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Die schnellsten Superzüge Europas

Wer früher von Madrid nach Barcelona mit dem Zug fahren wollte, brauchte viel Zeit. Doch jetzt hat Spanien den Hochgeschwindigkeitszug für sich entdeckt. Andalusien und Kastilien sind bereits durch die bis zu 300 Stundenkilometer schnellen Zügen miteinander verbunden. Und seit diesem Frühjahr ist auch das katalanische Barcelona auf schnellem Weg zu erreichen. Hans-Günter Kellner berichtet:

    Der neue Wind, den Spaniens High-Tech-Bahn mit sich bringt, hat die alte Zugromantik gründlich hinweggefegt: Koffer werden durchleuchtet, Fahrscheine schon vor Fahrtantritt entwertet. Abschiedszenen auf dem Bahnsteig gibt es nicht mehr.

    Einmal im Zug, machen die Fahrgäste aber all das, was im Flugzeug verboten ist: Sie schalten Laptops ein und telefonieren aufgeregt mit ihren Büros. Die beliebteste Einrichtung im neuen Zug ist die Cafeteria. Dort meinen diese beiden Geschäftsreisenden:

    "Unser Unternehmen hat drei Firmensitze, alle drei entlang dieser Strecke, in Madrid, Saragossa und Barcelona. Die eigentliche Reisezeit nach Barcelona ist mit dem Flugzeug zwar kürzer, etwas weniger als eine Stunde, aber die Anfahrt zum Flughafen, die Kontrollen... Am Ende ist man nicht schneller. Im Zug kann man mal aufstehen, frühstücken, besser arbeiten, sich auch mal ausruhen. Der Zug ist einfach bequemer."

    Drei Stunden dauert die Fahrt, ohne Zwischenstopps sind es sogar nur zweieinhalb Stunden, für die mehr als 600 Kilometer. Dabei fährt der Zug zeitweise 300 Kilometer pro Stunde schnell , demnächst sollen es sogar 350 Stundenkilometer sein. Kritikern zufolge ist der Energieverbrauch bei einem solchen Tempo nicht geringer als beim Flugzeug. Spaniens Bahn erklärt hingegen, die Züge würden beim Bremsen selbst Energie erzeugen und wieder ins Netz einspeisen. Welches der vielen Energiemodelle der Hochgeschwindigkeitszüge auch stimmt - in Spanien überwiegt die Faszination über den schnellen Wandel hin zu den schnellsten Superzügen Europas. Schaffner Bonifacio Garcia fährt die Strecke Madrid-Barcelona seit 20 Jahren. Er erinnert sich:

    "Die alte Eisenbahn gibt es nicht mehr, Fahrten mit 23 Stopps, die 12, 13 Stunden für 600 Kilometer brauchen. Es ist teurer geworden, aber auch bequemer. Vor wenigen Jahren sind die Leute aus den Dörfern noch mit ihrem Olivenöl nach Madrid gefahren, um es dort zu verkaufen. Heute haben wir mehr Geschäftsreisende, die am gleichen Tag wieder zurück fahren. Das war früher unmöglich. Da benötigte man drei Tage für einen Termin in einer andern Stadt."

    In der Club-Klasse werden unterdessen Kaffee, Orangensaft und Croissants oder eine spanische Tortilla gereicht. Zwischen 40 und 100 Euro zahlt man in der zweiten Klasse, 250 Euro in der komfortabelsten Klasse. Das ist fast um die Hälfte günstiger als die Luftbrücke Iberias zwischen Madrid und Barcelona. Aber die Bahn hat ein Kapazitätsproblem, meint dieser Reisende:

    "Iberia bietet mehr Plätze an. Wenn ein Flug voll ist, nimmt man einfach den nächsten. Die fliegen ja jede Viertelstunde. Mit dem Zug bin ich unflexibler, muss reservieren. Da müssen wir dann doch oft fliegen, obwohl wir lieber mit dem Zug fahren würden. Die Bahn muss mehr Züge anbieten und mehr Plätze in den Zügen."

    Einen Monat nach Eröffnung der Bahnlinie hatten sich bereits 300.000 Menschen für den Zug entschieden, das sind 10.000 am Tag - genau die Zahl der Plätze, die Iberia auf ihrer Luftbrücke anbietet. Die Fluglinie setzt inzwischen kleinere Flugzeuge auf der Strecke ein.

    Barkeeper Juan fuhr lange Zeit auf der bis vor kurzem noch einzigen Hochgeschwindigkeitsstrecke Spaniens, zwischen Madrid und Sevilla. Später fuhren die Züge auch nach Malaga, Valladolid und jetzt nach Barcelona. Jede Strecke hat andere Fahrgäste, sagt der 28-jährige, während er seine Cafeteria aufräumt:

    "Auf der Barcelona-Strecke sind es vor allem Geschäftsleute, nach Sevilla eher Privatreisende. Am liebsten sind mir die Leute aus Saragossa, die sind am höflichsten. Die Unterschiede der Mentalitäten sind Klischees, aber sie stimmen auch. Manchmal verlangen katalanische Reisende von mir, dass ich katalanisch sprechen soll. Ich verstehe es, aber ich kann es nicht sprechen. Die Katalanen sind auch sehr anspruchsvoll, denen kann man keinen lauwarmen Kaffee servieren. Die Andalusier sind lockerer. Aber auch lauter. Die Madrilenos? Über die kann ich nur Gutes sagen. Ich bin ja selbst einer."

    In Barcelona hatten nicht alle den Superzug aus Madrid mit Freude erwartet. Die Bauarbeiten an der neuen Strecke beschädigten das S-Bahn-Netz immer wieder, Züge mit Hunderten von Pendlern standen plötzlich still. Auf dem Bahnhof von Barcelona sagt ein Passant:

    "Ich habe den Zug vor zwei Wochen benutzt. Ich muss ehrlich sagen, wenn man dann da drin sitzt und in zweieinhalb Stunden in Madrid ankommt, vergisst man die vielen Probleme, die wir in Barcelona hatten. Jetzt geht es um den Weiterbau bis nach Frankreich. Die wollen einen Tunnel unter unsere Sagrada Familia-Kirche bauen. Das ist sehr polemisch. Eigentlich dürfte ja nichts passieren. Hoffentlich haben die Politiker aus der Vergangenheit gelernt."