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Die Schaltsekunde bleibt uns erhalten

Schaltjahre dienen dazu, um die irdische Zeitrechnung mit dem astronomischen Sonnenjahr zu synchronisieren. Was viele nicht wissen: Es gibt nicht nur Schaltjahre, sondern auch Schaltsekunden. Mit diesen haben sich nun die Mitglieder eines UN-Gremiums in Genf beschäftigt.

Wissenschaftsjournalist Ralf Krauter im Gespräch mit Uli Blumenthal | 23.01.2012
    Uli Blumenthal: Am 1. Januar 2009 war es wieder mal so weit: um 0.59 Uhr und 59 Sekunden haben die Funkuhren kurz innegehalten und einer Schaltsekunde Platz gemacht. Die war notwendig, da die Erde wieder etwas zu sehr aus dem Takt gekommen war und den zeitgebenden Atomuhren hinterher hinkte. Aber die Tage dieser Schaltsekunden sind gezählt. Ralf Krauter, Kollege und Fachautor, warum.

    Ralf Krauter: Die Schaltsekunde ist ein Anachronismus, mit dem viele Leute nicht mehr so richtig zufrieden sind. Man hat sie mal eingeführt, weil man dachte, man braucht sie. Man braucht sie wohl auch, trotzdem gibt es eben Leute, die sagen: es wäre doch besser, wenn wir ohne auskommen würden. Und man hat jetzt darüber diskutiert, wie man in Zukunft vorgehen will. Diskutiert haben Hunderte Experten, die sich vergangene Woche in Genf versammelt hatten, Experten der sogenannten Radiocommunication Assembly, Teil einer UN-Behörde namens Fernmeldeunion, die in etwa die Aufgaben der deutschen Bundesnetzagentur auf globaler Ebene wahrnimmt. Und da gab es eben den Vorschlag: Sollen wir die Schaltsekunden nicht ganz abschaffen? Viele waren dafür, aber nicht genügend Leute. Am Ende hat die Versammlung das getan, was solche Gremien bei strittigen Fragen immer machen - sie haben die Entscheidung einfach vertagt auf das nächste Treffen, also in drei Jahren, 2015.

    Blumenthal: Bevor wir weiter über die Abschaffung der Schaltsekunde reden: mit welcher Begründung wurde sie eigentlich eingeführt und wann?

    Krauter: Die wurde eingeführt, um den ultrapräzisen Takt der Atomuhren mit den Launen der Erdrotation in Einklang zu bringen. Seit 1967 wird die Weltzeit ja mit Atomuhren gemessen, seitdem ist die Sekunde über eine bestimmte Anzahl von Schwingungen eines bestimmten Cäsium-Atoms definiert, genau gesagt 9 Milliarden 192 Millionen und ein paar zerquetschte Schwingungen - das ist ist eine Sekunde, so hat man das damals festgelegt. Das Problem ist eben nur: Die Erde hält sich dummerweise nicht an diesen präzisen Takt der Atomuhren. Ein irdischer Tag dauert eben nicht exakt 24 Stunden, sondern meistens einen Tick länger. Woran liegt das? Das hängt mit physikalischen Effekten zusammen, die die Erdrotation allmählich verlangsamen. Das sind Gezeitenkräfte, verursacht durch den Mond. Die bremsen die Erde ein bisschen, und zwar so stark, dass ein Tag heute rund zwei Millisekunden länger dauert als ein Tag vor 100 Jahren. Und diese Verlangsamung der Erddrehung führt dann dazu, dass die 1967 eingeführte Weltatomzeit schneller vergeht als die über den Sonnenstand definierte astronomische Zeit. Und 1972 hatte sich das schon auf zehn Sekunden aufsummiert, dieses Vorauseilen der Atomzeit. Will heißen: Der Sonnenhöchststand in Köln oder Berlin war damals jeden Tag erst zehn Sekunden später erreicht als die globalen Atomuhren sozusagen ihren Mittagsklick losgelassen haben. Und um eben ein weiteres Auseinanderdriften zu verhindern, hat man dann gehandelt, 1972 die Schaltsekunden eingeführt. Und das funktioniert eben so, dass die Weltzeituhren alle paar Jahre auf Kommando aus Paris, auf Kommando des internationalen Büros für Maß und Gewichte für eine Sekunde angehalten werden, um wieder in den Takt zu kommen. Insgesamt gab es inzwischen seit '72 also 24 Schaltsekunden, die letzte zwischen 2008 und 2009, zum Jahreswechsel. Und die nächste soll es dieses Jahr geben in der Nacht zum 1. Juli.

    Blumenthal: Das scheint ja sozusagen ein erprobtes Verfahren zu sein mit der Schaltsekunde. Warum will man die jetzt abschaffen?

    Krauter: Eigentlich ist das reine Routine. Das haben mir auch die Experten von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt erzählt, die hier in Deutschland dafür zuständig ist. Das ist eine Sache von 15 Minuten, diese Schaltsekunde in die Atomuhren einzuprogrammieren und dass an alle Kunden der Zeitvorgaben, der Zeitstempel, die man da verteilt, weiterzugeben. Was die Kritiker stört, ist: sie sagen eben, dieses sporadische Anhalten der Zeit ist eine inhärente Gefahr für das System, weil es zu Synchronisierungsproblemen führen, zu Instabilitäten und zu Abstürzen ganzer Rechnernetze - und das könnte eben fatale Folgen haben. Denkt man nur an die Finanzmärkte: da wird ja heute im Mikrosekundentakt zum Beispiel gehandelt. Denkt man an Versorgungsinfrastrukturen für Strom und Telekommunikation - all das funktioniert nur mit ganz, ganz präzisen Zeitstempeln. Man braucht also sehr regelmäßig koordinierte Uhren. Und wenn man da irgendwie mal am Sekundenzeiger dreht, ist eben die Gefahr, dass etwas schiefgeht. Deswegen gibt es seit ungefähr zehn Jahren Versuche, diese Schaltsekunde loszuwerden, aber so richtig weit gekommen, ist man noch nicht mit diesem Versuch.

    Blumenthal: Sie haben gesagt, in der letzten Woche hat man sich in Genf darüber gestritten, man hat sich nicht geeinigt, ober besser gesagt, man hat die Einigung oder wie auch immer die Entscheidung vertagt. Warum konnte man sich in Genf nicht einigen? Abschaffung oder Beibehaltung oder wir lassen es offen oder wie auch immer so eine vage Situation?

    Krauter: Es gibt ganz unterschiedliche Gründe. Offiziell hat man gesagt, viele Länder hatten noch gar keine Gelegenheit, sich damit zu befassen. Dieses UN-Gremium, da sind ja Länder wie Burkina Faso auch zum Beispiel drin, da kann man sich denken, die haben andere Dinge zu tun als sich mit der Weltzeit zu beschäftigen oder mit einer Zeitreform, die weitreichende Folgen hätte. Es gibt aber auch Länder wie Großbritannien zum Beispiel und China, die auch dagegen sind, Industrienationen. Da gibt es dann doch auch ein bisschen Lokalpatriotismus. Die Briten zum Beispiel haben ja Greenwich Mean Time, das ist immer noch der Naben der astronomischen Universalzeit. Das will man nicht so einfach aus der Hand geben, das würde seine Bedeutung verlieren, wenn die Schaltsekunde abgeschafft würde. Also es sieht so aus, als ob es mindestens noch einmal zehn Jahre dauern würde, bis man einen neuen Anlauf schafft. Und da müssen wir erstmal warten. Die Schaltsekunde bleibt uns erhalten.

    Blumenthal: Und wann treffen sich die Experten nochmal, um weiter zu diskutieren?

    Krauter: Man hat jetzt drei Jahre Zeit gewonnen. 2015 will man sich wieder treffen, hofft auf eine neue Vorlage. Aber wie gesagt: Die Leute, mit denen ich gesprochen habe, sagen: Naja, jetzt haben wir zehn Jahre Zeit gehabt und wenig erreicht. Da werden jetzt drei Jahre extra auch nicht mehr viel bringen.

    Weitere Beiträge zum Thema:

    "Der Wert einer Sekunde"(Tagesthema bei DRadio Wissen vom 23.1.2012)