Freitag, 17. Mai 2024

Archiv


Die Rückkehr der Heiligen

Im 12. Jahrhundert wurde Köln wegen der Reliquien der Heiligen Drei Könige zum bedeutendsten Pilgerort in Mitteleuropa. Durch den Pilgerboom entstand in der Stadt ein eigener religiöser Kunststil. Mehr als 200 Kunstwerke aus aller Welt, die damals in Köln angefertigt wurden, sind zurzeit im Kölner Museum Schnütgen zu sehen.

Von Kirsten Serup-Bilfeldt | 10.02.2012
    "Köln ist eine Stadt mit einer Menge von Heiligen, die nur noch von Rom übertroffen wird. Durch die Märtyrerinnen der Heiligen Ursula gibt es hier einen unglaublichen Fundus an Reliquien, gibt es die Heiligen Drei Könige, den Heiligen Maternus und den Heiligen Gereon, also hier wimmelt es von Heiligen."

    Köln gehört schon zur Zeit des Römischen Reiches zu den ältesten christlichen Gemeinden nördlich der Alpen. Und als dann Kaiser Friedrich Barbarossa im 12. Jahrhundert die Reliquien der Heiligen Drei Könige nach Köln bringen ließ, wurde die Stadt am Rhein für Jahrhunderte zu einem der bedeutendsten Pilgerzentren in Mitteleuropa. In Kölner Werkstätten entstand damals eine religiöse Kunst von internationalem Rang. Auftraggeber waren vor allem Familien des Kölner Bürgertums. Der Kunsthistoriker Thomas Blisniewski:

    "Dieses Bürgertum hat Kunst gestiftet. Das Ganze geht darum, sich einen Schatz für das Jenseits zu erwerben, Seelgerät zu erwerben; gewissermaßen: ein Punktekonto, das man sich im Himmel anlegt durch gute Taten. "

    Aber die Heiligen sorgten nicht nur für den persönlichen Schutz und das Seelenheil, sondern sie stifteten auch städtische Identität, halfen gegen Feinde von außen und waren Garant für Bürgerstolz und Bürgerfreiheit. Kostbare Heiligenbilder, Altartafeln und Reliquienbüsten, die alle im Mittelalter in Köln entstanden sind und heute weltweit in Museen ausgestellt werden, hat die Kunsthistorikerin Dagmar Täube vom Kölner Schnütgen-Museum für eine Ausstellung jetzt nach Köln geholt.

    "Der Berliner Engel, das Osnabrücker Kapitelkreuz, das als frühes Vortragekreuz ein beeindruckendes Stück früher Goldschmiedekunst ist, die frühen Tafelmalereien, der Linzer Altar, der zum ersten Mal seit 550 Jahren an den Ort seines Ursprungs zurückgekehrt ist und eigentlich noch eine liturgische Funktion in der Marienkirche in Linz besitzt oder die Kreuzigungsgruppe aus Budapest. Es ist ein Feuerwerk an Spitzenstücken. All diese Schätze einmal Seite an Seite zu zeigen, um den typischen kölnischen Kunststil hervorzuheben - das war uns wichtig."

    Zu diesem "kölnischen Kunststil" gehört das berühmte "Kölner Lächeln". Es ist das charakteristische Lächeln von Madonnenfiguren, weiblichen Heiligen und Märtyrerinnen. Sie lächeln: mal sanft, mal andächtig, oftmals augenzwinkernd-verschmitzt, aber immer fröhlich. Was ja vor allem bei den Märtyrerinnen verwundern mag, sind sie doch eines grausamen Todes gestorben. Doch das, so Thomas Blisniewski, sei keineswegs ein Widerspruch:

    "Ich denke, dass sie fröhlich sind, weil sie der Gottesschau, der ewigen Seligkeit, näher gerückt sind. Diese Märtyrerinnen sind, und dafür gibt es ja ganz viele literarische Überlieferungen, freudigen Herzens Märtyrerinnen geworden. Sie haben nicht ihr Schicksal beklagt, sondern sie haben dieses Schicksal... angenommen und sind freiwillig in den Tod gegangen, für ihren Glauben. Sicherlich ist das auch ein Stilphänomen - nur dieses Kölner Lächeln ist schon sehr eigen und besonders schön."

    Tod und Jenseits sind immer wiederkehrende Themen bei diesen Kunstwerken. Mit sparsamsten Mitteln verdeutlicht das etwa eine kleine bemalte Glasscheibe, auf der zwei Kinder Seifenblasen aufsteigen lassen; auf dem darunterliegenden Schriftband stehen die Worte: "homo bulla est":

    "Der Mensch ist vor Gott wie eine Seifenblase, ganz flüchtig geht er dahin und platzt. Und das spielt in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gedankenwelt eine große Rolle."

    Die Kunstwerke spiegeln unterschiedliche Glaubenshaltungen wider: die große Marienverehrung im 14. und 15. Jahrhundert ebenso wie die Entstehung von Andachtsbildern, die nicht für Kirchen oder Klöster gedacht waren, sondern die ausschließlich der privaten und persönlichen Zwiesprache der Gläubigen mit "ihren" Heiligen dienten. Eine Frömmigkeitspraxis, sagt Thomas Blisniewski, die von Seiten der Kirche keineswegs unumstritten war:

    "Das hohe Mittelalter zeigt eine Frömmigkeit, die sehr kirchenorientiert ist, und natürlich ist Frömmigkeit auch immer in die Liturgie eingebunden. Dann ändert sich das im Laufe der Zeit: die 'devotio moderna' entsteht im Kontext der franziskanischen und dominikanischen Frömmigkeit und die ist etwas zwiespältig... weil auf der einen Seite der Gläubige nun viel stärker in die Verantwortung genommen wird, weil er private Andacht vollzieht – es entstehen jetzt auch Kunstwerke, die für die private Andacht geschaffen sind – auf der anderen gibt es natürlich das Problem, dass der Gläubige jetzt gewissermaßen der kirchlichen Aufsicht entzogen ist. Es ist eben nicht mehr klar, was er da eigentlich für religiöse Übungen verrichtet. Insofern ist es vonseiten der Kirche eine durchaus zwiespältige Sache gewesen, weil letztlich auch Autonomie entsteht."

    Die ganze Bandbreite des künstlerischen Schaffens rheinischer mittelalterlicher Maler zeigt vielleicht der "Meister des Bonner Diptychons", wie man den unbekannten Schöpfer nennt, von dem eine düstere Darstellung der Kreuzabnahme stammt, bei der ein Mann mit einer Zange die Nägel aus den Füßen Jesu zieht. Demselben – namenlosen – Künstler wird aber auch ein überaus "weltliches" Werk zugeschrieben: nämlich der um 1470 entstandene "Liebeszauber" aus Leipzig:

    "Dargestellt wird der Liebeszauber, der in der Andreasnacht am 30. November vollzogen wird. Man sieht ein junges Mädchen mit einem Hauch von Schleier, der eher verführt als verdeckt, die einen Liebeszauber ausführt. Sie sprüht nämlich mit einem Feuerstein Funken über ein Wachsherz, das in einer Schatulle liegt und löscht das dann wieder mit einem Schwamm mit Wassertropfen. Das ist der Zauber, der den ersehnten Geliebten herbeiführen soll."

    Ob dieser Zauber allerdings gelingt, sagt Dagmar Täube, bleibt offen. Denn der Maler lässt den Betrachter rätseln:

    "Wenn man genau hinschaut, sieht man im Hintergrund, wie sich die Tür öffnet und der Geliebte schon um die Ecke schaut. Am Fuß der Dame aber sieht man ein weißes Hündchen; das ist eigentlich das Symbol der ehelichen Treue. Und man darf jetzt Mutmaßungen anstellen, ob der, der dort zur Tür hineinkommt, der Ehemann ist oder der Geliebte."

    Mehr zum Thema:

    Museum Schnütgen - Glanz und Größe des Mittelalters