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Die schwarzen Wolken bleiben

Ist die Welt nun nach dem Tod Osama bin Ladens tatsächlich sicherer geworden? Eine Frage, die besonders die Dänen umtreibt: Sie befinden sich seit dem Streit um die Mohammed-Karrikaturen im europäischen Epizentrum der ideologischen Auseinandersetzung mit dem radikalen Islam.

Von Marc-Christoph Wagner | 03.05.2011
    Der Himmel über Kopenhagen gestern Nachmittag war blau, die zahlreichen Cafés der Innenstadt waren gut besucht. Viele Passanten kommentierten den Tod Osama bin Ladens mit Erleichterung und Freude.

    "Hoffentlich wird die Welt nun ein friedlicherer Ort. Sicher, dafür gibt es keine Garantie, es könnte zu Racheaktionen kommen, aber das müssen wir abwarten. Mich wundert nur, dass die USA so lange gebraucht haben, um ihn zu kriegen.
    Das ist eine gute Nachricht, sie haben ihn lange gejagt. Und dieser Mann hat viele Menschen auf dem Gewissen."

    Erfreut und erleichtert war auch die dänische Außenministerin Lene Espersen.

    "Das ist ein entscheidender Schlag gegen Al-Kaida. Bin Laden war nicht nur ihr geistiger Führer, er war auch derjenige, der das Terrornetzwerk vereinte. Zumal kommt sein Tod zu einem historischen Zeitpunkt, an dem die arabische Welt aufblüht, sie für Freiheit und Demokratie kämpft und sich vom Extremismus abwendet. Insofern ist es gut für den Kampf gegen den Terror, dass Al-Kaidas geistiger Anführer nun beseitigt ist."

    Etwas weniger überschwänglich kommentierte Espersens Kabinettskollege Lars Barfoed die Kommandoaktion im fernen Pakistan. Als Justizminister ist Barfoed verantwortlich für die innere Sicherheit Dänemarks. Erst um den Jahreswechsel wurde einmal mehr ein Anschlag auf die dänische Tageszeitung "Jyllands-Posten", die 2005 zwölf Karikaturen des Propheten Mohammed veröffentlichte, in letzter Minute verhindert:

    "Natürlich ist es erfreulich, dass die Operation geglückt ist, aber an der Terrorbedrohung Dänemarks ändert das alles nichts. Die Terroristen, die in den vergangenen Monaten versucht haben, unsere Gesellschaft zu treffen, haben unabhängig von Al-Kaida operiert. Und auch in Zukunft können sie erneut jederzeit tätig werden."

    Und so erhöhte bereits gestern die Kopenhagener Polizei die Überwachung öffentlicher Plätze – aus Angst, islamistische Gruppierungen könnten die Tötung Osama bin Ladens spontan vergelten wollen:

    "Wir sind eines der meistbedrohten Länder weltweit. Und daran wird sich gerade jetzt kaum etwas ändern. Auch in Zukunft können wir einen großen, von langer Hand geplanten Terroranschlag keineswegs ausschließen. Und gerade jetzt könnte der Tod bin Ladens junge Hitzköpfe zu Spontanaktionen verleiten."

    Diese Analyse des Sicherheitsexperten Niels Brinck teilt auch der ehemalige Leiter des dänischen Inlandgeheimdienstes PET, Hans Jørgen Bønnichsen.

    "Meine ehemaligen Mitarbeiter müssen ihr Augenmerk in naher Zukunft sehr intensiv auf alle islamistischen Gruppierungen im Lande richten, die mit dem Terrorismus flirten. Man muss – wie andernorts in Europa – herausfinden, wie reagieren diese Milieus, denn es kann nun entweder zu einer Radikalisierung kommen oder aber zu Resignation. Das herauszufinden ist von entscheidender Bedeutung."

    Am Ende meldete sich dann auch der dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen zu Wort, der doch eher den blauen Himmel, als die grauen Wolken am Horizont sehen wollte. Er könne die USA nur beglückwünschen. Und überhaupt, verkündete Rasmussen vor seinem sonnenbestrahlten Amtssitz vor den Toren Kopenhagens, sei der gestrige Montag ein guter Tag für die Welt:

    "Natürlich besteht das Risiko von Vergeltungsschlägen. Aber das sollte uns nicht den Schlaf rauben. Wir müssen unser Leben so leben, wie wir es leben wollen. Ansonsten hätten wir den Kampf gegen den Terror tatsächlich verloren."