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Die Seele von Antwerpen

Mit der Eröffnung des "Museum aan de Strom" im Mai 2012 erwachte das Hafenviertel Antwerpens aus einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf. Auf neun Stockwerken wird die Geschichte der Handelsmetropole erzählt, die in ihren goldenen Zeiten mit der ganzen Welt verbunden war.

Von Dieter Wulf | 06.01.2013
    "Antwerpen die Geschichte von Antwerpen bleibt immer verbunden mit der Geschichte von der Schelde. Gott hat uns die Schelde gegeben und die Schelde wird alles übrige geben. Und deshalb wird die Stadt und der Strom miteinander verbunden bleiben."

    Erklärt mir Vera Verschooren mitten in der Altstadt. Wir stehen vor einem großen Monument, auf der Spitze ein Jüngling mit einer abgeschlagenen Hand. Der Fluss Schelde, meint die Stadtführerin, sei schon immer die Lebensader der Stadt gewesen, dem Antwerpen der Legende nach auch ihren Namen verdanke.

    "Im Schloss am Wasser an der Schelde, da wohnte ein Riese und jeder Schiffer der vorbeifuhr, sollte Eintrittsgeld bezahlen und wenn er das verweigerte wurde die Hand abgehauen. Und dann ist uns dieser junge Mann uns zu Hilfe gekommen. Er hat den Riesen überwonnen, er liegt an seinen Füßen dort. Er hat die Hand abgeschnitten und weggeworfen und aus Hand werpen ist später Antwerpen entstanden."

    Im Mittelalter war der Hafen von Brügge sehr viel wichtiger. Aber als der dann versandete, verlagerte sich der Handel nach Antwerpen.

    "Die goldene Zeit ökonomisch gesehen war das 16. Jahrhundert Es wohnten in der Altstadt mehr als 100.000 Einwohner mehr als zum Beispiel in London. Außer Paris waren wir die meist wichtige Stadt, aber ökonomisch ist es dann hier ein Untergang gewesen im 17. Jahrhundert bei der Trennung der Niederländer."

    Damals gehörte Antwerpen zum katholischen Spanien. Als das protestantische Holland unabhängig wurde, sperrten die Niederländer einfach die Schelde und damit den Zugang zur Nordsee. Für jedes Schiff mussten Zölle gezahlt werden. Das Ende von Antwerpen als Handelsmetropole.

    Welche Reichtümer hier erwirtschaftet wurden, davon erzählt ein auf den ersten Blick unscheinbares Gebäude im Stadtzentrum.

    "Es gibt ja schöne und interessante Gebäude die sind ein bisschen versteckt und wenn man hier vorbeigeht, dann sieht man eine Fassade mit einer Jahreszahl 1872 das ist eigentlich die Handelsbörse gewesen."

    Das Gebäude am Ende einer dunklen Gasse ist abgesperrt und verrammelt. Trotzdem erkennt man an der im orientalischen Stil gehaltenen Fassade die einstige Größe. Bereits im 15. Jahrhundert hatte es hier eine erste Börse gegeben. Die zweitälteste Börse der Welt. Und wie manches andere in Antwerpen, kam auch diese Idee ursprünglich aus Brügge, erklärt mir Vera Verschooren.

    "Stellen sie sich vor in Brügge gab es eine Familie de Borse die eine Wohnung zur Verfügung gestellt hatte für die Kaufleute die haben sich dort getroffen, die haben dort Güter verkauft und von de Borse hat man später das Wort Börs bekommen Börse. Wenn die Händler von Brügge nach Antwerpen gekommen sind gab es in der Altstadt nicht weit vom Marktplatz entfernt ein Gebäude der alten Börse. Die Börse ist zu klein geworden und dann hat man hier die neue Handelsbörse gebaut."

    Das ursprüngliche Gebäude der Antwerpener Börse inspirierte die Händler in London sich auch dort einen ähnlichen Handelsplatz bauen zu lassen. Nur ein paar Meter weiter erinnert ein eher schlichtes Bürohochhaus an die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt Anfang des 20. Jahrhunderts. Mit knapp 90 Metern würde man den Bau heute sicher nicht mehr Wolkenkratzer nennen. Ende der 20er-Jahre aber, als er gebaut wurde, war er kurzzeitig das höchste Gebäude Europas.

    Um die Stadt von oben betrachten zu können, gehe ich aber stattdessen zum "Museum aan de Stroom", dem spektakulär neuen Museum direkt am Hafen. Auf dem obersten Stockwerk treffe ich Carl Depauw, den Direktor des Hauses.

    "Wenn man hier steht und runterblickt, sieht man das erste Becken, dass 1805 auf Anweisung von Napoleon ausgeschachtet wurde. Links ein weiteres Becken, das auf Napoleon zurückgeht. Das sind sozusagen die Anfänge des Welthafens von Antwerpen. Von hier aus dehnte sich der Hafen immer weiter über die Stadtgrenze aus."

    Petit und Grand Bassain, das kleine und das große Becken, hatte Napoleon die beiden Hafenbecken genannt, auf die wir jetzt blicken. Hier sollten seine Kriegsschiffe ankern, mit denen er plante England anzugreifen.

    Um die Seele von Antwerpen richtig verstehen zu können, erklärt mir Carl Depauw, müsse man auch den riesigen Hafen gesehen haben. Dafür habe ich mich mit Rick Phillips auf der Flandria verabredet, einem Schiff, das zweimal täglich zu einer Hafenrundfahrt ablegt.

    Rick steht neben dem Kapitän auf der Schiffsbrücke und erklärt den Touristen abwechselnd auf englisch und holländisch die Sehenswürdigkeiten die nun rechts und links an uns vorbei gleiten.

    "Vor uns liegt die Oosterweel Brücke und etwas weiter dahinter die Wilmarsdonk Brücke. Etwas merkwürdige Namen das sind die Namen der Dörfer, die mal hier standen, aber in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts im Zuge der Ausdehnung und Modernisierung des Hafens verschwanden."

    Im holländischen Rotterdam werden zwar sehr viel mehr Waren umgeschlagen als hier. Das Hafengelände in Antwerpen ist trotzdem der bei Weitem größte Hafen Europas, erklärt Rick. Über dreizehntausend Hektar, so groß wie zweiundzwanzigtausend Fußballfelder, oder siebenmal so groß wie die Stadt selbst. Pro Tag legen 40 Überseetanker und mehr als 150 Binnenschiffe hier an. Zweihundertfünfzig Güterzüge verlassen jeden Tag den Hafen. Ein immerwährendes Gewusel. Besonders Südfrüchte, gehen von hier nach ganz Nordeuropa.

    "Jedes Jahr kommen etwa 500 Bananendampfer in den Hafen von Antwerpen. Jeder füllt etwa 350 Lastwagen. Viele Bananen gehen auch per Zug bis Mitteleuropa. Zwei bis dreimal die Woche gibt es einen Bananenzug, denen Bananenexpress, der hält in Stuttgart und München. Die Deutschen essen in Europa die meisten Bananen. Bananen aus Antwerpen."

    Weiter geht es Richtung Norden, auf dem Kanaldock, dem größten Binnendock der Welt, über neun Kilometer lang. Vorbei an den größten Schleusen Europas, die den Hafen mit dem Fluss Schelde verbinden. Noch vor ein paar Jahren waren sie auch weltweit noch die Nummer eins, aber da könne man sich jetzt nicht mehr so sicher sein, meint Rick

    "Die Dinge ändern sich schnell und wir wissen, dass in China viel gebaut wird. Vor fünf Jahren war Antwerpen noch der viertgrößte Hafen der Welt. Heute ist er noch unter den zwanzig größten, denn die größten Häfen der Welt liegen heute alle in China."

    Als wir umdrehen und wieder Richtung Antwerpen fahren, geht es vorbei an großen schwarzen Halden. Koks aus China und Russland für die Stahlindustrie im Ruhrgebiet. Gegenüber weiße Berge aus Salz. Wenn man wissen wolle, wie es der Wirtschaft geht, brauche man nur diese schwarzen und weißen Berge beobachten, erklärt mir Rick. Wenn sie niedrig sind brummt die Wirtschaft. Momentan sind sie so hoch, wie schon lange nicht mehr.

    Auf dem Außendeck stimmt eine Gruppe Belgier ein Lied über den Hafen und die Schelde an.

    Und während die Stadt am Horizont wieder auftaucht, mit dem neuen Museum aan de Stroom und den Hafenbecken Napoleons, muss ich an Vera Verschooren denken. Überall in Belgien, hatte sie mir lachend erzählt, nenne man die Antwerpener etwas abfällig "Sinores".

    "Wenn man unsere Kollegen in anderen Städten fragt, die werden direkt eine gute Antwort geben. Die werden ja sagen ach das sind die Menschen mit großem Mund, die wissen alles besser, kennen alles besser. Aber leider können wir auch nicht dafür, dass wir die schönste Kathedrale der Welt haben, das schönste Bahnhof, die besten Kneipen, die gemütlichen Gassen. So ist Antwerpen und so soll man die Stadt entdecken."

    Weitere Informationen:
    Homepage des Museum aan de Strom
    Hafenrundfahrt in Antwerpen
    Hafenrundfahrt in Antwerpen (Dieter Wulf)