Kirchner versucht in der Einsamkeit der Berge einen schwierigen Neuanfang, er wünscht die Genesung an und in der Natur, die er in einer bis dahin unbekannten, unerhörten, grellen Farbgebung zu fassen sucht. Der Basler Kurator Bernhard Mendes Bürgi will diese bislang unterschätzte Werkphase nun in ein neues Licht rücken:
Meine These ist, dass mit Kirchners Reise nach Davos seine Kunst an einen neuen Höhepunkt kommt. Diese Auseinandersetzung mit der Bergwelt schafft ein neues künstlerisches Konzentrat. Eigentlich möchte ich mit dieser Ausstellung zeigen, wie bedeutend diese Phase ist, weil immer noch die Dresdner und Berliner Jahre im Vordergrund stehen.
Nicht das Sanatorium (als zivilisatorische Enklave) wie bei Thomas Mann ist Kirchners Ort; er sucht den Kontakt zu den Bergbauern, und er lebt allein mit seiner Frau auf der Staffelalp und später auf dem Waldboden. Und die Berge bekommen von ganz allein etwas Zauberisches. Anfangs sieht man in den Bildern noch verstreut diese verlänglichten, sexualisierten Großstädter, die sich auf die Alm verirrt haben; dann aber ergreifen verzerrte Mondaufgänge und wüst gen Himmel lodernde Felsen.
Natürlich ist die Natur, so der alte (auch) literarische Trick, Spiegel und Bühne einer aufgewühlten Seele. Dieses in Deutschland schon von den Romantikern und Caspar David Friedrich zugespitzte Genre wird nun von Kirchner koloristisch ins Surreale getrieben: wir sehen in ein Land mit lila Bergen und karminrot sich bauschenden Wolken, wir blicken auf schattige Hänge mit gelbem Schnee und eisigblauen Tannen.
Hier wird die Landschaft wirklich zum Innenraum, und die Alpenmalerei, so meint Mendes Bürgi, erhält bei Kirchner eine ganz neue Dimension.
Gerade im 19.Jahrhundert wurde das relativ rührselig. Da gibt’s so ein paar Abstürze. Und Segantini und Hodler und nachher dann Kirchner sind mit innovativen künstlerischen Mitteln dieses Genre der Alpenmalerei angegangen und haben die Kraft und die Magie der Berge in eine neue Dimension gebracht.
In der Anfangszeit, 1917/18, ist Kirchners Gestus noch kreidig-expressiv und trocken, die Farben verhalten, aber der Pinselduktus ist nervös – da hinterlässt die innere Unruhe, der Puls der Metropole Berlin auch noch mitten im Kuhglockengeläut des Viehauftriebs ihre Spuren. Später wird die Hand ruhiger, die Farben aber gewinnen Originalität und ungeheure psychische Ausdruckskraft, so dass im Unwirtlich-Bedrohlichen der kalten Dreitausender eine neue, überwirkliche Schönheit aufscheint.
Manche Landschaftsbilder scheinen van Gogh zu zitieren; Kirchners Selbstbildnisse, seine Studien von Gefährten und knochigen Bergbauern dagegen können es in ihren Gesichtszerfurchungen mit den besten Holzschnitten Erich Heckels aufnehmen – ein Medium übrigens, das Kirchner so nebenbei virtuos beherrschte.
Viele Motive gibt es mehrfach, als Kreide-Skizze mit entschlossenem Strich, als Ölbild, als expressiven Holzschnitt und als voluminöse Holz-Skulptur – Adam und Eva standen vor seinem Haus. Der Fotograph Kirchner interessierte sich vor allem für den weiblichen Körper – es gibt hier rührende Aufnahmen einer Ménage à trois mit Frau Erna und der Ausdruckstänzerin Nina Hard, Freikörperkultur auf der Alp, damals revolutionär, heute ein wenig fremd.
Manche von Kirchners Interieurs, vor allem Berghütten, sind ziemlich vollgestellt und überinstrumentiert; die Landschaften der 20er Jahre scheinen flacher und nicht mehr so kraftvoll. Die Ausstellung bricht da ab, wo auch Kirchner seine Symbiose mit der Bergwelt aufgab und wieder nach Berlin reiste: 1926. Das Spätwerk, das etwas verquält Anschluss an Moderne und Abstraktion suchte, ist nicht mehr zu sehen. Aber es bleibt der einsame, bleiche, resignierte Morphinist, der sich 1919 selbst auf dem Krankenbett portraitiert – in der Klinik des Ludwig Binswanger am Bodensee, bei dem er Unterschlupf gefunden hatte.
Meine These ist, dass mit Kirchners Reise nach Davos seine Kunst an einen neuen Höhepunkt kommt. Diese Auseinandersetzung mit der Bergwelt schafft ein neues künstlerisches Konzentrat. Eigentlich möchte ich mit dieser Ausstellung zeigen, wie bedeutend diese Phase ist, weil immer noch die Dresdner und Berliner Jahre im Vordergrund stehen.
Nicht das Sanatorium (als zivilisatorische Enklave) wie bei Thomas Mann ist Kirchners Ort; er sucht den Kontakt zu den Bergbauern, und er lebt allein mit seiner Frau auf der Staffelalp und später auf dem Waldboden. Und die Berge bekommen von ganz allein etwas Zauberisches. Anfangs sieht man in den Bildern noch verstreut diese verlänglichten, sexualisierten Großstädter, die sich auf die Alm verirrt haben; dann aber ergreifen verzerrte Mondaufgänge und wüst gen Himmel lodernde Felsen.
Natürlich ist die Natur, so der alte (auch) literarische Trick, Spiegel und Bühne einer aufgewühlten Seele. Dieses in Deutschland schon von den Romantikern und Caspar David Friedrich zugespitzte Genre wird nun von Kirchner koloristisch ins Surreale getrieben: wir sehen in ein Land mit lila Bergen und karminrot sich bauschenden Wolken, wir blicken auf schattige Hänge mit gelbem Schnee und eisigblauen Tannen.
Hier wird die Landschaft wirklich zum Innenraum, und die Alpenmalerei, so meint Mendes Bürgi, erhält bei Kirchner eine ganz neue Dimension.
Gerade im 19.Jahrhundert wurde das relativ rührselig. Da gibt’s so ein paar Abstürze. Und Segantini und Hodler und nachher dann Kirchner sind mit innovativen künstlerischen Mitteln dieses Genre der Alpenmalerei angegangen und haben die Kraft und die Magie der Berge in eine neue Dimension gebracht.
In der Anfangszeit, 1917/18, ist Kirchners Gestus noch kreidig-expressiv und trocken, die Farben verhalten, aber der Pinselduktus ist nervös – da hinterlässt die innere Unruhe, der Puls der Metropole Berlin auch noch mitten im Kuhglockengeläut des Viehauftriebs ihre Spuren. Später wird die Hand ruhiger, die Farben aber gewinnen Originalität und ungeheure psychische Ausdruckskraft, so dass im Unwirtlich-Bedrohlichen der kalten Dreitausender eine neue, überwirkliche Schönheit aufscheint.
Manche Landschaftsbilder scheinen van Gogh zu zitieren; Kirchners Selbstbildnisse, seine Studien von Gefährten und knochigen Bergbauern dagegen können es in ihren Gesichtszerfurchungen mit den besten Holzschnitten Erich Heckels aufnehmen – ein Medium übrigens, das Kirchner so nebenbei virtuos beherrschte.
Viele Motive gibt es mehrfach, als Kreide-Skizze mit entschlossenem Strich, als Ölbild, als expressiven Holzschnitt und als voluminöse Holz-Skulptur – Adam und Eva standen vor seinem Haus. Der Fotograph Kirchner interessierte sich vor allem für den weiblichen Körper – es gibt hier rührende Aufnahmen einer Ménage à trois mit Frau Erna und der Ausdruckstänzerin Nina Hard, Freikörperkultur auf der Alp, damals revolutionär, heute ein wenig fremd.
Manche von Kirchners Interieurs, vor allem Berghütten, sind ziemlich vollgestellt und überinstrumentiert; die Landschaften der 20er Jahre scheinen flacher und nicht mehr so kraftvoll. Die Ausstellung bricht da ab, wo auch Kirchner seine Symbiose mit der Bergwelt aufgab und wieder nach Berlin reiste: 1926. Das Spätwerk, das etwas verquält Anschluss an Moderne und Abstraktion suchte, ist nicht mehr zu sehen. Aber es bleibt der einsame, bleiche, resignierte Morphinist, der sich 1919 selbst auf dem Krankenbett portraitiert – in der Klinik des Ludwig Binswanger am Bodensee, bei dem er Unterschlupf gefunden hatte.