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Die Rückkehr in die Angst

Nachdem der Balkankrieg 1995 mit dem Abkommen von Dayton offiziell beendet wurde, hat sich nicht mehr als ein kalter Friede ergeben. Die meisten Vertriebenen wollen noch immer nicht in ihre alte Heimat zurück. Und wer doch das Risiko wagen will, begegnet erneut der Angst - und erheblichen bürokratischen Hindernissen.

Von Thomas Franke | 16.04.2005
    Im Vielvölkerstaat Jugoslawien lebten laut Verfassung sechs staatstragenden Völker: Slowenen, Kroaten, Serben, Bosniaken, Montenegriner und Makedonen. Daneben gab es noch eine Vielzahl nationaler Minderheiten. In dem sozialistischen Staat galten außerdem drei Amtsprachen: Serbokroatisch, Slowenisch und Makedonisch sowie zwei Schriften: die lateinische und die kyrillische.

    Allein in Bosnien siedelten schon seit dem frühen Mittelalter Serben und Kroaten. Als die Osmanen im 15. Jahrhundert das Gebiet eroberten traten viele zum Islam über, als Bosniaken waren sie nun die dritte Volksgruppe im Land. Im Laufe der Jahrhunderte gab es auf dem Balkan immer wieder Unruhen, Streit um die Staatsformen und die nationale Selbststimmung der verschiedenen ethnischen Gruppen.

    Die Spannungen entluden sich nach dem Tod des Kroaten Tito in dem blutigen Krieg der 90ger Jahre. Mit dem Zerfall Jugoslawiens begannen die Balkankriege und mit ihnen die schlimmsten Menschenrechtsverletzung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Krieg zwischen Serben und Kroaten und Serben und bosnischen Muslimen wurde 1995 mit dem Abkommen von Dayton offiziell beendet. Doch mehr als ein kalter Friede hat sich bis heute nicht entwickelt. Viele Vertriebene wollen noch immer nicht in ihre alte Heimat zurückkehren, und wer zurückkehren will, hat neben der Angst auch noch mit bürokratischen Problemen zu kämpfen:

    Der Bürgermeister von Srebrenica weigere sich, ihr die Wohnung zurückzugeben, klagt eine Frau. Sie wedelt mit einem Zettel. Das sei doch Beleg genug. Sie habe die Wohnung vor dem Krieg von der Firma bekommen, in der sie gearbeitet hat. Ihre Freundin nickt.

    Uwe Hafner, Kapitän der österreichischen Armee, zündet sich eine Zigarette an. Hafner leitet ein Liason Observation Team der EUFOR. Mit sieben Soldaten wohnt er in einem Haus im Zentrum von Bratunac, einer Kleinstadt in der Republika Srpska. Wenn die Leute Probleme haben, dann sollen sie kommen, haben die Soldaten verbreitet. Nun sitzt die Frau seit einer viertel Stunde in dem kahlen Raum und redet auf den Offizier ein.

    Dem ist noch nicht ganz klar, ob ihr die Wohnung gehört, ob sie sie nur gemietet hatte oder ob die Wohnung an den Arbeitsplatz gebunden war. Hafner schaut auf das Schreiben - alles in kyrillischer Schrift und auf serbisch. Er gibt den Zettel der Übersetzerin und bittet sie, die Telefonnummer der Frau zu notieren. Die Frau erzählt, sie sei in den letzten Jahren arbeitslos gewesen. Mit sieben Leuten würden sie zur Zeit in zwei Räumen wohnen, keiner von ihnen habe Arbeit, sie brauche die Wohnung.

    Er müsse erst die rechtliche Lage klären und werde sich melden, versichert der österreichische Offizier. Zwei junge Hunde knabbern verspielt an den Schuhen von Hafner. Die EUFOR-Soldaten haben sie angeschafft, einfach nur so. Die Österreicher sind seit gut drei Monaten in dem Haus in Bratunac. Im Erdgeschoss haben sie den schlichten Empfangsraum mit zwei Seeseln, einem Tisch, mehreren Stühlen, daneben noch eine Küche; oben einen ausladenden Wohnraum mit einem breiten Balkon und Schreibtischen, hinten die Schlafzimmer. Jeder Soldat hat ein eigenes. Purer Luxus bei Auslandseinsätzen. Vorher waren US-amerikanische Soldaten in dem Haus untergebracht.

    "Guten Tag, Sie hatten eine Pizza bestellt. - Guten Tag, ja grüss Gott. Und habt's alles erledigt?"

    Eins der beiden Teams kommt zurück, vorweg die Dolmetscherin. Sie überreicht Hafner einen Pizzakarton. Das Mittagessen für den Kommandanten. Hafner kam bereits ein paar Tage vor der Übergabe der Nato an die EU-Truppe in dem Haus in Bratunac an und war entsetzt.

    "Es war in keinem hervorragenden Zustand, um es gelinde auszudrücken. Es war schmutzig, extrem schmutzig, alles voll mit diversen Essensresten und total unorganisiert. Ich kenne Amerikaner grundsätzlich nicht, ich weiß nicht, wie das in der amerikanischen Armee üblich ist, aber so etwas glaub ich nicht, dass das in der Armee üblich ist, also denk ich, dass das eher menschenabhängig ist. Und das zweite ist, dass die relativ selten von ihren Vorgesetzten besucht worden sind."

    Die Feld-Teams sollen möglichst tief in den Alltag der Menschen eintauchen. Die US-Armee habe das nicht getan, erzählt Hafner. Und die US-Soldaten seien auch immer mit voller Ausrüstung patrouilliert, Helm, kugelsichere Westen, Gewehre. Hafner und sein Team gingen nach deren Abzug erst mal im Ort Möbel einkaufen gegangen, dann haben sie die kleine Küche eingerichtet. Sie kaufen alles, was sie brauchen, in den Geschäften im Ort, beschäftigen die lokalen Handwerker, plaudern über Alltägliches. Das Team bricht gleich wieder auf.

    Die Strasse schlängelt sich durch die hügelige Landschaft. An den Hängen zerschossene Häuser, wie Schädel; dunkle Augenhöhlen wo einst die Fenster waren. Die Feld-Teams sind in zivilen Autos unterwegs. Hauptmann Hannes Ring und sein Kollege Werner Holzer, Offiziersstellvertreter, beide in der grauen Uniform der österreichischen Armee. Beide um die dreissig, hochmotiviert.

    Auf der Rückbank sitzt die Übersetzerin Kosa Milic. Sie wohnt eigentlich in Serbien, ist verheiratet, hat zwei Kinder. Alle zwei Wochen fährt sie für drei Tage nach Hause. Ihr Mann ist Polizist, er hat am Krieg teilgenommen. Er spreche nicht darüber, erzählt sie. Er träume immer wieder von Blut.

    Vor den Ruinen flattert gelbes Absperrband im Wind, rote Schilder warnen vor Minen auf den verlassenen Grundstücken. Die Menschen, die früher in den Häusern gewohnt haben, sind entweder ermordet worden, oder nach ihrer Flucht nicht zurückgekehrt. Mit dem Friedensabkommen von Dayton sollte die gewaltsame Trennung der Volksgruppen rückgängig gemacht werden.

    Wer zurück wollte, der bekam von internationalen Organisationen Aufbauhilfe. Jetzt, knapp 10 Jahre nach dem Krieg, werden in den Zeitungen seitenweise wieder aufgebaute Häuser zum Tausch oder Kauf angeboten. Die Volksgruppen sortieren sich selbst.