von einer Art Brandmauer. Die muß übersprungen werden, wenn ein Hacker in die Systeme eindringen will.

    Die Brandmauer ist ein Buch über die Verletzlichkeit unserer hochtechnisierten Welt und damit hochaktuell.

    Es ereignete sich eine andere Revolution. Die Revolution der Verwundbarkeit, in der immer mächtigere, doch gleichzeitig immer anfälligere elektronische Knotenpunkte zu Schaltstellen der Gesellschaft wurden. Die Effektivität wuchs um den Preis dessen, dass man sich wehrlos machte gegenüber Kräften, die Sabotage und Terror betrieben.

    Es gibt nicht wenige, die Carter folgen und ihm helfen. So lernt er in Angola einen Computerprogrammierer kennen, einen der besten seines Faches, einen Mann aus Schweden. Doch Carters Plan droht zu platzen. Denn eines Tages liegt dieser Mann tot vor einem Geldautomaten. Fast gleichzeitig wird ein Taxifahrer von zwei jungen Mädchen ermordet. Kommissar Wallander beginnt zu ermitteln. Er ist entsetzt von der Kälte der Mädchen. Und damit hat Henning Mankell sein Thema von der maroden westlichen Gesellschaft auch in seinem neuesten Krimi aufgegriffen. Er läßt Wallander klagen:

    Es wuchs eine Gesellschaft heran, die er überhaupt nicht mehr kannte. Bei seiner Arbeit sah er ständig Beispiele für die brutalen Kräfte, die Menschen unbarmherzig an die äußersten Ränder schleuderten. Er sah junge Menschen den Glauben an ihren eigenen wert verlieren, bevor sie noch die Schule abgeschlossen hatten. Er sah ständig zunehmenden Mißbrauch, er erinnerte sich an Sofia Svensson, die seinen Rücksitz vollgekotzt hatte. Schweden war eine Gesellschaft, in der alte Risse sich weiteten und neue sich auftaten, ein Land, in dem unsichtbare Zäune die schrumpfenden Gruppen umgaben, die gut lebten. Gegen diejenigen, die an den kalten Rändern lebten, wurden hohe Mauern errichtet: Verlierer, Suchtabhängige, Arbeitslose.

    Für Kommissar Wallander sind die Brutalität der Jugendlichen und der Zynismus von Organisationen wie der Weltbank zwei Seiten ein und derselben Medaille. Und das sind sie auch für Henning Mankell. Schon in "Der Mann, der lächelte" geht es um Verbrechen in Zeiten der Globalisierung. Aber schon da wirkte manches plakativ und ungereimt.

    In der Brandmauer gelingt es Mankell nicht, die beiden schrecklichen Aspekte der modernen westlichen Gesellschaft zusammenzubringen. Der brutale Mord an dem Taxifahrer und die geplante Attacke auf die Schaltstellen der Macht stehen nebeneinander.

    Warum wer wen umgebracht hat, wird, anders als in den anderen Krimis von Mankell, auf den langen Schlussseiten erklärt und erschließt sich dem Leser nicht aus dem Text heraus. Fast 600 Seiten lang ist die Brandmauer. Vielleicht wäre es klüger gewesen, zwei Bücher daraus zu machen, eines über den alternden Kommissar, der an der Rohheit und Kälte der westlichen Gesellschaft verzweifelt und eines über die kriminellen Schattenseiten der Globalisierung.