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Die Schatzkammer der Alpen

Innsbruck besitzt mit seiner Altstadt eine der größten historischen Anlagen Österreichs. Reich geworden ist die Stadt im Mittelalter mit Salz, überall erinnern Straßennamen daran. Und noch heute werden hier Glocken produziert - mit modernsten technischen Mitteln.

Von Monika Lüpschen | 16.12.2012
    Die Altstadt von Innsbruck
    Die Altstadt von Innsbruck (picture alliance/Markus C. Hurek)
    Salzgewinnung und Salzhandel hat die Geschichte von Hall über Jahrhunderte geprägt. Das sogenannte "weiße Gold" wurde seit dem 13. Jahrhundert im nahe gelegenen Halltal des Karwendelgebirges abgebaut und machte die Stadt reich.

    Beim Schlendern durch die von einer mittelalterlichen Mauer umgebenen Altstadt stößt man ständig auf Straßen, die direkten Bezug zu diesem Lebensgut Salz hatten. Beispielsweise wurde in der Pfannhausstraße die Sole in großen Siedepfannen verdampft. Und der Schopperweg besagt, dass hier Handwerker Boote und Schiffe reparierten, mit denen das Salz auf der Inn transportiert wurde. Überall ist der frühere Reichtum der Stadt zu erkennen: an dem repräsentativen Rathaus, den zahlreichen Kirchen, an den prächtigen erker- und giebelverzierten Wohnhäusern verschiedener Stilepochen. Nur wenige sind noch nicht restauriert.

    In der Mitte der Altstadt – sie zählt übrigens zu der größten historischen Anlage dieser Art in Österreich – öffnet sich ein weiträumiger gepflasterter Platz mit schöner Häuserkulisse. Geradewegs fällt der Blick auf die Kirche St. Nikolaus. Vor der Kirchenmauer reihen sich eng kleine Geschäfte. Neben architektonischen Besonderheiten überrascht diese spätgotische, später aber barockisierte Kirche mit etwas ganz anderem: Sie ist im Inneren vollständig mit barocken Fresken bemalt. Selbst dem aufmerksamsten Besucher wird es nicht gelingen, auch nur eine freie Fläche zu finden. Eine große Reliquiensammlung machte sie zudem zum berühmten Wallfahrtsziel.

    Dicht daneben befindet sich die ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert stammende Burg Hasegg. Der Besucher betritt einen großen gotischen Innenhof, dekorativ wirken Mauerprofilierung, Erkerdurchgänge und -bögen. Die Burg wurde einst zum Schutz der Saline, der Schifffahrt, der Brücke über den Inn – damals war sie die einzige zwischen Bayern und Südtirol – und zur Überwachung der alten Salzstraße errichtet. Im 16. Jahrhundert erhielt die Burg dann eine neue, nicht weniger wichtige Funktion: Sie wurde Münzprägestätte. Das hatte wirtschaftliche Gründe, wie der Führer im heutigen Münzmuseum erklärt:

    "Die Innschifffahrt war da, der Salzhandel war in Hall, die großen Märkte waren in Hall. Es ist dort sehr viel Geld umgesetzt worden im Mittelalter. Also, der Landesherr hat ein Drittel des Geldes nur von Hall bezogen. Und damit war viel Geld da, das fremdes Aussehen hatte. Und das hat man dann nach Meran bringen müssen, eingeschmolzen und neu ausgeprägt, das war für den Handel sehr schwierig und auch gefährlich der Weg zwischen Meran und Hall. Und dann hat man die Münzstätte nach Hall verlagert."

    Hinzu kam, dass in Schwaz – 30 Kilometer östlich von Hall gelegen – große Silbervorkommen entdeckt wurden. Daraus wurden ebenfalls Münzen geprägt. Einen geeigneteren Ort als Burg Hasegg konnte man gar nicht finden, um die Geschichte des Münzwesens darzustellen. Anschaulich wird sie durch moderne interaktive Inszenierung vermittelt. Hauptattraktion aber ist eine nachgebaute Walzprägemaschine. Sie füllt eine ganze Halle aus:

    "Sie ist riesengroß, ist zehn Meter lang, vier Meter breit und 2,5 Meter hoch, funktionstüchtig. Hat ein Drechslermeister aus Hall nachgebaut, allerdings schwierig. Es stecken zwischen Jahre Forschungsarbeit dadrinnen. Es gibt keine Pläne mehr, wie so eine Maschine wirklich ausgesehen hat."

    Maschinen dieser Art wurden sogar exportiert. So zum Beispiel in die spanische Stadt Segovia. Dort gab es im ausgehenden Mittelalter eine große Münzprägestätte:

    "Mehrere hat man noch gebaut. Und eine gibt es noch weltweit erhalten in Bolivien. In Potosnia, 4000 Meter hoch. Da ist das größte Silberbergwerk der Welt. Dort hat man nur die Silberstreifen erzeugt, drüben hatte man Sklaven, um diese händisch auszuprägen."

    Vom Turm des Münzmuseums hat man eine fantastische Aussicht über die Stadt und die Bergmassive sowie Einblicke in die interessante Stadtarchäologie.

    Mit einem fast vollständig erhaltenen mittelalterlichen Stadtbild glänzt auch Rattenberg. Die kleinste Stadt Österreichs war – ähnlich wie Hall – im Mittelalter ein bedeutender Umschlagplatz für den Ost-West-Handel. Als dann im frühen 15. Jahrhundert im Unter-Inntal ergiebige Silber- und Kupfererzvorkommen entdeckt wurden, nahm die Bedeutung Rattenbergs noch zu: Die Stadt wurde Hauptsitz des Bergbaues.

    Ein Kloster aus dem 14. Jahrhundert – dicht am Inn gelegen – wurde in ein Museum umgewidmet. In dem vollständig restaurierten Gebäude sind jetzt wertvolle Kunstwerke aus acht Jahrhunderten Tiroler Geschichte, Kunst und Kultur untergebracht. Die Sammlung musste allerdings erst aufgebaut werden. Hermann Drexel, der Kustos des Museums, erinnert sich an wenig schöne Begleitumstände, als die letzten Mönche 1971 das Kloster verließen:

    "Die Möbel wurden von den alten Servitenmönchen zum Schluss in einer Nacht- und Nebelaktion an Antiquitätenhändler verscherbelt. An Exponaten sind bis auf die großen Altäre nichts mehr vom Kloster übrig geblieben. Zwei gotische Tafeln sind nur noch deshalb da, weil sie unter einem Haufen Bauschutt lagen. Und im Obergeschoss noch sehr schöne Thesenblätter, weil sie zerfleddert waren und wir sie in den letzten Jahren restauriert haben und ausstellen konnten."

    Unter den Gold- und Silberschmiedearbeiten, den Stücken religiöser Volkskunst und gotischen Plastiken gibt es einige, die besonders herausragen. Da ist beispielsweise die stattliche Holzfigur eines Schmerzenmannes, die im Mittelalter sehr verehrt wurde:

    "Es ist eine Gliederpuppe, keine starre Figur. Und sie kann Arme und Kopf bewegen und hat eine bewegliche Zunge. Und wahrscheinlich hat man diese Figur bei österlichen Mysterienspielen verwendet, um die einzelnen Kreuzwegestationen nachzustellen. Und im Hinblick auf diesen spätgotischen Naturalismus hat man auch die Zunge bewegt, um ihn wie eine Bauchrednerpuppe sprechen zu lassen."

    Originell sind auch sogenannte Altarbuschen. Die folkloristischen Blumensträuße sind aus bunt bemaltem Metall gefertigt:

    "Die hat man auch deshalb so naturalistisch gemacht, weil die im Winter auf die Altäre gestellt worden sind, weil es keine natürlichen Blumen gab. Gerade bei diesen Altarbuschen kann man auch sehr schön zeigen, in der Situation, in der wir waren, die Sammlung von Gold- und Silberschmiedearbeiten zusammengetragen haben. Diese wollten die Messner nicht hergeben. Aber die Altarbuschen wollten die Kirchen loswerden. 'Können wir vielleicht einen haben?' - 'Was! Nehmt's gleich alle mit!' - weil sie sich immer die Finger geschnitten hat."

    Innsbruck, auch Schatzkammer der Alpen genannt, hat mit einer 800-jährigen Vergangenheit viel zu bieten. Nur einige Stichpunkte: die kaiserliche Hofburg, der Dom St. Jakob und das Renaissanceschloss Ambras aus der Zeit von Erzherzog Ferdinand II. Historisch ebenfalls bedeutsam, wenngleich auf ganz anderer Ebene, ist ein Unternehmen, das mit all diesen Denkmälern eng verbunden ist: die Glockengießerei Grassmayr. Das gelbverputzte Gebäude aus dem 16. Jahrhundert liegt an einer lebhaften Straßenkreuzung unmittelbar vor der Innenstadt und hat römische Grundmauern. Erst kürzlich wurden an dieser Kreuzung Reste eines alten römischen Bades mit Fuß- und Wandheizung entdeckt. Seit über 400 Jahren werden in dem Familienbetrieb Glocken jeglicher Art gefertigt. Glockenliebhaber geraten hier ins Schwärmen. Zu Beginn der Führung durch den Betrieb stellt Glockengießer Johannes Grassmayr gleich den Leitsatz seines Vaters vor – frei nach dem Komponisten Gustav Mahler:

    "Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers."

    Und damit weist er ganz klar die Richtung auf: Einsatz modernster Technik auf der Basis langer Erfahrung.

    "Wir haben die alten Handwerksbücher wieder herausgeholt, übersetzen lassen und haben jetzt besondere Sachen in Lehm, die wir vor ein paar Jahren nimmer gehabt haben. Es sind laufend Abenteuer. Einerseits hat man die lange Tradition über 400 Jahre. Das Spannende liegt jedoch in jedem Tag, was Neues zu arbeiten, dass die Leute nicht nur heute Freude mit dem Produkt haben, sondern auch noch in 300 bis 400 Jahren."

    In einer Halle der neuen modernen Glockengießerei stehen mächtige Glocken – noch im Lehmmantel. Denn Lehm ist unverzichtbar. Nur die Technik, die den Produktionsprozess begleitet, hat sich gewaltig geändert. Die elektronischen Geräte sind unübersehbar:

    "Es gibt nun Computersimulation. Man kann das Metall mit dem Stöckchen auf 100stel-Grad genau messen. Mein Großvater hat die Temperatur des Metalls noch rein mit dem Auge gemessen. Der hat hingeschaut, was hat das Metall für eine Farbe, wie sind die Flammen. Und aufgrund dessen hat er gemerkt: Aha, jetzt müsste es soweit sein."

    Nicht nur die Metalllegierung, auch die Art der weiteren Bearbeitung der Glocken ist wichtig für ihre Qualität und Haltbarkeit. Zusammen mit dem Fraunhofer Institut in Kempten und der Universität in Innsbruck werden einzelne Produktionsschritte immer mehr verfeinert. Beispiel Abkühlung der Glocken: Früher dauerte das je nach Größe zwei bis drei Wochen. Versuche haben gezeigt, dass dies schneller über einzelne Temperaturphasen erreicht werden kann:

    "Von 1200 Grad auf 800 Grad muss es relativ schnell gehen, von 800 auf 400 Grad muss es relativ langsam gehen, von 400 Grad auf null ist es egal."

    Die Töne schwingen durch die hohe Halle der Gießerei. Wichtig seien nicht nur die Teiltöne, sondern auch der lange Nachhall, sagt Grassmayr. Und auch das wird genau berechnet, je nachdem, wozu die Glocken eingesetzt werden:

    "Wir haben jetzt bei einer Glocke mit einem elektronischen Gerät 200 Teiltöne herausfiltern können.""

    Und welche Rolle das Material spielt, zeigt dieses Beispiel: Der Klang wird auch durch das Schmelzen der Metalle beeinflusst.

    "Das ist ein Drehtrommelofen – ähnlich wie eine Waschmaschine. Metall kommt da hinein, das Feuer da her, da geht der Rauch 'raus und dann bei der Öffnung fließt das Metall 'raus. Bronze ist die Legierung aus Zinn und Kupfer. Das muss ein feines Metall sein, feinkörnig. Und wenn Gase dadrinnen sind, ist der Klang schon gleich viel schlechter."

    Engagiert und gestenreich erläutert der Glockengießer die vielen Details dieses uralten Handwerks, das immer mehr zum wissenschaftlichen Versuchsfeld geworden ist – mit ehrgeizigem Ziel:

    "Daher machen wir jeden Monat mindestens ein Experiment: Wie gelingt es, besser zu werden? Mit der Sehnsucht nach der Stradivari der Glocken. Und das Interessante ist, wo mein Onkel noch 1994 gezweifelt hat, ob wir überhaupt noch Zukunft haben: Wir gießen jetzt allein die dreifache Menge wie vor zehn Jahren.""

    Die Grassmayrschen Glocken erklingen in über 100 Ländern. In Europa arbeiten zur Zeit noch 50 Gießereien. In 20 Jahren dürften es noch fünf bis zehn sein, schätzt Grassmayr und lässt keinen Zweifel daran, dass dieser traditionsreiche Familienbetrieb dazu gehören wird.