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Die Schweiz bunkert sich ein

Als einziges Land der Welt könnte die Schweiz ihre gesamte Bevölkerung in Bunkern unterbringen. Der Bunkerbau hat bei den Eidgenossen eine lange Geschichte. Und nach der Atomkatastrophe von Fukushima sieht man sich in dieser Tradition bestätigt.

Von Nina Barth |
    Die Schweiz erreicht einen Deckungsgrad in Bezug auf die Gesamtbevölkerung von 114 Prozent - in Deutschland sind es nicht einmal fünf Prozent. Und: Die Schweizer bauen immer noch mehr Schutzanlagen - müssen sie bauen. Eigentlich sollte das Bunker-Bau-Gesetz 2011 abgeschafft werden, erklärt die Historikerin Silvia Berger von der Uni Zürich - aber dann geschah die Atomkatastrophe von Fukushima.

    "Der Nationalrat hatte eigentlich bereits entschieden. Dann aber, zwei, drei Tage später geschah das Erdbeben mit nachfolgendem Atomgau und das hat zum Umdenken geführt. Man hat das Gefühl gehabt, vielleicht brauchen wir diese Schutzräume doch noch. Warten wir mal zu, wir sollten das nicht zu schnell aufgeben."

    Und deshalb müssen auch heute noch bei Mehrfamilienhäusern ab 38 Zimmern Bunker mitgebaut werden. Mehr als 300.000 Bunker gibt es in der Schweiz, die öffentlichen werden oft vermietet, an Jugendtreffs, Vereine oder auch Seniorentreffs:

    "Es gibt Seniorentreffs im Bunker, wo man dann die Wände etwas bemalt und versucht, etwas Fensterdekor hinzustellen. Ich habe schon Bilder gesehen, wo dann Blumen hingemalt werden und etwas Vorhänge. Aber tatsächlich gibt es Seniorentreffs im Bunker."

    Die militärischen Schutzräume vor allem in den Alpen werden oft als Datenspeicher oder Lagerräume genutzt. Schweizer Unternehmen werben mit den sichersten Safes der Welt:

    "Lagermöglichkeiten im Gotthard-Massiv. Die bankunabhängigen Hochsicherheitstresore zählen zu den sichersten Lagerstätten der Welt."

    Die Schweizer wollen auf ihre Bunker nicht verzichten. Was aus deutscher Sicht vielleicht befremdlich wirkt, ist für Schweizer völlig normal. Der Begriff Untergrund ist in der Schweiz anders besetzt als zum Beispiel in Deutschland, sagt die Historikerin:

    "Der Untergrund symbolisiert hier Geborgenheit und Schutz. Und das hat auch eine sehr lange Geschichte eigentlich. Im 19. Jahrhundert hat man in der Schweiz keine Kolonien gehabt, wie andere Länder das hatten, also hat man den Untergrund erobert und hat Tunnelsysteme gebaut. Also die Tunnelsysteme Gotthard und so weiter, das waren so nationale Stolzterrains, wo man sich beweisen konnte. Das war so ein zivilisatorischer Fortschritt, die Schweiz konnte sich zumindest an diesem Ort beweisen. Die Ingenieurskunst konnte aufblühen an diesem Ort. Und dann mit dieser Erfahrung aus dem Zweiten Weltkrieg, dass das ja ein Schutz ist, für die Schweizer absolut evident Untergrund gleich Sicherheit, Geborgenheit, Schutz."

    Die meisten Bunker der Schweiz sind Relikte aus dem Kalten Krieg, weil die Schweiz damals darauf baute, dass man die gesamte Bevölkerung schützen müsse. Und dafür sah man nur einen Weg: den Gang in die Tiefe. Seinen Höhepunkt erreichte der Bunker-Bau-Boom in der Schweiz in den 70er-Jahren. Als die Historikerin Silvia Berger ein kleines Mädchen war, musste sie oft in den Bunker hinunter:

    "Ich hab wirklich die Erfahrung gemacht, seit ich mich erinnern kann als Kind, dass meine Mutter mich runtergeschickt hat, um Kartoffeln zu holen, Marmelade zu holen, weil all das wurde gelagert in diesem Keller. Es ist eine sehr massive Betonschwelle, die man da überschreiten muss und da gibt es eine extrem große Panzertüre mit Hebelverschlüssen, alles ganz bedrohlich, wenn man das als Kind betrachtet. Und ich hab mir das vorgestellt, unsere Familie ist da drin, was tu ich dann?"

    Und sie ist nicht die einzige, die bestimmte Erinnerungen an Zivilschutzräume hat. Fragt man einen Schweizer, ob er denn auch schon Erfahrungen mit Bunkern gemacht hat, könnte es gut sein, dass er einen überrascht ansieht. Auch diese Schweizer wissen sofort etwas dazu zu sagen:

    "Als Kind, der Zivilschutzraum war bei der Gemeinde."

    "In unserem Haus hat es auch so einen Keller."

    "Meistens der Weinkeller."

    "Man hat das in jedem Haus."

    Bunker gehören zur Schweiz wie Uhren und Schokolade. Und damit haben die Schweizer auch ein bisschen etwas von einer Murmeltier-Mentalität.