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Die Rückkehr der Mikätzchen

Schon seit mehr als vier Jahrzehnten gibt es im Lehrerberuf ein ständiges Auf und Ab: mal werden Lehramtskandidaten dringend gesucht, mal hat man eine regelrechte Lehrerschwämme. Zur Zeit herrscht in vielen Bundesländern mal wieder großer Fachkräftemangel. Um den Schweinezyklus zu durchbrechen und den großen Bedarf an Lehrern zu decken, spricht man in Nordrhein-Westfalen seit zwei Jahren aktiv sogenannte Seiteneinsteiger an.

04.03.2003
    Ein Beitrag von Antje Allroggen

    Historischer O-Ton aus dem Jahr 1964:

    Nordrhein-Westfalen zahlt Lehrern für jede zusätzlich gehaltene Schulstunde 10 Mark. Außerdem hat man zusätzliche Lehrkräfte angestellt. Hausfrauengeschwader oder pädagogischer Volkssturm, d.h. Damen und Herren, die mindestens 30 Jahre alt sind, das Abitur abgelegt haben oder einen sozialpädagogischen Beruf ausgeübt haben, werden im Laufe eines Jahres zu Lehrern ausgebildet.

    Ein Ausschnitt aus einer Radiosendung aus dem Jahr 1964. Auch damals herrschte in Nordrhein-Westfalen latenter Lehrermangel. Die Lösung des Problems fand der damalige Bildungsminister Paul Mikat in einem neuen und umstrittenen Modell: Vor allem verheiratete Frauen, die, so wörtlich, "von den Aufgaben in der Familie nicht mehr voll in Anspruch genommen werden", sollten den Fachkräftemangel ausgleichen. Die Lehrerverbände protestierten – dennoch startete am 1. Januar 1963 das Aushilfsprogramm: Die nach dem Bildungsminister benannten Mikätzchen absolvierten die einjährigen vorbereitenden Seminare und konnten anschließend ohne Studien-Abschluss in Grundschulen unterrichten. Nach 40 Jahren kehren die Mikätzchen nun wieder in die nordrhein-westfälischen Schulen zurück. Allerdings haben sich die Anforderungen an die heutigen Seiteneinsteiger erheblich verändert, meint Christiane Vielhaber, Pressesprecherin im Düsseldorfer Schulministerium:

    Damals wurden ja vor allem Lehrerinnen und Lehrer für die Grundschule gesucht. Wir brauchen aber speziell fachspezifisch ausgebildete Leute, die auch Fächer unterrichten können später. Es werden vor allem Lehrer benötigt in der Sekundarstufe eins, also Klasse 5 bis 10, und da vor allem in den Hauptschulen und in den Berufskollegs 5 bis 10 sind auch noch verschiedene Fächer sehr gefragt.

    Seit zwei Jahren ist in Nordrhein-Westfalen der Seiteneinstieg in den Lehrerberuf möglich - allerdings nur nach einem abgeschlossenen Hochschul- oder Fachhochschul-Studium. Außerdem werden zwei Jahre Berufserfahrung erwartet. Wie schon in den 60er Jahren, blieben die Seiteneinsteiger noch bis vor kurzem Angestellte und konnten keinen Beamtenstatus mit entsprechend besserer Besoldung bekommen. Die neue Ausbildungsordnung eröffnet den Seiteneinsteigern nun eine Perspektive mit Aufstiegschancen.

    Sie sitzen zusammen mit den normalen Lehramtsanwärtern in den Studienseminaren und erhalten eine pädagogische Ausbildung. Außerdem hat sich verbessert, dass sie eine zweite Staatsprüfung ablegen können. Also rein statusmäßig dann mit ganz normalen Lehramtsstudenten gleich gestellt sind. Sie haben dann natürlich auch die gleichen laufbahn- und besoldungsrechtlichen Möglichkeiten wie Lehramtsstudenten.

    Die Lehrerverbände kritisieren die Gleichstellung der Seiteneinsteiger mit den ausgebildeten Lehrern. Sie befürchten, dass das Interesse am Lehramtsstudium zurückgehen könnte, wenn ein Einstieg in den Schulberuf ebenso leicht auch mit einem anderen Hochschulabschluss möglich werde. Rolf Steuwe, Geschäftsführer vom Philologenverband in Nordrhein-Westfalen:

    Es ist in der Tat ein Widerspruch in sich. Wenn man sagt, man legt Wert auf eine qualitativ hohe Lehrerausbildung und lässt jetzt also über diesen leichteren Weg viele Bewerber hinein in die Schulen. Nur wir können jetzt im Moment nicht vermeiden, dass der leichtere Weg gerne gegangen wird, während viele andere Bewerberinnen und Bewerber früher den schweren Weg der Ausbildung gegangen sind und natürlich eine ganz andere Qualität in ihrem Berufsverständnis oder Ausübung erreicht haben.

    Der Philologenverband fordert deshalb, nur für eine kurze und befristete Zeit auf Seiteneinsteiger in der Schule zurückzugreifen. Langfristiges Ziel müsse es sein, den Bedarf allein mit voll ausgebildeten Lehrern zu decken. Ähnlich hatte übrigens auch schon der Vorsitzende der Lehrerverbände im Jahr 1964 argumentiert: Auch die Einführung von Mikätzchen sollte damals eine zeitlich befristete Notlösung bleiben.

    Das Schlimmst wäre, wenn aus Notmaßnahmen Dauermaßnahmen würden. Dann käme unsere Schule dauerhaft auf den Hund.

    Links zum Thema:

    Mikätzchen zur Bekämpfung des Lehrermangels

    Quereinsteiger in NRW

    Informations- und Werbekampagne für den Lehrerberuf in Nordrhein-Westfalen