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Die schwarze Spinne

Es ist eigentlich nur eine Novelle aus dem Jahr 1842, kein Drama, aber Frank Castorf hat am Schauspiel Zürich daraus einen Theaterabend gemacht. "Die schwarze Spinne. Pilatus´ Traum." Sagenwelt, Mittelalter, Kreuzritter und Jesu Verurteilung als Politkrimi.

Von Cornelie Ueding |
    Über der Bühne hängt wie eine Drohung eine riesige Kuhglocke. Auf der Bühne steht ein echtes Schwein, drum herum ein paar herausgeputzte Landleute: die Taufgesellschaft. Veritable Karikaturen. Nichts ist, wie es sein sollte: in den Frauenkleidern stecken Männer und jonglieren mit Tellern für ein Festmahl, das nie stattfindet. Die Patin hat den Kindsnamen vergessen und rennt dauernd unter Krämpfen mit vorausschauend geschürzten Röcken aufs Häusl, dem Anziehungspunkt schlechthin weiter hinten auf der Bühne.

    Manchmal lässt Regisseur Frank Castorf es auch aus den Lautsprechern plätschern, damit den Zuschauern besser vorstellbar wird, um was es dort geht. Stolpergänge, Verrenkungen, ein komisches, sinnloses Auf und Ab, dazu wird in dieser Posse viel Schwyzerdytsch gesprochen, geschnattert, gehaspelt – bis auf die zur Information unbedingt nötigen Sätze, die jeder im Saal verstehen können sollte: Wir sind noch in der Rahmenhandlung zu Jeremias Gotthelfs Novelle "Die schwarze Spinne" – und es dauert eine Stunde, bis der Großvater die Jahrhunderte alte Geschichte von dem Teufelspakt der Dorfbewohner gegen den blutsaugerischen Kreuzritter zu erzählen anfängt:

    Wenn der böse Ritter in einem blutrot gefütterten weißen Umhang die Bühne betritt, wird er bald in die zweite Geschichte hinübergespielt, die Castorf für diesen Theaterabend mit der schwarzen Spinne über brüchige Brücken zu verbinden gesucht hat: als Pontius Pilatus aus Michail Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita". Machtmüde, von der Provinz gelangweilt. Es folgen Debatten statt dramatischer Handlung.

    Denn Castorf will das Theater als Kampfwaffe statt als kulturelle Wohlfühl- und Konsens-Anstalt. In diesen Debatten bringt er auch noch Artaud unter und dessen Vorstellung von den Heilkräften der Pest – und des Theaters. In der Gleichung: Spinne gleich Pest gleich Theater geht es dem Regisseur also um die subversive Kraft eines Theaters, das die Vorlagen zerstört – auf dass etwas Neues daraus entstehe. Das bedeutet aber leider aufgesagte Texte. Und erklärtermaßen kaum nachvollziehbare Situationen und keine Ambivalenzen.

    "Pitbullartig", schreibt Castorf im Programmheft, wolle er, der "Zertrümmerer von Novellen", die Verschiedenartigkeit von reiner Literatur aufeinander hetzen. Und dazu seien richtige Schreie wichtig, nicht etwa die berufsmäßig geformte Schauspieler-Schreierei. Also wird auf Deubel komm raus geschrien. Nur nicht von dem verführerischen Deifi, dem Grünen mit der roten Feder am Hut, der von den Dorfbewohnern ein neugeborenes Kind für seine Dienste verlangt. Geburten und die Angst vor dem Zugriff der Spinnen auf ein Baby geben also immer wieder Gelegenheit für lange anhaltendes, ausuferndes, ungeformtes und manchmal sogar rhythmisch getöntes Schreien. Auch die Texte werden überwiegend gebrüllt, schließlich sind es Statements, keine Dialoge.

    Nach dem Willen des Regisseurs politische Debatten Feiger, Verlogener, Ratloser. Und die mischt der Grüne mit seiner Forderung auf und bestraft ihre listenreiche Wortbrüchigkeit. So wächst und wuchert das Böse in Spinnengestalt. Jeder Gag wird dankbar bekichert von denen, die nicht schon in der Pause scharenweise das Weite gesucht hatten. Und bis der Gottseibeiuns die letzte Zigarette raucht und auf dem Rauch-Verbots-Schild ausdrückt, ist es Mitternacht.

    Längst ist das Interesse an wem auch immer auf diesen Brettern erloschen, auf denen die Machtpolitik und die Gesinnung und die Absage an Diktaturen und der visionslose Leerlauf der Demokratien verhandelt werden sollten. Eine ganze Schar riesiger schwarzer Spinnen ist aus dem Loch gekrochen – und die sind, wie wohl der Idealist in Castorf hofft, Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.