1943, während der deutschen Besetzung Frankreichs, versuchte die 29jährige, damals noch unbekannte Marguerite Duras mit dem Familienporträt der Tanerans die Abgründe ihrer eigenen Kindheit und Jugend zu verarbeiten. Doch nicht Indo-china, wo sie aufgewachsen war, wählte sie als Kulisse, sondern die beschauliche Dordogne im Südwesten Frankreichs. Ort und Zeitumstände erschienen Marguerite Duras belanglos. In ihren Augen zählte allein die Kaputtheit der familiären Bin-dungen.
Erstlinge haben ihr eigenes Drama. Für Marguerite Duras gab es 1943 nur eine Alternative: entweder ihr Roman "Die Schamlosen" fände einen Verleger oder sie nähme sich das Leben. Weder ein Laune noch Eitelkeit trieb sie. "Wenn das Buch nicht existiert", so ihre Biographin Frédérique Lebelley, "dann auch sie nicht." Obwohl ihr damaliger Ehemann den Roman nicht sonderlich schätzte, fand er schließlich - trotz Papierrationierung und Nazi-Zensur - einen Verlag. Der Grund-stein zu Marguerite Duras´ Karriere war gelegt. Dennoch sollte sie am Ende ihres Lebens versuchen, eine Neuauflage ihres Romans "Die Schamlosen" zu verhin-dern. Zu viele Unvollkommenheiten, so das selbstkritische Urteil der mittlerweile weltberühmten Autorin. Allein, in ihrem Erstling zeichnen sich - trotz der noch konventionellen Prosa - bereits einige ihrer späteren Stärken ab: so ihr unnachahmliches Gespür für die Gebrochenheit der Gefühle und die Macht des Vergan-genen.
1943 sagte Marguerite Duras, der Roman "Die Schamlosen" sei buchstäblich aus ihr herausgebrochen. Und in der Tat: es ist diese wütende, noch unbeholfene Glücksuche der jungen Maud, die seine innere Spannung ausmacht. Gequält von der Berechnung und Treulosigkeit, die in ihrer Familie herrschen, versucht sie, sich während der Ferien in der Dordogne von ihr zu lösen. Aufgrund der Baufälligkeit ihres Landhauses und Jacques´ Verschwendungssucht rückt jedoch bald wieder die leidige Frage des Geldes in den Mittelpunkt. Mutter Taneran sieht keinen anderen Ausweg, als ihre Tochter mit dem einzigen Sohn der wohlhabenden Bauernfamilie Pecresse zu verheiraten. Maud jedoch läßt sich mit dem Einzelgänger Durieux ein, schlimmer noch: sie wird schwanger. Der klassische Familien-Skandal nimmt sei-nen Lauf.
Immer wieder stößt Marguerite Duras in ihrem Roman "Die Schamlosen" in existentielle Grauzonen vor. Sie beschreibt die zerstörerische Kraft von Langeweile und Überdruß, das abgründige Ringen von Wille und Lust, den Teufelskreis von innerer Leere und schaler Befindlichkeit. Maud empfindet die ihr zugewiesene Tochterrolle als Zwangsjacke. Immer offener begehrt sie gegen die Dominanz ih-res ältern Bruders auf, der gegen alles gleichgültig ist, was ihm kein unmittelbares Vergnügen bereitet. Mauds Hoffnung auf eine Flucht in die Liebe wird jedoch von Marguerite Duras als Klischee entlarvt. Die sexuellen Wonnen, die Maud erlebt, können die Momente des Befremdens nicht übertünchen. Die Sehnsucht nach symbiotischer Zweisamkeit erscheint so illusionär wie die Hoffnung auf Kontinuität. Das ernüchternde Fazit ihres Erstlings sollte Marguerite Duras mehr als vierzig Jahre später in ihrem autobiographischen Roman "Der Liebhaber" noch einmal unmißverständlich auf den Punkt bringen. Die Geschichte ihres Lebens, betonte sie 1984, gebe es nicht, es gebe - so wörtlich - "nie einen Mittelpunkt, keinen Weg, keine Linie."
Den Erstling einer weltberühmten Schriftstellerin mit seinen zwangsläufigen Schwächen auf den deutschen Buchmarkt nachzuschieben, ist ein zwiespältiges Unterfangen. Doch wäre es im Fall des Romans "Die Schamlosen" verfehlt, dem Suhrkamp Verlag akademische Vollständigkeitsneurosen oder das Spekulieren auf den Verkaufsautomatismus zu unterstellen. Zum einen rechtfertigt allein schon die starke autobiographische Grundierung die Veröffentlichung. Zum anderen weist das Psychodrama der schrill-dekadenten Tanerans bereits genug Qualitäten auf, um Leser, die Marguerite Duras noch nicht kennen, neugierig zu machen. Nicht von ungefähr gehörte zu denen, die 1943 ihr großes Talent erkannten, kein Geringerer als der Romancier Raymond Queneau.
Erstlinge haben ihr eigenes Drama. Für Marguerite Duras gab es 1943 nur eine Alternative: entweder ihr Roman "Die Schamlosen" fände einen Verleger oder sie nähme sich das Leben. Weder ein Laune noch Eitelkeit trieb sie. "Wenn das Buch nicht existiert", so ihre Biographin Frédérique Lebelley, "dann auch sie nicht." Obwohl ihr damaliger Ehemann den Roman nicht sonderlich schätzte, fand er schließlich - trotz Papierrationierung und Nazi-Zensur - einen Verlag. Der Grund-stein zu Marguerite Duras´ Karriere war gelegt. Dennoch sollte sie am Ende ihres Lebens versuchen, eine Neuauflage ihres Romans "Die Schamlosen" zu verhin-dern. Zu viele Unvollkommenheiten, so das selbstkritische Urteil der mittlerweile weltberühmten Autorin. Allein, in ihrem Erstling zeichnen sich - trotz der noch konventionellen Prosa - bereits einige ihrer späteren Stärken ab: so ihr unnachahmliches Gespür für die Gebrochenheit der Gefühle und die Macht des Vergan-genen.
1943 sagte Marguerite Duras, der Roman "Die Schamlosen" sei buchstäblich aus ihr herausgebrochen. Und in der Tat: es ist diese wütende, noch unbeholfene Glücksuche der jungen Maud, die seine innere Spannung ausmacht. Gequält von der Berechnung und Treulosigkeit, die in ihrer Familie herrschen, versucht sie, sich während der Ferien in der Dordogne von ihr zu lösen. Aufgrund der Baufälligkeit ihres Landhauses und Jacques´ Verschwendungssucht rückt jedoch bald wieder die leidige Frage des Geldes in den Mittelpunkt. Mutter Taneran sieht keinen anderen Ausweg, als ihre Tochter mit dem einzigen Sohn der wohlhabenden Bauernfamilie Pecresse zu verheiraten. Maud jedoch läßt sich mit dem Einzelgänger Durieux ein, schlimmer noch: sie wird schwanger. Der klassische Familien-Skandal nimmt sei-nen Lauf.
Immer wieder stößt Marguerite Duras in ihrem Roman "Die Schamlosen" in existentielle Grauzonen vor. Sie beschreibt die zerstörerische Kraft von Langeweile und Überdruß, das abgründige Ringen von Wille und Lust, den Teufelskreis von innerer Leere und schaler Befindlichkeit. Maud empfindet die ihr zugewiesene Tochterrolle als Zwangsjacke. Immer offener begehrt sie gegen die Dominanz ih-res ältern Bruders auf, der gegen alles gleichgültig ist, was ihm kein unmittelbares Vergnügen bereitet. Mauds Hoffnung auf eine Flucht in die Liebe wird jedoch von Marguerite Duras als Klischee entlarvt. Die sexuellen Wonnen, die Maud erlebt, können die Momente des Befremdens nicht übertünchen. Die Sehnsucht nach symbiotischer Zweisamkeit erscheint so illusionär wie die Hoffnung auf Kontinuität. Das ernüchternde Fazit ihres Erstlings sollte Marguerite Duras mehr als vierzig Jahre später in ihrem autobiographischen Roman "Der Liebhaber" noch einmal unmißverständlich auf den Punkt bringen. Die Geschichte ihres Lebens, betonte sie 1984, gebe es nicht, es gebe - so wörtlich - "nie einen Mittelpunkt, keinen Weg, keine Linie."
Den Erstling einer weltberühmten Schriftstellerin mit seinen zwangsläufigen Schwächen auf den deutschen Buchmarkt nachzuschieben, ist ein zwiespältiges Unterfangen. Doch wäre es im Fall des Romans "Die Schamlosen" verfehlt, dem Suhrkamp Verlag akademische Vollständigkeitsneurosen oder das Spekulieren auf den Verkaufsautomatismus zu unterstellen. Zum einen rechtfertigt allein schon die starke autobiographische Grundierung die Veröffentlichung. Zum anderen weist das Psychodrama der schrill-dekadenten Tanerans bereits genug Qualitäten auf, um Leser, die Marguerite Duras noch nicht kennen, neugierig zu machen. Nicht von ungefähr gehörte zu denen, die 1943 ihr großes Talent erkannten, kein Geringerer als der Romancier Raymond Queneau.