Donnerstag, 28. März 2024

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Die schöne Gewohnheit zu leben

"So wie die Sprache in ihren die Wirklichkeit vereinfachenden Begriffen erst den Blick auf diese Wirklichkeit eröffnet, so wurde auch hier die Malerei als eine Sprache erfunden, mit der die zerstreuenden Eindrücke der Sinne regelrecht niedergeschrieben werden können." Der Goethe-Freund Philipp Hackert, der viel später hier am Golf von Neapel gemalt hat, notierte, man müsse zu einer Beherrschung des Zeichnens gelangen, 'wie man schreibt'. "Und in solchen schriftartigen Abbreviaturen ... waren die pompejanischen Maler groß."

Klaus Modick | 01.01.1980
    Diese Bemerkungen angesichts pompejanischer Malerei im Nationalmuseum von Neapel lassen sich durchaus auch auf die schriftstellerische Methode ihres Autors beziehen, auf Martin Mosebachs Sammlung italienischer Miniaturen "Die schöne Gewohnheit zu leben". Denn die elf Prosastücke aus Capri, Neapel, Rom, Venedig und Turin sind mehr oder weniger stark ausgearbeitete Abbreviaturen, Skizzen und Impressionen eines Landes, vor allem auch eines Lebensgefühls, das Mosebach sehr genau kennt und dem seine Sympathie gilt. Romantische Italienschwärmerei, teutonische Sehnsucht nach dem Land, wo die Zitronen und Phantasien blühen, ist diesem Autor allerdings erfreulich fremd. Seine Texte schweifen nur selten subjektiv aus; zumeist sind es feuilletonistische Denkbilder, durch reichhaltiges kulturhistorisches Material oft fast reportagehaft unterfüttert. Mosebach geht es, wie er auch an den pompejanischen Malereien diagnostiziert, um "die Verbindung von persönlicher Handschrift und objektiver Erscheinung". Manchmal werden seine Texte von der Fülle des beigebrachten Materials freilich nahezu erdrückt; die objektive Erscheinung gewinnt dann im Verein mit angehäuftem Bildungsgut die Oberhand über Mosebachs persönliche Handschrift, was vielleicht daran liegt, daß ein Teil dieser Arbeiten für Feuilletons und Magazine geschrieben wurde. Um diesen kulturhistorischen Glossen, beispielsweise über die Commedia dell'arte, die neapolitanische Schneiderkunst oder das Turiner Autodesign, überhaupt noch eine erzählende Struktur zu geben, greift Mosebach mehrfach zum Kunstgriff typisierender, fast platonischer Dialoge; das wirkt dann gelegentlich theaterhaft, manchmal hölzern und ein- oder zweimal auch wie didaktisch bemühter Schulfunk - zum Beispiel im Prolog, in dem sich ein Maler, eine Dichterin, ein Komponist, ein Architekt und ein "junger Mann", wohl der Autor selbst, auf einer Dachterrasse in der Nähe der Piazza Farnese über den italienischen Pragmatismus unterhalten.Die gelungenen Stücke allerdings, und sie bilden in dieser Sammlung den überwiegenden Teil, erinnern in ihrer stilistischen Präzision und analytischen Klugheit durchaus an die Denk- und Städtebilder Walter Benjamins: Die schöne Gewohnheit zu leben, der mit Abstand schönste Text, der nicht zufällig dem ganzen Buch den Titel gibt, ist das wunderbare Porträt einer italienischen Mama, einer Matriarchin, die einem vielköpfigen Haushalt auf Capri vorsteht, zu dem offenbar auch ein Pensionsbetrieb gehört. Und offenbar ist Martin Mosebach in dieser Pension zu Gast gewesen. Doch das erfährt man nur indirekt; der Autor bleibt als Figur abwesend und ist zugleich durch die Intensität seiner Beschreibungen hochgradig präsent. Die Verbindung von persönlicher Handschrift und objektiver Erscheinung ist Mosebach hier mustergültig gelungen, nicht zuletzt wohl deshalb, weil hier wirklich aus der Anschauung heraus erzählt wird. Dadurch bekommt diese Geschichte die Strahlkraft eines Gemäldes. "Im Fenster", heißt es beispielsweise einmal, "dessen Durchzug die leichte Kühlung schafft, die dem groben Kälteschock des Eisschrankes vorzuziehen ist, steht eine Schüssel mit Eiern, daneben ein saftiger Petersilienstrauß im Wasserglas. Die Zitrone, die auf dem Brett mit dem schweren Messer zerteilt worden ist, blutet geradezu vor Frische. Ein Lichtstrahl fällt in das gelbe Olivenöl, das im Hals der schwarzen Weinflasche die Berührung des Weins mit der Luft verhindert.

    Martin Mosebach ist uns als Erzähler und Autor von drei, zum Teil sehr umfangreichen, Gesellschaftsromanen bekannt; diese Romane haben auf ganz erstaunlich selbstbewußte Weise Errungenschaften des bürgerlichen Realismus übernommen und in unsere Gegenwart transportiert, was dem Autor sehr zu Unrecht den Ruf eingetragen hat, ein eher konservativer Unterhaltungsschriftsteller zu sein. Und auch in den italienischen Skizzen gibt es einige Bemerkungen, die diesen Ruf bestätigen könnten, etwa wenn Mosebach anmerkt, daß "rationalistische Konstrukte und anthropologische Ideologien taub und blind für die Sprache untergegangener Epochen gemacht" hätten, oder wenn er von Italiens Gabe spricht, "die Vergangenheit im Alltäglichen lebendig zu erhalten". Allerdings sind solche Haltungen keine ideologischen und schon gar nicht politischen Ressentiments; vielmehr ergeben sie sich unmittelbar aus Mosebachs Stilideal, eben jener Verbindung von persönlicher Handschrift und objektiver Erscheinung. Maria wird ungehalten, wenn "das Lob über ihre Küche nicht auf den soliden Füßen des Realismus steht". Und Martin Mosebachs Stil steht fast immer auf den soliden Füßen eines Realismus, der sich aus der präzisen Beobachtungsgabe des Autors speist. Diese nahezu stoische, kühle, zugleich aber auch ironische Sachlichkeit, die oft an Fontane erinnert und manchmal, wenn sie auf apodiktische Sentenzen reduziert wird, an die Prosa Ernst Jüngers, ist jedoch nicht nur ein Realismus des Schreib-, sondern auch des Lebensstils, wie er in der Haltung der Matriarchin Maria zum Ausdruck kommt: "Nichts Lächerlicheres als Hoffnungen! Der Lauf des Lebens ist eisern vorgeschrieben. Wer nicht alt sterben will, muß sich jung verbrennen lassen. Hoffnungen für die Zukunft? Man möge sich freuen, wenn sie dem Heute gleicht. Das Heute aber ist nichts anderes als der frischeste Ausdruck dessen, was immer da war. Wer das weiß, der versteht zu leben." Der versteht aber auch, so könnte man ergänzen, zu schreiben. Martin Mosebach jedenfalls hat das mit seinem italienischen Divertimento nachdrücklich bewiesen.