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Die Sehnsucht nach dem Kommunismus

Nostalgisch angehauchte Filme über den real existierenden Sozialismus sind nicht nur auf deutschen, sondern auch auf tschechischen und ungarischen Leinwänden zu sehen. Regisseure können jetzt heitere, märchenhafte Stoffe über den Kommunismus verfilmen, ohne unter Ideologie-Verdacht zu geraten, ohne Verpflichtung, politische Botschaften vermitteln zu müssen.

Von Otto Langels |
    In Ungarn kommen selbst Komödien über die finsteren 50er Jahre in die Kinos. Dies ist aber nur möglich, weil die Menschen, die die Repression erlebt haben, langsam aussterben. Das heutige Publikum ist zu einer Zeit aufgewachsen, in der sich die kommunistischen Regime vom Makel des stalinistischen Terrors befreit hatten.

    Nostalgie werde im Kino nicht aus politischen, sondern aus kommerziellen Gründen konstruiert, meint Gabor Eröss, Soziologe an der ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest.

    "Ein Film wurde Mitte der 90er Jahre gedreht über diese Periode der 50er, und das war ein Erfolg. Und nach diesem Film haben mehrere Filmemacher dieses Thema nur einfach aus finanziellen oder erfolgsstrategischen Gründen weiter bearbeitet."

    Die Filme hätten allerdings wohl kaum kommerziellen Erfolg, wenn sie nicht entsprechende Gefühle in der Bevölkerung bedienen würden. Der nostalgische Blick ist vor allem unter den Verlierern der Wende zu finden, die unter Arbeitslosigkeit, Armut und sozialer Unsicherheit leiden. Der schlechten Gegenwart stellen sie eine verklärte Vergangenheit mit trügerischen, selektiven Erinnerungen gegenüber. So lassen polnische Nostalgiker die 45-jährige Periode des Kommunismus auf die positiv überhöhte Dekade der 70er Jahre zusammenschrumpfen.

    Die Ethnologin Isabella Main von der Universität Posen spricht von sozioökonomischer Nostalgie:

    "Sie ist verbreitet unter Leuten, die sagen, dass das Leben in der kommunistischen Ära besser war, weil die materielle Sicherheit größer war, die Arbeitsplätze sicher waren usw. Diese Gruppe ist in Polen relativ groß. Die Menschen glauben, dass damals alles viel besser war, und zwar insbesondere in den 70er Jahren."

    Nostalgie aus sozialen Motiven ist in Polen, Ungarn oder Russland weit verbreitet. Sie artikuliert sich aber nicht politisch, etwa in Wahlentscheidungen, und sie geht auch nicht so weit, dass sich die Verlierer des Transformationsprozesses das alte System zurückwünschen. Der nostalgische Blick lässt aber ein Leben nicht sinnlos erscheinen, das durch soziale und politische Umbrüche zum Teil entwertet wurde.

    Angesichts einer Gesellschaft, die zunehmend unübersichtlich geworden ist, bietet der Rückgriff auf untergegangene Epochen, auf die sprichwörtlich guten alten Zeiten Zuflucht und Halt, wie die Erinnerung an eine ländliche Idylle. Ein regressiver Prozess, der nicht nur in postkommunistischen Gesellschaften, sondern im Zuge der Globalisierung auch in westlichen Ländern zu beobachten ist.

    Nostalgie ist freilich nicht nur ein soziales, sondern auch ein kulturelles, ästhetisches Phänomen, in Kino- und Fernsehfilmen ebenso wie in der Kunstszene und bei der Herstellung von Konsumgütern. In Tschechien sind seit einigen Jahren alt bekannte Milchprodukte, Süßigkeiten, Limonaden und Comiczeitschriften als Nischenprodukte wieder auf dem Markt, die nach 1989 zunächst verschwunden waren.

    In Budapest haben Studenten, alle ungefähr 25 Jahre alt, in einem Appartement ein privates Museum eingerichtet. Um zu beweisen, dass man den Kommunismus auch anders als blutig-dämonisch darstellen kann, haben sie Möbel und Alltagsgegenstände ausgestellt und Märchenplatten abgespielt.

    Im polnischen Posen, wo Isabella Main lehrt, haben junge Leute kürzlich ein Café namens "Proletariat" eröffnet.

    "Sie sagen, dass sie mit dem Café die 30- bis 40-Jährigen ansprechen wollen, die die letzten Jahre des Kommunismus noch erlebt haben. Sie wollen ein ironisches Bild des Kommunismus zeichnen, mit viel roter Farbe, mit Slogans und Musik aus der Epoche. Sie wollen zeigen, wie komisch und exotisch das Leben damals war, aber ohne zu reflektieren, wie der Kommunismus wirklich war."