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Die Schwester

Von den jüngeren tschechischen Schriftstellern ist Jáchym Topol wohl der auffälligste. 1962 als Sohn des Dramatikers und Dissidenten Josef Topol geboren, kam er früh mit der politischen Subkultur, dem legendären Prager Underground, in Berührung. Anfang der achtziger Jahre unterzeichnete er die Charta 77 und war danach zwangsläufig längere Zeit als Heizer, Bäckerei- und Lagerarbeiter tätig. Zugleich schrieb Topol Texte für die Rockband seines Bruders, die in Prag überaus populären "Hundesoldaten" ("Psí Vojáci"). Später arbeitete Topol als politischer Journalist für die oppositionellen Zeitschriften Respekt und Revolver Revue, deren zeitweiliger Chefredakteur er war. In seinen Reportagen beschäftigte sich Topol hauptsächlich mit Randgruppen im eigenen Land: mit Sinti, Roma und Vietnamesen, dann aber auch, jenseits von Böhmen, mit der Situation der Kurden und Tibeter, mit Ceausescus Ende oder dem Erdbeben in Armenien. Spuren seiner Recherchen an den Rändern des Überlebens ziehen sich durch Topols literarisches Werk, angefangen mit zwei Lyrikbänden über den großen Roman "Die Schwester" bis zu seiner jüngsten Prosa-Veröffentlichung, dem Roman "Andel", der unter dem Titel "Engel Exit" im letzten Jahr auf Deutsch erschienen ist.

Christoph Bartmann | 03.05.1998
    Jáchym Topols literarisches Ich gibt sich rabiat und romantisch. Pathetisch und cool ist sein Stil, gewitzt von der Straße und trunken von Lektüren, die von Karl May bis Louis-Ferdinand Céline, vom Indianermärchen über Rimbaud bis zu Jack Kerouac reichen. Bei Topol liegen alle diese Einflüsse so eng beieinander wie auf den Tischen mancher Prager Buchhandlungen die Neuerscheinungen aus Philosophie, Esoterik und Religion. Wie überhaupt Prag, mal "Praga", mal "Perle" genannt, den Dreh- und Angelpunkt seiner überbordenden Imagination abgibt. In Böhmen und Mähren haben, seit Topols Roman 1994 herauskam, Buch und Autor Kult-Status erlangt. Topols düster-ekstatisches Gemälde der "postbolschewistischen" Gesellschaft, seine Experimente mit der Muttersprache, die er in atemlosen, expressiven Perioden karnevalisiert und "kanakisiert", sein selbstgedrehter Beat- und Drogen-Symbolismus verkünden den Abschied vom erotisch-moralischen Habitus der Vätergeneration. Die Söhne träumen nicht den liberaldemokratischen Traum von einer Zivilgesellschaft der guten öffentlichen Gesinnung und der gelockerten privaten Sitten. Auf Klímas, Kohouts oder Kunderas selbstgewisses Dissidententum folgt, so scheint es, eine Generation, die aus subjektiven Riten und Mythen sich eine rätselhafte Welt zusammenbaut. Eine leichte Lektüre läßt der Roman folglich nicht erwarten. Er hat unbestreitbar Längen, und mitunter geraten die Ufer des breit, aber auch wirr dahinfließenden Erzählstroms außer Sicht. Wer sich aber erst auf Topols wundersame Bilderwelten und auf die Mutwilligkeit seiner Sprache eingestellt hat, den entführt dieser Roman in die Unwegsamkeit eines böse verwunschenen Ostens. Er liegt zwischen Prag, Auschwitz und Tschernobyl, und über ihm schwebt der Geist von "Josef Vissarionowitsch Schwejk". Als Allegorie des neuen, schrägen Ostens kann man "Die Schwester" lesen, als Allegorie einer fortdauernden Ungewißheit, nachdem die Zeit, wie es eingangs heißt, explodiert ist. Topol/Potoks dominantes literarisches Verfahren, seine "Leidenschaft" ist die "Bastelei", und das bedeutet bei ihm: "die Kultivierung des Textes und seine gleichzeitige Degeneration".

    "Wie hat das alles angefangen?", fragt am Romanbeginn Potok, ein junger Tänzer und Schauspieler, Punk, Businessman und fallweise auch Mitarbeiter des Geheimdienstes StB. Wann es angefangen hat, steht für ihn fest, nämlich im Herbst 1989.

    "Wenn ich meine Spuren damals ... in der Steinzeit ... erkunden will, dann muß ich darüber sprechen, wie Bára und ich über den Platz gegangen sind, auf dem die Deutschen waren, und das tu ich, weil ich da zum ersten Mal die Bewegung gespürt habe, da bekam die Zeit Farbe und Geschmack, da begann mein Karneval. Wir liefen über den Platz voller Flüchtlinge, jetzt hatte Prag, die geschlossene Stadt, die Stadt Perle, dieser Punkt auf der Landkarte hinter dem Stacheldraht, seine eigenen Flüchtlinge. Ich werde darüber schreiben, wie es angefangen hat, und ich muß mich mit einer Hand am Tisch festhalten und den Nagel des Zeigefingers irgendwo in den Daumen graben, das tu ich, so muß ich auch mit der anderen Hand zufassen und den Schmerz spüren, damit ich Gefühl bekomme von etwas Wirklichem. Wenn ich wissen will, wie das war ... der wichtigste Teil der ganzen Begebenheit, das Ende nämlich, verliert sich irgendwo in der Leere, wohin die Zukunft verschwindet und alle Toten auch."

    Die von vielfältigen Reflexionen über "Gut" und "Böse" gesäumte Handlung beginnt am Anfang der "Jahre 1-2-3", als Flüchtlinge, die "aus dem bolschewistischen Karpfenteich DDR ausgestoßen worden waren", in der bundesdeutschen Botschaft in Prag Zuflucht finden - der erste "Augenblick, als sich im Betonblock ein Riß zu zeigen begann". Mit ein paar Bekannten, darunter seiner Freundin, die er nur "Kleine Weiße Hündin" nennt, beobachtet Potok gebannt das Geschehen. In jenen Tagen legt er mit ein paar Freunden, die wie er den Sozialismus als Dissidenten und, so sieht es Potok heute, "Klugscheißer" im sogenannten "Kanal", dem Untergrund, zugebracht haben, den Grundstein zur "ORGANISATION". Und zwar, so will es Topols präzise Phantasie, in einem "Tschibo-Café". Frauen haben, wie es scheint, zum Inneren der Männer-"Organisation" keinen Zutritt. Schon bald ist überdies die Kleine Weiße Hündin verschwunden, und es mehren sich im Verlauf des Romans die Hinweise, daß Potok seine Geliebte ermordet haben könnte. Als ideale Gefährtin hatte sie ihm zu Lebzeiten die "Schwester" verheißen. Nun lebt Potok ganz im Zeichen ihres erträumten Advents.

    Die "Organisation", eine Kreuzung aus Sekte, Jugendgang und mafiöser Vereinigung, hat fünf Mitglieder. Neben Potok sind dies der abtrünnige Priester und Chefideologe Göttler, der amerikanische Jude Rai Stein - sein Vater, heißt es, hat Auschwitz in einer Schuhschachtel überlebt - , Mitzka, der kühle Rechner und Betriebswirt sowie David, ein Tscheche aus der Siebenbürger Diaspora, der mit einem Computergedächtnis ausgerüstet ist. Man pflegt gemeinsam den Kult um einen altslawischen Gott - er wird "BOG" genannt - , einen Kult, der ebenso hybrid ist wie das Geblüt des "Stammes", der ihn verehrt. "...Ich hab wohl vergessen zu erwähnen", so Potok in seiner typischen, überfallartigen Erzähl-Manier, "daß meine Kumpels ... also die meisten waren so ne balkano-ugrofinnische Romawaldtypen , Göttler hatte ausgesprochen negroide Züge ... Mitzka fehlten von Geburt an einige Zähne, und der bräunliche David hatte wie die meisten Gebirgler so seine Schwierigkeiten, auf Asphalt zu gehen ... wir waren alle ein bißchen von den verschiedenen sauren Stürmen mitgenommen, von mancherlei Niederschlägen, in meiner Bastardmischung waren aber ein paar europäische Gene (...) aus den alten Zeiten der Lutschanerkriege, die Gene meiner Urmutter, die sich wahrscheinlich dicht beim Altvater Cech hielt, als dessen Auge auf das Ländle hier fiel."

    Im Businessanzug, unter dem sie ein silbernes Amulett tragen, gehen die Herren von der Organisation einträglichen Geschäften nach: Immobilien, Import-Export-Handel mit vietnamesischen Partnern (die bei Topol aber regelmäßig "Laoten" heißen), Erpressung von ehemaligen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Kinderprostitution, Waffenhandel und Drogenverkauf sind, da die Organisation sich moralische Standards gesetzt hat, tabu. Neben der Erwerbsarbeit sitzt man im kleinen Kreis zusammen und erzählt sich, so läßt Topol sein alter ego Potok berichten,

    "Ereignisse und Storys und mythische Gleichnisse ... wir vermischten die Erzähltechniken, und oft schüttelten wir erstaunt die Köpfe, spuckten Tabak ... klirrten mit unserem Silberschmuck ... wir tauschten unsere Erfahrungen aus ... damals trug man die verschiedensten Silbersachen ... Amulette, Talismane, jede Clique hatte ihren Stern oder ihren Kreuz oder ihre Menora oder ihr Labyrinth ... Totemtiere ... gut sind Hunde, Schlangen und Drachen ... mein Drache war grün, ich trug ihn aber in der Haut, ich hatte ihn mir tätowieren lassen ... einen grünen, ich wußte, wenn ich ihn auf der Brust habe, hilft er mir am besten, die Schwester zu finden."

    Gelegentlich übt man auch, ganz im Stil einer kommunistischen Kaderorganisation, gruppeninterne Selbstkritik. Nach getaner Arbeit sucht man dann die Erholung auf dem Lande. Auch hier, im "Inneren Bohemias", sind unübersehbar die neuen Zeiten angebrochen. Topol erweist sich nicht nur als begnadeter Apokalyptiker. Er hat sich in seinen Journalistenjahren auch einen Reporterblick für die Tatsachen erworben. So registriert er den neuen Gewerbefleiß in Böhmens Dörfern mit satirischer Schärfe:

    "Überall waren die Einheimischen damit beschäftigt, sich ein Business zu konstruieren, und im Dorfkrug brummte es vor schnellen Gesprächen über Kredite und Mehr- oder Wenigerwertlossteuern, es flogen Lizenzen und Verträge herum ... und wir lächelten still, denn durch unsere Hände lief das altbekannte magische Kribbeln, und ich hab manchmal gespielt, nur so zum Spaß, und mich zu den Onkels gesetzt, die die Grundstücke verschachert haben, und da machte ich große Augen, weil das Spiel das gleiche war ... die Dorfbosse hatten leichtes Spiel mit einsamen Kriegern ... man zauberte mit Stempeln ... ich kenn jemand, der kennt jemand, der würde gut ins Geschäft von deinem Cousin seinem Neffen passen ... wir sind doch alle vom selben Schlag (...) und die Frau Lehrerin lächelte ... ihre Lodenjacke blähte sich im frischen Wind, und die jungfräulichen Brüste wogten unter der bestickten Bluse ... und der Herr Apotheker lächelte sie ebenfalls scheu an, beim Giftmischen ... und das Wort Genosse war nur hier und da auf irgendwelchen Grabsteinen und Massendenkmälern zu lesen ... überall hier war die geliebte Freiheit".

    Nachdem Neonazis (Topol nennt sie "Hitleri" und ihr linkes Pendant die "Stalinge") das Hauptquartier der Organisation gestürmt haben, bricht die Gruppe auseinander. Potok, zum Einzelgänger geworden, widmet sich nun ganz der Suche nach der "Schwester". Er vermutet sie in einer Bar namens "Cerna" ("Die Schwarze"), doch trifft er dort zunächst nur einen Geheimdienstmann. Der bietet ihm an, die "Zone", einen Bezirk des Bösen, der sich im Keller des Hauses der Organisation befindet, zu reinigen, sofern sich Potok zur Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst bereiterkläre. Potok stimmt zu. Wenig später begegnet er zum ersten Mal der "Schwarzen", die in der gleichnamigen Bar als Sängerin arbeitet. Eingestreut in die Handlung sind Erinnerungen an die Zeit, die Potok glücklich in "Berlun", dort vor allem in "Krojcberk" verbracht hat: als "Kanak" unter "Kanaken": "Wir sind alle Kanaken. Die Megarasse aus dem Tunnel." Man habe dort in Berlun an "gigantischen Flohmärkten" teilgenommen,"wo die Leute aus unsern Ländern lernten, Markt zu wirtschaften". Und beim Rumstehen auf den Märkten und beim Aufschnappen der Redensarten sei ihm der Gedanke gekommen, "daß durch die Vermischung so was wie ne neue Sprache entsteht ... die kanakische". Und wenn er, meint Potok, ein Buch schriebe - was er sich ohne weiteres zutraut - dann nur auf kanakisch:

    "Auf dem Korpus einer sich verändernden Welt, auf den Ruinen der gewesenen Zeit würde ich ein berühmtes Kapitel des kanakischen Schrifttums begründen. Des neuen, postbabylonischen Kanakisch. Und : wennschon-dennschon. Ich werde das Buch in dem brutalen Postbabylonisch schreiben, wie ich es aufgeschnappt habe während meines Bummels durch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sicher ... alle Bücher sind schon geschrieben worden ... aber der Mensch muß sich bemühen, wie einer meiner Mitkämpfer zu sagen pflegte ... der Regenwurmmann ... alle Bücher sind geschrieben, alles ist schon durchgeleiert, ich könnte auch nur wieder dasselbe ... immer das gleiche, aber das ist doch egal, es hört sowieso keiner zu ... und auf den Kisten, besser gesagt, den Haufen von Kisten mit dem Buch würde stehen Fragile! Very fragile! Only for Kanaks!"

    Nach langen Streifzügen findet Potok unterdessen die "Schwarze" wieder, in der er die versprochene "Schwester" zu erkennen glaubt. Er nimmt sie zu sich, pflegt sie, geht tagsüber für den Geheimdienst arbeiten, mal für den tschechischen, mal für den vietnamesischen. Plötzlich ist die "Schwarze" verschwunden und taucht erst wieder in einem Wagen des tschechischen Geheimdienstes auf. Etliche Wendungen später findet man Potok und die "Schwarze" auf der Flucht im östlichen Grenzland, einer surrealen Mischung aus Galizien, Transsylvanien und Karpatho-Ukraine. Potok bekennt der "Schwarzen" seinen Mord an der "Kleinen Weißen Hündin". Wenig später landen die beiden in einem riesigen Schwarzhändler-Camp. Potok wird zum Trinker, die "Schwarze" prostituiert sich. Im letzten Teil des Romans, "Silber", kehrt Potok allein zurück nach Prag. Er sucht erneut Kontakt mit den "Laoten", die in Topols postnationalem Bohemia-Prag längst als Einheimische zu betrachten sind:

    "Alle Laoten hatten inzwischen gekaufte Klamotten an. Manchmal war auch Tätowierung zu sehen, nur bei den Männern. Sie steckten in den unterschiedlichsten Anzügen, da und dort war es ihnen gelungen, aus diesen fremdartigen, unsinnigen Stoffen neue Kombinationen zu kreieren. Teilweise war's zum Brüllen. Daher mein Lachen, das purer Freude entsprang, es war ein fröhliches Lachen. Dafür hatten sie schon immer ein sicheres Gespür gehabt. Wir benutzten immer noch dies Frankotschecholaoto-Russoindochinesisch, vor allem aber die Sprache der Gesten, des Schulterklopfens und der Trinksprüche."

    Später begibt sich Potok an den ehemaligen Sitz der Organisation. Der hat sich unterdessen in ein Hotel verwandelt. Noch später lungert er mit Obdachlosen auf dem Hauptbahnhof herum und zieht von dort weiter auf eine am Stadtrand gelegene gigantische Mülldeponie. Dort geschehen grausame Morde. Sie werden von Kucera, einem kleinen Jungen, verübt, der in der "Zone" zur Personifikation des Bösen geworden ist. Potok tötet ihn mit einer Gewehrkugel, die er aus seinem silbernen Amulett mit dem Bildnis der Madonna von Tschenstochau gegossen hat. Er kehrt in die Stadt und an den Ort seines Mordes an der "Hündin" zurück, verliert dort das Bewußtsein und kommt erst im Kloster der obskuren "Schweigenden Schwestern des Gotteskindes" wieder zu Bewußtsein. Er macht sich bald aus dem Fenster davon, um die "Schwarze" zu suchen. Zwischendurch arbeitet er als Schauspieler in Werbefilmen. Dann trifft er die Vietnamesin "Lao" wieder, die er aus den Tagen der Organisation kennt. Mit ihr lebt Potok fortan zusammen und träumt, die "Schwester" kehre zu ihm zurück. Ob sie zurückkehrt oder nicht, bleibt fraglich, denn Topols Potok ist der denkbar unzuverlässigste Erzähler und überdies ein unzuverlässiges Subjekt.

    Topols Roman fällt über das literarische Hoch-Tschechisch mit der Wut des Kannibalen her. Die Übersetzerinnen Eva Profousová und Beate Smandek beweisen bei der Verwandlung des von Topol kreierten "Broken Czech", des "Kanakischen", des Prager Jugendslangs in deutsche Äquivalente großes Geschick. Die Provokation, die Topols Sprache selbst für den an Bohumil Hrabal gewöhnten Literaturstandard bedeutet, können sie nicht mit übersetzen. Auf Deutsch wirken die Verballhornungen der Schriftsprache oder die gelegentlich russifizierten Wort-Endungen naturgemäß weniger verstörend als im Original; und auch die krude Mündlichkeit von Topols Stil läßt sich in ihrer Prager Lokalfärbung kaum übertragen. Hier und da greift die Übersetzung deshalb zu einer Art "Starckdeutsch", was sich dann so anhört:

    "auf Fuorrwerken zogen's her, einem Färrsprechen nach, ont wasz warr hier, nichts ... nur die tüfen Wälder vom Banat, ont die Ahnen fingen's Graben an, esz ward gegraben, gerodet ont verbrannt, und szieh an: Halobas Feldrain entstand ... ont nebendran dasz prächtige, fuonn Anbeginn gleich allerprächtigste Feld der Losszins".

    Gewiß nicht schlecht, aber so wird Topols Sprache auf Deutsch komischer, als sie auf Tschechisch gemeint ist. Denn Topol hat sich, bei allem Hang zur Groteske, einem esoterischen Ernst verschrieben, demselben Ernst, den Potok an der Sprache junger Leute in Prag wahrnimmt. Auf einmal, berichtet er, redeten sie alle vom "Los", der "Buße", der "Sühne", und, so sein Befund,

    "ins internationale Narkomanenwörterbuch streute da und dort jemand fast schon protektoratische Argotismen ein, und aus dem Ganzen ragte die marxistische Pittoreske raus wie ein schlecht rasierter Hals aus einem abgewetzten Hemdkragen ... voll der eins a Metajoint, da fällt die die Wandzeitung runter ... solche Redensarten bzw. Bilder fing ich auf ... und auch das Englische, das Latein aller heutigen Kommunitäten .. es war Broken English... und Broken Czech ... eine kaputte Sprache, und au ihrer Unzulänglichkeit wuchs vielleicht ein neues Gefühl, oder umgekehrt, ich weiß nicht ... auf jeden Fall ging es um Beschleunigung."

    Um Beschleunigung und ihre Folgen geht es durchweg in Topols Roman, und noch sind Haltepunkte im Strudel seiner Sprache und Motive generierenden und zugleich degenerierenden Einbildungskraft nicht zu erkennen. "Die Schwester", dieser in jeder Hinsicht formatsprengende Roman, bleibt nicht an den Milieu-Grenzen des ehemaligen Underground stehen. Aus ihm spricht auch nicht mehr die Ästhetik des Widerstands, denn die Zeit des politischen Protests, somit des "Klugscheißens", scheint für Topols Generation vorerst vorbei. Wohin Topols literarische Reise geht, welches Land der Prager Stadtindianer statt dessen unter seine Füße bekommt, werden seine kommenden Romane zeigen.