Wie heilt die Psychotherapie? Die alte Frage steht heute in einem neuen Umfeld. Zwar heilt sie immer noch die klassischen psychischen Erkrankungen, die oft auf frühkindliche Erfahrungen zurückgehen. Sie sieht sich aber auch neuen Herausforderungen gegenüber, von denen einige sehr handfeste Ursachen haben. Immer öfter, so der an der Universität Köln lehrende Psychotherapeut Gottfried Fischer, muss sich das Fach etwa mit den Opfern kriegerischer Gewalt auseinandersetzen.
"Militärtrauma – dazu haben wir einige Projekte gemacht in der Bundeswehr ... , haben wir jetzt ein Programm zusammenstellen können, das den Soldaten auch wirklich hilft und das kurzfristig erreichbar ist. Bei schweren Traumatisierungen sind natürlich stationäre Aufenthalte dann auch notwendig. Im Fall von Militärtrauma in Bundeswehrkrankenhäusern, was heute doch weitgehend etabliert ist und auch das Bild von Soldaten, die aus Kriegsgebieten zurückkehren, doch weitgehend verändert hat mittlerweile. "
Anders als die herkömmlichen psychischen Erkrankungen, die sich oft über lange Zeiträume bilden und oft unbemerkt heranwachsen, sind die neuen Krankheitsbilder oft Ergebnis einer plötzlichen, unerwarteten, überraschenden Entwicklung – wie sie für Kriegsereignisse, aber auch für Katastrophen wie etwa das Zugunglück von Eschede typisch sind. Ereignisse dieser Art können auch Menschen mit stabiler psychischer Konstitution treffen – aber mit einer Wucht, die auch bei ihnen schwere psychische Schäden hervorrufen kann. Oft können die Betroffenen diese aus eigener Kraft nicht bewältigen und sind auf ärztliche Hilfe angewiesen. Darum, so die an der Universität Kassel lehrende Psychotherapeutin Heidi Möller, sind diese Krankheiten auch nicht auf die klassischen Patienten beschränkt, haben ihre Ursache auch nicht mehr überwiegend in den frühen Lebensjahren.
"Das Besondere an der traumabedingten Genese von psychischen Störungen ist, dass anders als bei bestimmten neurotischen Erkrankungen oder aber auch von bestimmten Formen von Psychosen und Persönlichkeitsstörungen, wo man ja vielfach davon ausgeht, dass das was zu tun hat auch mit der frühen Kindheit und den Bindungsmuster und den Konflikten oder Mangelerfahrungen, die in früher Kindheit passiert sind, zu tun hat, ist das natürlich so, dass wir beim Trauma, im Trauma im Grunde ein Ursachenfaktor für psychische Erkrankungen im Erwachsenenalter finden, der jetzt erst mal nicht so unmittelbar zu tun hat mit den Entwicklungsbedingungen von Kindern. Das soll heißen: Eine Schädigung durch ein Trauma ist letztlich für jeden von uns möglich."
Wie es Opfern gewaltgeprägter Traumata ergeht, wissen Laien meistens aus dem Kino. Der Comicfilm "Waltz with Bashir", der eben in den Kinos anlief, berichtet von den psychologischen Spätschäden, mit denen israelische Soldaten zu kämpfen haben, die in den 80er Jahren in den Libanonkrieg geschickt wurden. Dergleichen Risiken sehen sich jetzt auch deutsche Soldaten gegenüber. Auch sie sind nicht nur physisch, sondern auch psychisch bedroht. Schon die dauernde Erwartung, Opfer eines Angriffs zu werden, belastete die Soldaten. Werden sie aber tatsächlich in Kampfhandlungen verwickelt oder gar Opfer eines Angriffes, kann das unkalkulierbare psychische Folgen haben. Das Krankheitsbild, das Professor Fischer zeichnet, ist ernst.
" Also wiederkehrende Erinnerungen – so eine Art Gedankenterror – mit Bildern vor allem vom Traumageschehen – man wird sie nicht los. Durch Vermeidungsverhalten versucht man, den Platz zu bewahren, den Ort und auch sonst alles, was an den Verkehrsunfall erinnert oder an das Gewaltverbrechen, wo man Opfer wurde; und eine schreckhafte Übererregbarkeit, das sind die wichtigsten Spuren des Traumas – wenn das kurze Zeit zurückliegt. Wenn das lange Zeit zurückliegt, können alle möglichen psychischen, psychosomatischen Zwischenerkrankungen auch Folgen dieses Erlebnisses sein. "
Auf diese enormen Herausforderungen hat die deutsche Psychotherapie bislang nicht reagiert. Das mag daran liegen, dass Deutschland bislang von Kriegseinsätzen verschont war. Aber die Psychotherapeutin Heidi Möller, die in Kassel den ersten Lehrstuhl für Psychotraumatologie innehat, hat noch eine weitere Vermutung. Ihr zufolge liegen die Gründe für diese wissenschaftliche Verspätung auch in der deutschen Vergangenheit. Hier galt es ein Menschenbild zu überwinden, in dem Introspektion und sensible Seelenschau nicht sonderlich viel galten. So ist es auch nicht erstaunlich, dass ...
" ... eine ganze Menge an Traumatisierungen auch lange Zeit in der Psychotherapie übersehen worden ist. Also die Verursachung durch ein Trauma zum Beispiel auch im Erwachsenenalter. Und viele der nicht gut verlaufenden Psychotherapieprozesse sind auch in dem Zusammenhang zu sehen, dass man das übersehen hat, dass da ein Trauma im Hintergrund ist. Und das hat natürlich ein bisschen was mit der deutschen Geschichte zu tun, dass die Psychotraumatologie in Deutschland im Grunde erst seit zehn Jahren boomt und in Amerika schon sehr viel länger, das hängt sicherlich damit zusammen, dass wir uns vielleicht mit unseren traumatisierenden Passiv- und Aktiverfahrungen nicht so gerne haben auseinandersetzen wollen. "
Dieses Manko vor Augen, plädierte Gottfried Fischer für ein neues Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften. Denn so sehr man die Menschen derzeit auch wieder auf Grundlage physischer, also biologischer und neuronaler Kriterien, zu verstehen sucht, so sehr gilt doch, dass die Psychotherapie zu großen Teilen immer noch jene "talking cure" ist, als die Siegmund Freud sie einst beschrieb. Das, so Gottfried Fischer, bestätigt auch die Bindungen der Psychotherapie zu den Geisteswissenschaften.
" Was wir heute brauchen, ist eine Ergänzung der Naturwissenschaft des Geistes durch eine Geisteswissenschaft der Natur. ... Das ist auch ein Thema auf diesem Kongress. Die Psychotherapie – auch die Psychoanalyse – ist zum Teil sehr stark in Richtung Naturwissenschaft gegangen und gefördert worden. Das ist auch ganz gut so, soweit es zutrifft und keine Ideologie ist – was es aber oft leider ist. ... Und wir wollen natürlich auch geeignete Berufsgruppen finden, die Psychotherapie und Psychotraumatologie ausüben können. Und da denken wir eben auch an geisteswissenschaftliche Disziplinen wie Pädagogen, Soziologen, Philosophen auch vor allem. In der neuen Bachelor-Master-Ordnung gibt es da ja mehr Flexibilität als es vorher gab. Selbstverständlich auch Psychologen und Mediziner sollen in diesem Gebiet tätig sein und bleiben. Aber wir wollen es auch ergänzen in Richtung Geistes- und Sozialwissenschaften. "
Der Mensch ändert sich nicht, jedenfalls nicht ganz und gar. Ein klein wenig aber doch. Das stellt tauch immer neuer Anforderungen an die Psychotherapie. Denn jede Zeit bringt ihre ganz eigenen Leiden hervor.
"Militärtrauma – dazu haben wir einige Projekte gemacht in der Bundeswehr ... , haben wir jetzt ein Programm zusammenstellen können, das den Soldaten auch wirklich hilft und das kurzfristig erreichbar ist. Bei schweren Traumatisierungen sind natürlich stationäre Aufenthalte dann auch notwendig. Im Fall von Militärtrauma in Bundeswehrkrankenhäusern, was heute doch weitgehend etabliert ist und auch das Bild von Soldaten, die aus Kriegsgebieten zurückkehren, doch weitgehend verändert hat mittlerweile. "
Anders als die herkömmlichen psychischen Erkrankungen, die sich oft über lange Zeiträume bilden und oft unbemerkt heranwachsen, sind die neuen Krankheitsbilder oft Ergebnis einer plötzlichen, unerwarteten, überraschenden Entwicklung – wie sie für Kriegsereignisse, aber auch für Katastrophen wie etwa das Zugunglück von Eschede typisch sind. Ereignisse dieser Art können auch Menschen mit stabiler psychischer Konstitution treffen – aber mit einer Wucht, die auch bei ihnen schwere psychische Schäden hervorrufen kann. Oft können die Betroffenen diese aus eigener Kraft nicht bewältigen und sind auf ärztliche Hilfe angewiesen. Darum, so die an der Universität Kassel lehrende Psychotherapeutin Heidi Möller, sind diese Krankheiten auch nicht auf die klassischen Patienten beschränkt, haben ihre Ursache auch nicht mehr überwiegend in den frühen Lebensjahren.
"Das Besondere an der traumabedingten Genese von psychischen Störungen ist, dass anders als bei bestimmten neurotischen Erkrankungen oder aber auch von bestimmten Formen von Psychosen und Persönlichkeitsstörungen, wo man ja vielfach davon ausgeht, dass das was zu tun hat auch mit der frühen Kindheit und den Bindungsmuster und den Konflikten oder Mangelerfahrungen, die in früher Kindheit passiert sind, zu tun hat, ist das natürlich so, dass wir beim Trauma, im Trauma im Grunde ein Ursachenfaktor für psychische Erkrankungen im Erwachsenenalter finden, der jetzt erst mal nicht so unmittelbar zu tun hat mit den Entwicklungsbedingungen von Kindern. Das soll heißen: Eine Schädigung durch ein Trauma ist letztlich für jeden von uns möglich."
Wie es Opfern gewaltgeprägter Traumata ergeht, wissen Laien meistens aus dem Kino. Der Comicfilm "Waltz with Bashir", der eben in den Kinos anlief, berichtet von den psychologischen Spätschäden, mit denen israelische Soldaten zu kämpfen haben, die in den 80er Jahren in den Libanonkrieg geschickt wurden. Dergleichen Risiken sehen sich jetzt auch deutsche Soldaten gegenüber. Auch sie sind nicht nur physisch, sondern auch psychisch bedroht. Schon die dauernde Erwartung, Opfer eines Angriffs zu werden, belastete die Soldaten. Werden sie aber tatsächlich in Kampfhandlungen verwickelt oder gar Opfer eines Angriffes, kann das unkalkulierbare psychische Folgen haben. Das Krankheitsbild, das Professor Fischer zeichnet, ist ernst.
" Also wiederkehrende Erinnerungen – so eine Art Gedankenterror – mit Bildern vor allem vom Traumageschehen – man wird sie nicht los. Durch Vermeidungsverhalten versucht man, den Platz zu bewahren, den Ort und auch sonst alles, was an den Verkehrsunfall erinnert oder an das Gewaltverbrechen, wo man Opfer wurde; und eine schreckhafte Übererregbarkeit, das sind die wichtigsten Spuren des Traumas – wenn das kurze Zeit zurückliegt. Wenn das lange Zeit zurückliegt, können alle möglichen psychischen, psychosomatischen Zwischenerkrankungen auch Folgen dieses Erlebnisses sein. "
Auf diese enormen Herausforderungen hat die deutsche Psychotherapie bislang nicht reagiert. Das mag daran liegen, dass Deutschland bislang von Kriegseinsätzen verschont war. Aber die Psychotherapeutin Heidi Möller, die in Kassel den ersten Lehrstuhl für Psychotraumatologie innehat, hat noch eine weitere Vermutung. Ihr zufolge liegen die Gründe für diese wissenschaftliche Verspätung auch in der deutschen Vergangenheit. Hier galt es ein Menschenbild zu überwinden, in dem Introspektion und sensible Seelenschau nicht sonderlich viel galten. So ist es auch nicht erstaunlich, dass ...
" ... eine ganze Menge an Traumatisierungen auch lange Zeit in der Psychotherapie übersehen worden ist. Also die Verursachung durch ein Trauma zum Beispiel auch im Erwachsenenalter. Und viele der nicht gut verlaufenden Psychotherapieprozesse sind auch in dem Zusammenhang zu sehen, dass man das übersehen hat, dass da ein Trauma im Hintergrund ist. Und das hat natürlich ein bisschen was mit der deutschen Geschichte zu tun, dass die Psychotraumatologie in Deutschland im Grunde erst seit zehn Jahren boomt und in Amerika schon sehr viel länger, das hängt sicherlich damit zusammen, dass wir uns vielleicht mit unseren traumatisierenden Passiv- und Aktiverfahrungen nicht so gerne haben auseinandersetzen wollen. "
Dieses Manko vor Augen, plädierte Gottfried Fischer für ein neues Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften. Denn so sehr man die Menschen derzeit auch wieder auf Grundlage physischer, also biologischer und neuronaler Kriterien, zu verstehen sucht, so sehr gilt doch, dass die Psychotherapie zu großen Teilen immer noch jene "talking cure" ist, als die Siegmund Freud sie einst beschrieb. Das, so Gottfried Fischer, bestätigt auch die Bindungen der Psychotherapie zu den Geisteswissenschaften.
" Was wir heute brauchen, ist eine Ergänzung der Naturwissenschaft des Geistes durch eine Geisteswissenschaft der Natur. ... Das ist auch ein Thema auf diesem Kongress. Die Psychotherapie – auch die Psychoanalyse – ist zum Teil sehr stark in Richtung Naturwissenschaft gegangen und gefördert worden. Das ist auch ganz gut so, soweit es zutrifft und keine Ideologie ist – was es aber oft leider ist. ... Und wir wollen natürlich auch geeignete Berufsgruppen finden, die Psychotherapie und Psychotraumatologie ausüben können. Und da denken wir eben auch an geisteswissenschaftliche Disziplinen wie Pädagogen, Soziologen, Philosophen auch vor allem. In der neuen Bachelor-Master-Ordnung gibt es da ja mehr Flexibilität als es vorher gab. Selbstverständlich auch Psychologen und Mediziner sollen in diesem Gebiet tätig sein und bleiben. Aber wir wollen es auch ergänzen in Richtung Geistes- und Sozialwissenschaften. "
Der Mensch ändert sich nicht, jedenfalls nicht ganz und gar. Ein klein wenig aber doch. Das stellt tauch immer neuer Anforderungen an die Psychotherapie. Denn jede Zeit bringt ihre ganz eigenen Leiden hervor.