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Die Schule bleibt nicht im Dorf

"Wir streichen nicht eine einzige Schule - sondern alle": Diesen Spruch fanden Sachsen-Anhalts Sozialdemokraten im Wahlkampf witzig. Doch statt alle Schulen zu sanieren, werden nun einige geschlossen. Zur Disposition stehen 75 Grundschulen - vor allem im ländlichen Raum.

Von Uli Wittstock | 25.02.2013
    Möringen ist ein Siebenhundert-Seelen Dorf in der Altmark. Eigentlich haben die Möringer alles richtig gemacht. 2010 ließen sie sich von der Kreisstadt Stendal eingemeinden, denn das Dorf ist überaltert. So hofften sie, die Folgen des demografischen Wandels besser zu bewältigen. Immerhin seit 1907 gibt es auch eine Schule in dem Dorf. Die 100-Jahrfeier fand noch statt, doch ob es auch einen 110. Geburtstag zu feiern gibt, ist derzeit fraglich. Deshalb hat Karina Seifert ihre Tochter jetzt schon mal in der Grundschule Möringen angemeldet, obwohl sie erst im übernächsten Jahr eingeschult wird. Die junge Mutter hofft, dass die Schule im Dorf bleibt:

    "Wenn schon die kleinen Kinder morgens nach Stendal oder in eine andere Stadt fahren müssen, dann ist das viel zu viel Stress. Bei uns fängt ja die Schule um 7.20 Uhr an. Also zwischen 6.30 Uhr und 6.45 Uhr muss er spätestens losfahren der Bus, weil er ja mehrere Dörfer anfährt. Ich habe hier auch gute Erfahrungen mit dieser Schule gemacht, deswegen muss sie hier auch einfach eingeschult werden."

    Doch so einfach ist es eben nicht. Derzeit werden in der Grundschule Möringen 44 Kinder betreut, von der ersten bis zur fünften Klasse. Eigentlich müssten es 60 Kinder sein, das schreibt das Schulgesetz des Landes vor. Doch in den letzten Jahren gab es viele Ausnahmegenehmigungen. Zu Recht sagt Melanie Fritze. Auch sie hat ihr Kind bereits in Möringen angemeldet:

    "Das ist nicht weit weg von uns, man kann im Sommer mit dem Fahrrad fahren, das ist für die Kinder schon viel besser. Und vor allem bleiben sie mit ihren Freunden zusammen. Das sind ja Grundschüler vom Dorf, die sind alle in kleinen Gruppen im Kindergarten und dann in einer großen Klasse, das ist für die gar nicht gut."

    Bislang sind in Möringen 13 Kinder in der Grundschule angemeldet. Nach den neuen Reglungen der Magdeburger Landesregierung dürfte das jedoch nicht reichen. Insgesamt stehen in Sachsen-Anhalt 75 Grundschulen zur Disposition. Die Kleinsten von ihnen haben 20 Schülerinnen und Schüler, also fünf pro Klasse. Dass die Schließungspläne vor Ort massive Proteste auslösen, überrascht den sozialdemokratischen Kultusminister Stefan Dorgerloh nicht:

    "Es ist natürlich auch für einen Kultusminister schmerzlich, Schulen zu schließen, das ist keine Sache, die man leichten Herzens macht. Und wenn man weiß, wie Ort und Dörfer mit ihrer Schule leben und für sie kämpfen, dann ist eine Schließung natürlich ein starker Einschnitt, und uns ist bewusst, wie schwierig das ist. Es bleibt aber eine Aufgabe der nächsten Jahre als Gestaltungsverantwortung und die ist eben nicht immer nur einfach."

    15 Jahre lang haben Sachsen-Anhalts Landespolitiker, unabhängig vom Parteibuch, erste Spatenstiche gesetzt, Grundsteine gelegt, Bänder durchschnitten. Jetzt hat das Land 20 Milliarden Schulden, doch das ist das kleinere Problem. Viel schwerer wiegt der Umstand, dass es vor allem an Schülerinnen und Schülern fehlt:

    "Es gibt ja auch Experten, die sprechen hier nicht mehr von einem demografischen Wandel, sondern von einer demografischen Katastrophe. Es gibt keine Region in Europa, wo die Zahl der Einwohner so massiv zurückgegangen ist wie in Ostdeutschland. Das hat mit Abwanderung zu tun, mit Folgen der Wiedervereinigung, mit Unsicherheiten in den ersten Jahren danach, was den Kinderwunsch betraf und so weiter."

    Wurden kurz nach der Wende noch mehr als 30.000 Kinder in Sachsen-Anhalt eingeschult, sank ihre Zahl inzwischen auf rund 16.000. Und weil Kinder, die nicht geboren werden, auch keine Kinder bekommen, wird sich die Zahl bis 2015 noch einmal halbieren. Dann wird es noch ganze 8.000 Erstklässler geben in einem Bundesland, das etwa so groß wie Hessen ist. Hinzu kommt, dass der Landeshaushalt in den nächsten Jahren deutlich schrumpfen wird, da Zuweisungen von der EU und dem Länderfinanzausgleich schrumpfen werden. Aus Sicht des Kultusministers gibt es keine Alternative:

    "Wenn man sich den Bildungsfinanzbericht anschaut, den die Länder verabredet haben, um auch Kosten zu vergleichen, dann liegt Sachsen-Anhalt vorne. Und das hat auch etwas mit dieser kleinteiligen Struktur im Grundschulbereich zu tun. Das liegt natürlich daran, dass zu wenig Schüler da sind. Wo Hausaufgaben zu machen sind, müssen wir sie jetzt machen."


    Rund 200 Lehrer im Grundschulbereich sollen so in den nächsten Jahren eingespart werden. Dennoch aber geht der Minister nicht davon aus, dass die Qualität des Unterrichts leidet, ganz im Gegenteil. Weniger Lehrer und größere Klassen sieht Dorgerloh als Chance und nicht als Risiko:

    "Je größer eine Schule ist, umso größer ist letztendlich auch das Potenzial, das sie hat, um Förderunterricht einzusetzen, bei Arbeitsgemeinschaften etwas anzubieten, um Schulsozialarbeit integrieren zu können. Alls das ist in einer kleinen Schule nur schwer möglich."

    Die Eltern in Altmarkdorf Möringen sehen das natürlich anders. Sie hoffen, dass ihre Schule nicht schließen muss. Weltfremd seien sie jedoch nicht, sagt Karina Seifert:

    "Ich denke mal es geht auch um die Unterhaltungskosten eines so großen Gebäudes. Aber ich bin hier selbst zur Schule gegangen, damals ging es hier noch bis zu zehnten Klasse, und wenn man dann sieht, dass es immer weniger wird und dann schließlich geschlossen wird – das ist einfach schade."