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Die Russen kommen

Das finnische Lappeenranta, im südöstlichen Zipfel gelegen, unweit der russischen Grenze: Was zu Zeiten des Kalten Krieges ein Nachteil war, ist längst zum Vorteil geworden - immer mehr Russen kommen zum Shopping oder um Urlaub zu machen - goldene Wasserhähne inklusive.

Von Michael Frantzen |
    Zweisprachiges Schild an der Grenze von Finnland und Russland in Lappeenranta.
    Zweisprachiges Schild an der Grenze von Finnland und Russland in Lappeenranta. (picture alliance / dpa / Markku_Ulander)
    Russische Töne in Finnland – in Lappeenranta am Ufer des stillen Saimaa-Sees im Osten des Landes nichts Ungewöhnliches. Schon gar nicht in der Touristen-Information am Ende der Fußgängerzone. Im Erdgeschoss eines 60er-Jahre-Hauses bekommt man neben Aufklebern mit dem Motiv des Stadtwappens einen Keule schwingenden Urmenschen, auch zweisprachige Parkscheiben. Kiirsti Rautio, die Chefin der Touristeninformation, nimmt eine aus dem Regal. Ganz einfach – das Prinzip, meint die Frau mit den funkelnden Augen: vorne Finnisch, hinten Russisch.
    "Lappeenranta unterscheidet sich von anderen finnischen Städten schon allein dadurch, weil wir direkt an der russischen Grenze liegen. Das sind keine 15 Kilometer. Wir haben vier Grenzstationen. Letztes Jahr haben unsere Stadt gut 1,2 Millionen Russen besucht - die meisten davon Tagestouristen, die bei uns zollfrei einkaufen können. Das waren 200.000 mehr als 2010 – und zehn Mal so viele wie vor zehn Jahren. Sie spüren den russischen Einfluss einfach überall."

    Mehr als 300 Millionen Euro haben die russischen Touristen letztes Jahr in Lappeenranta ausgegeben – so viel wie noch nie. In der 72.000-Einwohnerstadt mit ihren endlosen Uferpromenaden wollen möglichst viele etwas abbekommen vom neuen Aufschwung. Vor einem Computer-Geschäft stauen sich Geländewagen mit russischen Kennzeichen im Halteverbot, preisen diverse Apotheken, Bekleidungsgeschäfte und selbst die Döner-Läden ihre Produkte auf Russisch an.
    Auf russisches Klientel setzt auch das traditionsreiche "Spa Hotel". Gut 160 Euro kostet das Doppelzimmer pro Nacht. Aleksandra Volschakowa hat gleich zwei Zimmer gebucht. Die Ärztin vom Universitätskrankenhaus in Sankt Petersburg ist mit ihrer anderthalb Jahre alten Tochter Natalia und den Eltern unterwegs. Die machen gerade Mittagsschlaf, während sich die 44-Jährige mit Natalia im Whirlpool entspannt.

    "Wir sind gestern angekommen. Wir waren schon häufiger hier. Von Sankt Petersburg sind es ja nur etwas mehr als 200 Kilometer. Wir wollten einfach mal für ein paar Tage raus aus der Stadt: entspannen, ein bisschen Wellness, ein bisschen Shopping. Das Hotel ist genau das richtige: Es ist ruhig und nicht so überlaufen wie vergleichbare Hotels zu Hause. Zumal das Personal wirklich ausgesprochen freundlich und hilfsbereit ist."

    Gleich drei Mitarbeiter des "Spa-Hotels" sprechen Russisch. In gehobenen Hotels gehören Russisch-Kenntnisse inzwischen zum Standard – weiß Marcus Lankinen zu berichten, der Geschäftsführer der städtischen Entwicklungsfirma "WIRMA". Dass die Uhren in Lappeenranta anders ticken als im Rest Finnlands, ist dem Sohn eines finnischen Vaters und einer deutschen Mutter mehr als bewusst.

    "Als ich selber 2001 mit meiner Familie nach Lappeenranta zog, war ich es nicht gewohnt, dass man zum Beispiel in örtlichen OBI oder Bauhaus-Baumärkten vergoldete Wasserhähne im Sortiment findet. Oder was speziell für russische Kunden anspruchsvoll ist: so dunkle barockartige Möbel."

    Rund 30 Angestellte arbeiten für die Entwicklungsfirma, die in einem Hochhaus vis-à-vis des monumentalen Kriegerdenkmals untergekommen ist. Letztes Jahr haben sie über 600 potenziellen Firmen-Gründern auf die Sprünge geholfen – darunter 90 russischen. In Sankt Petersburg unterhält WIRMA eine Filiale. Aus gutem Grund: Russland hat Deutschland als wichtigsten finnischen Handelspartner abgelöst. Rund 14 Prozent des Außenhandels wurden 2011 mit dem östlichen Nachbarn abgewickelt.

    "Heutzutage sind Konsumentenmärkte aufgeschlossen. Und wir haben in Lappeenranta Investitionen zum Beispiel in der Pharma-Industrie von Russen gesehen, Metallbau, elektrotechnische Industrie. Heutzutage haben wir aktive, Arbeitsplätze schaffende Investoren aus Russland hier in unserem Gebiet."

    Das Gros der Russen machen aber weiterhin die Touristen aus – darunter immer mehr "Wiederholungstäter." 40 Prozent der Bewohner Sankt Petersburgs, die einen Reisepass besitzen, passieren durchschnittlich jährlich drei Mal die Grenze nach Finnland. So das Ergebnis einer aktuellen Studie. Der Rubel – er rollt, in Lappeenranta, der russischsten Stadt Finnlands.