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Die Russen und die US-Raketen

Im Streit um das Raketenabwehrsystem in Osteuropa bleibt die russische Regierung auf Konfrontationskurs zu den USA. Die russische Bevölkerung steht den US-Plänen ebenso kritisch gegenüber, ist aber nicht wirklich beunruhigt. Jerry Sommer hat in Moskau Stimmen gesammelt.

    Auf der Ringautobahn von Moskau steuert Pavel Gonschar das fast neue Auto sicher durch den Verkehr. Als Taxifahrer hört er ständig Radio, Musik und natürlich die Nachrichten. Über den Plan der USA, einen Raketenschutzschild in Polen und Tschechien zu stationieren, weiß der 40-Jährige gut Bescheid. Gonschar hält nichts davon, aber bedroht fühlt er sich auch nicht.

    "Ich glaube nicht, dass das für Russland irgendwie gefährlich ist. Wir haben ja auch starke Waffen zur Gegenabwehr. Und selbst in Amerika wissen alle, dass Krieg etwas Schlechtes ist."

    Dass Russland oder Europa vom Iran angegriffen werden könnten und man deshalb Abwehrsysteme aufbauen müsste, daran glaubt Pavel Gonschar keine Sekunde:

    "Ein iranischer Angriff? Nein, nein, nein","

    sagt er und ergänzt, viel wahrscheinlicher sei es, dass die Amerikaner den Iran angreifen.

    Die abendlichen Fernsehnachrichten: In diesen Tagen wird ausführlich über die geplante Aufstellung des Raketenschutzschildes und über die Reaktionen der russischen Regierung berichtet. Auch Irina Ospoba verfolgt die Debatte genau. Die junge Moskauer Studentin steht am Eingang einer kleinen Mensa in der Nähe ihres Institutes. Der Raketenstreit beschäftige viele, sagt sie, auch in ihrer Familie und ihrem Freundeskreis:

    ""Wir denken, nicht dass die Raketenabwehrpläne unsere Sicherheit gefährden. Aber ich glaube schon, dass sie die Stabilität in Europa und in der ganzen Welt beeinträchtigen können."

    Aus dem Kreml heißt es derweil, Russland werde sein eigenes Raketenpotenzial so verändern müssen, dass es die amerikanische Raketenabwehr problemlos überwinden könne. Außerdem gebe es weder jetzt noch in absehbarer Zukunft eine realistische Bedrohung durch den Iran, sagt die russische Regierung. Diese Einschätzung teilt Irina, die Studentin:

    "Solche weitreichenden Raketen, die Russland, Europa oder gar die USA treffen könnten, haben die Iraner doch gar nicht. Deshalb fühle ich mich auch überhaupt nicht gefährdet."

    Im anhaltenden Streit um den Schutzschirm hat US-Präsident Bush dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nun sogar eine Zusammenarbeit angeboten, doch viele Russen in Moskau glauben nicht daran. Auch die Politikstudentin Maria Koslova findet, dass gerade bei so sensiblen Fragen wie den Atomwaffen Alleingänge schädlich sind:

    "Gemeinsame Diskussionen und Beratungen sind notwendig, nicht nur mit uns, mit allen Staaten. Die Amerikaner sollten uns genauere Informationen geben. Einseitige Entscheidungen der Bush-Administration sind bei dieser Frage nicht gut."

    Unter russischen Politikwissenschaftlern und Militärexperten kursieren derweil unterschiedliche Meinungen. Im Unterschied zur Regierung halten manche ein gemeinsames Raketenabwehrsystem von Russland und den USA durchaus für vorteilhaft. Der Ex-General Pavel Zolotarev vom Moskauer Institut für USA- und Kanada-Studien:

    "Ich bin mit der negativen Antwort der Regierung auf das Angebot zur Zusammenarbeit nicht einverstanden. Ich glaube, man kann und man sollte kooperieren. Wir können Informationen und Technologien austauschen, vielleicht ließe sich sogar das gesamte Raketenabwehrsystem gemeinsam entwickeln."

    Taxi-Fahrer Pavel Gonschar hat derweil Zweifel, ob die USA wirklich bereit sind, ihre militärischen Geheimnisse mit den Russen zu teilen. Aber auch ein gemeinsames Raketenabwehrsystem würde Geld kosten. Geld, sagt Gonschar, das sowohl Russland wie die USA sinnvoller ausgeben könnten.

    "Ich bin Pazifist. Ich bin gegen jede neue Aufrüstung. Frieden und eine friedliche Zusammenarbeit, das ist besser."