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Die Selbstkontrolle der Medien

Medien haben Macht- ganz gleich, ob der Leser, der Zuschauer oder Hörer das spürt - oder nicht wahrhaben will. Die einen sprechen von der vierten Gewalt im Staat. Die anderen beklagen den verheerenden Einfluss, den Gewaltdarstellungen im Fernsehen auf Kinder und Jugendliche haben.

Von Sten Martenson | 19.02.2005
    Die Verantwortlichen in den Medien verweisen auf ihren eigenen Pressekodex, der berufsethische Prinzipien auflistet und auf eine Institution wie den Deutschen Presserat.

    Der achtet darauf die Prinzipien einzuhalten. Macht gehört kontrolliert - zumindest in einer demokratischen Gesellschaft.
    Im November 1956 gründeten Journalisten und Verleger den Deutschen Presserat. Er sollte als Organ der Selbstkontrolle einerseits verhindern, dass die Medien den Pfad journalistischer Tugend verlassen. Andererseits sollte durch diesen Akt möglicher Selbstkritik verhindert werden, unter die Knute eines Bundespressegesetzes zu geraten. Das hätte wohl nicht nur nach staatlicher Kontrolle der Medien ausgesehen. Die Pressefreiheit an sich erschien gefährdet.

    Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des noch in Bonn residierenden Presserats ist überzeugt: seine Institution bleibe unentbehrlich und habe sehr gute Arbeit geleistet.

    Journalisten haben, um ihren Job zu betreiben, gewisse Privilegien. Um diese Privilegien zu halten, müssen wir uns in eine Selbstverpflichtung begeben. Da muss man sorgfältig, da muss man verantwortlich mit umgehen. Für den Presserat ist das deshalb wichtig, dass wir immer zwei Ziele im Auge haben: Diese Privilegien, die Freiheit der Presse zu verteidigen, auf der anderen Seite aber auch, zu wissen, dass die Presse eine Verantwortung hat, selbstkritisch und auch verantwortlich mit publizistisch-ethischen Grundsätzen umzugehen.

    So weit, so gut. Aber Tillmanns kommt um seine Hausstatistik nicht herum. Die Zahl der Beschwerden , gerichtet an den Presserat, ist in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt. Zuletzt waren es über 700 im Jahr. Vor zwölf Jahren wies die Statistik noch nicht einmal halb so viele auf. Und nur sehr behutsam sucht Geschäftsführer Tillmanns nach Gründen dieser Entwicklung:

    Ich glaube schon, dass die Sitten insgesamt etwas lockerer geworden sind.

    Das hört sich harmlos an. Ist es das aber? Sind Bilder von der Hinrichtung eines amerikanischen Bürgers im Irak noch durch den Pressekodex gedeckt? Ist es akzeptabel, ein Foto der früheren schwedischen Außenministerin unter der Zeile "Hier stirbt Anna Lindh" zu veröffentlichen? Ist es Manipulation, ein Interview des Verkehrsministers so zuzuspitzen, dass die Schlagzeile "Stolpe will Maut für Pkw" zur blanken Lüge wird? Und ist durch den Auftrag zur Berichterstattung noch gedeckt, wenn Deutschlands größtes Boulevardblatt seine Leser dazu aufruft, den Mitgliedern der Bundesregierung Zensuren zu erteilen? Nur, um damit gegen die Schlusslichter eines solchen Leistungstests eine "Raus-aus-dem-Kabinett-Kampagne" zu starten?

    Presserats-Geschäftsführer Tillmanns weiß aus seiner Praxis: die spektakulären Beschwerden richten sich gegen Boulevardblätter, und da vor allem gegen eines. Aber noch weit mehr Proteste handeln sich Lokal- und Regionalblätter ein, die den Persönlichkeitsschutz und die schlichte journalistische Sorgfalt in den verschiedensten Varianten missachten. Und wenn es noch eines Beleges für das Versagen der Selbstkontrolle und dem damit einhergehenden Qualitätsverlust in den deutschen Medien bedurft hätte, so liefert ihn der Berliner Jurist Christian Schertz. Er und sein Hamburger Anwaltskollege Prinz haben den gründlichsten Einblick in diese Szene.

    Im Bereich Yellow/Boulevard oder auch audiovisuelle Privatmedien ist die Verrohung nachhaltig eine andere. Während wir früher pro Woche vielleicht vier Fälle hatten, haben wir heute 20-25 Abmahnfälle. Das heißt, es wird mehr in die Schlüssellöcher geguckt, es wird mehr verfolgt, Paparazzi-Jagden, es wird in die Intimsphäre eingegriffen, in die Privatsphäre, es werden Schmähungen entäußert, Dritte werden interviewt, um andere wieder zu beleidigen. Die Selbstkontrolle der Presse funktioniert dort in keiner Weise mehr.


    Presseanwalt Schertz hält den deutschen Presserat für eine honorige, aber mittlerweile nicht mehr sehr wirksame Institution. Worauf man beim Presserat geradezu stolz ist, nämlich eine Institution der Journalisten und der Verleger zu sein, stellt Anwalt Schertz eher als Konstruktionsfehler dar:

    Warum soll man sich selbst da wirklich ein Auge ausstechen. Da sitzt ein Vorstandsmitglied von Burda, der für die "Bunte" zuständig ist und die "Bunte" ist möglicherweise Gegenstand eines Verfahrens. Natürlich wird er dann an diesen Entscheidungen nicht teilnehmen, aber man muss ja dann danach dem Kollegen beim Umtrunk erklären , warum es die Rüge gegeben hat.


    Wenn Schertz seinen Mandanten empfiehlt, von einer ja auch kostenpflichtigen Beschwerde beim Presserat Abstand zu nehmen und statt dessen mit seiner Hilfe den juristischen Klageweg zu beschreiten, argumentiert er natürlich auch im Interesse seiner Kanzlei. Aber richtig bleibt dennoch, dass die notorischen Sünder im Boulevard die Rügen des Presserates eher achselzuckend zur Kenntnis nehmen und lieblos abdrucken. Richtig ver- und abgeschreckt haben solche Rügen die einschlägigen Verlage wohl nie. Wie sonst wäre zu erklären, dass die Sündenfälle so eklatant zunehmen.

    Dem Presserat weht aber auch aus anderen Richtungen immer mehr Gegenwind ins Gesicht: Von Gruppierungen wie dem "Verein zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle" oder dem "Netzwerk Recherche", das im Journalismus verloren gegangene Qualitätsstandards wieder beleben will. Sie haben an der Kontrollkompetenz des Deutschen Presserats zu zweifeln begonnen. Professor Horst Pöttker bildet an der Dortmunder Universität Journalisten aus. Zum Presserat hat er ein eher ambivalentes Verhältnis. Ein Organ der Selbstkontrolle ? Ja, das hält er schon für notwendig. Ihn stört aber, dass der Presserat als eine Art Ehrengericht angesehen werde. Ein Ehrengericht, das mit seinen Rügen immerhin über, wenn auch zahme, Sanktionsmöglichkeiten verfüge. Pöttkers Verein, dem auch andere renommierte Medienwissenschaftler angehören, setzt dagegen auf mehr öffentliche Diskussionen über Schwächen und Vergehen der Medien.

    Die Grundidee ist, dass wir die Überzeugung haben, dass auch die journalistische Selbstkontrolle wie alles in dieser Gesellschaft nur dann gut funktioniert, wenn sie transparent ist und öffentlich, gesellschaftlich beobachtet wird.

    Gegenwärtig beschnuppern sich Presserat und Kritiker, ob und wann solche Konsequenzen aus Vorwürfen zu ziehen sind.

    Um freilich herauszufinden, ob Selbstkontrolle überhaupt ein wirksames Instrument gegen Verluderung journalistischer Sitten sein kann, muss auch gefragt werden, worauf diese Entwicklung zurückzuführen ist.

    Tätern wie Opfern dieser Entwicklung fällt früher oder später die gleiche Antwort ein: Regierungsumzug von Bonn nach Berlin. Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg ist überzeugt:

    Ich glaube, dieser Regierungsumzug spielt in der Tat eine Rolle. Wobei ich nicht den Eindruck habe, dass es in Bonn nicht auch schon Auswüchse und Missstände gegeben hätte. Aber die waren eher Einzelfälle. Es gab unausgesprochen Regeln, an die hat man sich in Bonn gehalten. Das war etwa der Respekt vor dem Privatleben, vor dem Familienleben von Politikern, Prominenten. Berlin ist ein Symbol, eine Metapher für eine neue Situation im Verhältnis von Politik und Medien, weil bestimmte Entwicklungen sich hier einfach noch mal verstärkt haben. Und zwar in einer ungeheuren Weise verstärkt haben. Es ist nicht nur das Umfeld einer großen Stadt, die so etwas wie soziale Kontrolle nicht kennt, die Menschen leben unpersönlicher auf der einen Seite. Auf der anderen Seite gibt es hier viel mehr Glamour und auch die entsprechenden Lokalitäten, die eine solche Berichterstattung vielleicht nahe legen.
    Aber es war mehr als nur das großstädtische Flair Berlins, das die Medienszene zu prägen begann. Gleichzeitig wuchs der Medienmarkt ins schier Uferlose und der Quotenkrieg um mehr Auflage nahm erbitterte Züge an. Tissy Bruns, die lange Jahre in Bonn gearbeitet hat und nun in Berlin für den "Tagesspiegel" schreibt, erinnert sich noch sehr gut an das Umzugsjahr 1999:

    Wir wurden diese 600 Kilometer ostwärts transportiert und auf einmal war die ganze Welt verändert. Lange vor der Branchenkrise gab es eigentlich diese Sinnkrise der Medien. Das Gefühl, dass uns die Schlagzeilen wichtiger werden als die Zusammenhänge und der Kontext. Das ist ein Problem, das nicht durch Berlin ausgelöst, aber in Berlin sichtbar geworden ist.

    Der Alltag hatte sich verändert, was natürlich vor allem jene Journalisten so empfanden, die vorher in Bonn gearbeitet hatten. Es war ein Schock, wie ihn auch Tissy Bruns empfand, die in dieser Zeit Vorsitzende der Bundespressekonferenz war. Und sehr ernüchtert stellt sie heute fest, dass dieser Schock nicht dazu geführt hat, die Ursachen der Sinnkrise zu entkräften:

    Es ist so eine Art Wettlauf innerhalb unserer Krise, dass die Kollegen, die merken, da läuft uns etwas unter den Fingern davon, da stimmt etwas nicht, trotzdem ständig unter diesem wahnsinnigen Druck stehen, schnelle Meldungen zu machen, Nachrichten zu finden, das heißt eigentlich mehr zu erfinden, als die Politik sie liefern kann.

    Dieser knallharte Wettbewerb, der nicht selten aberwitzige Zwang schneller sein zu wollen als die Konkurrenten, verführt unweigerlich dazu mit der Wahrheit nachlässiger umzugehen.
    Es kommen andere Gründe hinzu: Probleme, die Qualität zu halten, ergeben sich aus dem verringerten Etat der Verlage. Aber natürlich auch aus dem Mangel an Geld in den elektronischen Medien. Medienprofessor Pöttker registriert, was aufmerksame Konsumenten ebenfalls spüren: Es werde einfach an allem gespart, was kurzfristig keinen Nutzen bringe:

    Deshalb wird vielfach an der Recherche gespart. Nehmen sie das Beispiel Auslandskorrespondenten. Da sparen dann viele Zeitungen einfach dadurch, dass wenn Krisen kommen, sie schnell mal Leute hinschicken, aber so fest installierte Auslandskorrespondenten, das ist doch sehr stark reduziert worden. Das halte ich für ein großes Problem.

    Redaktionen mit erfahrenem Personal sind ausgedünnt worden, Volontäre und Jungredakteure mit Aufgaben betraut, die sie nicht selten überfordern. An diesem Punkt verpufft auch der kritische Hinweis auf die Lücken der journalistischen Ausbildung. Denn ganz gleich, wie gut oder wie schlecht sie ist: im medialen Alltag kommt auch der bestens ausgebildete Journalist schnell in Konflikt mit dem, was er gelernt hat und dem, was er davon tagtäglich in seine Arbeit einbringen kann. Die chronische Unterbesetzung der Redaktion und der unausweichliche Zeitdruck lassen keine aufwendige Recherche mehr zu.

    Das täuscht aber ein wenig darüber hinweg, dass es sehr wohl auch an der Ausbildung hapert. Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des Berliner "Tagesspiegel", benennt das zentrale Problem:

    Leider Gottes ist der Journalismus ja ein ungeschützter Beruf. Jeder darf sich Journalist nennen. Dies ist für mich immer wieder ein Ärgernis.
    Casdorff ist sich bewusst, dass die jungen Journalisten das Kapital der Medien von morgen bilden. Und wer auf eine seriöse Ausstrahlung setze, müsse sich einfach darum kümmern, diese jungen Journalisten und Journalistinnen gut auszubilden:

    Gerade die Jungen müssen ja weiter tragen, und da bin ich dann Traditionalist, was mal Karl Kraus, was Theodor Wolff und was andere große Journalisten an journalistischem Ethos mitgebracht haben. Und ich glaube, das man da gar nicht genug aufpassen kann. Richtig ist, die Ausbildung muss verstärkt werden und ich glaube auch, die Leitmedien müssen mehr eigene junge Leute fördern und sie groß machen.

    Die Journalistenschulen, gleich ob in Hamburg oder München, leisten vorbildliche Arbeit. An Horst Pöttkers Dortmunder Hochschule wird verantwortungsbewusst und sehr praxisnah ausgebildet. Viele Zeitungen und Rundfunkanstalten geben sich erkleckliche Mühe mit dem journalistischen Nachwuchs. Aber überall spielen die Kosten dem guten Willen einen Streich. Und es ist kein Zufall: die journalistischen Fortbildungseinrichtungen drohen in Existenznot zu geraten. Lutz Tillmanns vom Presserat berichtet, dass die Teilnehmerzahlen um ein Drittel gesunken sind.

    Vielfach werfen die älteren Journalisten, die in einer unbeschwerteren Medienära ihr Handwerk gelernt und ihren Beruf ausgeübt haben, ihren jungen Kolleginnen und Kollegen mangelnde Ernsthaftigkeit und fehlendes Berufsethos vor.

    Zugegeben: Hauptstadtkorrespondenten erleben wie der mit Mikrofon und Kamera ausgerüstete Nachwuchs sich auf Politiker stürzt, ohne immer zu wissen, um wen es sich dabei handelt, geschweige denn, welche Funktion er innehat.

    Aber ein generelles Verdikt verbietet sich. Tissy Bruns, die erfahrene Parlamentskorrespondentin sagt auch warum:

    Diejenigen, die diese jungen Kollegen in das schnelle Tempo stürzen und von ihnen verlangen, dass wir eben den dritten Hinterbänkler auch noch haben, den die beiden anderen Zeitungen nicht gehabt haben, das sind ja nicht die jüngeren Kollegen, sondern ihre Chefs und Chefredakteure, und die sind meistens ältere Kollegen.

    So zeichnet sich in der Medienlandschaft ein Teufelskreis ab. Viele Medien, eben vor allem auch Zeitungen, befinden sich in einer existentiell schwierigen Situation. Die wirtschaftliche Stagnation, aber auch die neuen Technologien wie das Internet haben ihre Erträge empfindlich reduziert. Sie versuchen über die Runden zu kommen, was nur gelingt, wenn sie ihre Kosten und damit zwangsläufig auch ihren journalistischen Anspruch senken. Die Boulevardmedien sind von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Auch sie sind auf zahlungskräftige Anzeigenkunden angewiesen, die sich zur Annonce nur noch dann bequemen, wenn sie sicher sind, dass diese ein breites Publikum erreicht. Das gelingt ganz offenkundig besser, wenn die Sensationshascherei ungebremst von berufsethischen Einschränkungen ausgelebt wird.

    Journalistische Selbstkontrolle hat vor diesem Hintergrund wenig Chancen. Der Presserat wird deshalb nicht überflüssig, aber sein Kampf um einen seriösen, der Wahrheit und journalistischen Regeln verpflichteten Journalismus wird mehr und mehr zu einem Kampf gegen die Windmühlenflügel sensationslüsterner Medienaktivitäten. Professor Horst Pöttker wird mittelfristig mit seinem Verein womöglich erreichen, dass die Arbeit des Presserates transparenter wird, dass vielleicht sogar hin und wieder eine öffentliche Diskussion über mediale Grenzüberschreitungen einsetzt. Martin Süskind, zuletzt Chefredakteur der "Berliner Zeitung", prophezeit nach einem erfolgreichen Journalistenleben, dass das Instrument der Selbstkontrolle sich jedoch kaum wird schärfen lassen:

    Da bin ich sehr skeptisch. Eigentlich glaube ich das nicht. Dazu bräuchte man eine lange Standestradition, die wir in Deutschland nicht haben. Ich glaube nicht, dass sich der Journalismus aus sich heraus Regeln geben kann, vor allem solche, an die sich die Beteiligten dann auch halten, die ja nicht sanktionabel sind. Die man also nicht durchsetzen kann mit irgendwelchen Gewalten oder Strafen.

    Ein solcher Fatalismus - und das zeigt ja schon die journalistische Gegenwart - ruft natürlich die Gerichte auf den Plan. Ganz wie es der Berliner Medienanwalt Schertz am liebsten sieht. Das so genannte Caroline-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg hat einerseits erhebliche Unruhe, andererseits aber auch ein gewisses Maß an Befriedigung ausgelöst - unter den besorgten Medienschaffenden jedenfalls, die sich um eine ausufernde Verrohung der journalistischen Sitten sorgen.

    Zeter und Mordio schreien hingegen die Boulevardformate, die gedruckten wie die elektronischen. Und sie fahren dabei schweres Geschütz auf. Die Pressefreiheit, hohes Gut jeder funktionierenden Demokratie, sei ernsthaft in Gefahr. Warum?

    Weil nun allen Schurkereien und Skandalen, der gnädige Schleier des Unentdecktbleibens gewährt werde - vor allem natürlich in der Politik. Dieser Schluss wird populistisch herbeigeredet, wobei irritiert, dass bei dieser Kampagne auch Verlage und Medienvertreter mitmachen, die es besser wissen sollten. Zum einen, weil sie versiert genug sein müssten, um ein Gerichtsurteil genau zu lesen. Zum anderen, weil sie sich eigentlich auch Sorgen um die verludernden Qualitätsstandards im Journalismus machen sollten.

    Hans Leyendecker, nun wirklich ein Journalist, der aufheulen würde, wenn sein ureigenes Metier, der investigative Journalismus, gefährdet wäre, kommentierte in der "Süddeutschen Zeitung" die künstlich wirkende Aufgeregtheit:

    Die Presse hat häufig ihren blinden Fleck dort, wo sie mit sich selber konfrontiert ist. In diesen Tagen, wo die Politik sich nichts mehr zutraut und Begriffe wie links und rechts nur noch wenig bedeuten, versuchen Verlage immer mehr, die Wirklichkeit zu schaffen, die sie beschreiben sollen.

    Anwalt Schertz ahnt, dass die Folgen des Urteils nicht unerheblich sein werden. Die deutschen Gerichte werden den Vorgaben aus Strassburg folgen müssen. Kein politischer Skandal wird deshalb unentdeckt bleiben. Die Herren Welteke, Biedenkopf oder Steinkühler, deren private Verfehlungen sehr wohl auch politisches Gewicht hatten, könnten sich keinen Augenblick hinter dem Straßburger Urteilsspruch verschanzen. Unaufgeregte Juristen wissen das und es hat sich zum Glück bis in die Bundesregierung herumgesprochen. Von millionenstarken Verlegern wurde sie sogleich ultimativ aufgefordert, Einspruch gegen dieses Urteil zu erheben. Wird die Politik zum Totengräber der Pressefreiheit in Deutschland ? Medienanwalt Christian Schertz wiegelt eindringlich ab:

    Ich meine nein. Hier geht es doch eigentlich nur darum, dass Prominente einen etwas erweiterten Privatsphäreschutz haben und in bestimmten Bereichen mehr als bisher in Ruhe gelassen werden müssen. Das ist legitim und nachvollziehbar. Wohlgemerkt: wenn es ein Bericht ist, der diese Bilder deswegen benötigt , um einen öffentlichen Missstand aufzudecken: Waffenlobbyist trifft Politiker in einem Restaurant, wird kein Gericht der Welt insbesondere auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte oder die deutschen Gerichte das verbieten, weil da das öffentliche Interesse ausnahmsweise diesen Abschuss im Restaurant für zulässig erachten wird.

    Aber wie andere auch traut er eben keiner Selbstkontrolle mehr, sondern setzt wohl oder übel auf den juristischen Klageweg.
    Verboten wird in Zukunft bleiben eine Bildberichterstattung, die reine Sensationsgier-Befriedigung zum Gegenstand hat. Und da sehe ich keine Gefahr für die Pressefreiheit, wenn das in Zukunft unterbleiben muss. Sondern ich finde es eigentlich gut und richtig, dass dieser Sittenverfall, der in Deutschland insbesondere bei den Medien stattgefunden hat, endlich gestoppt ist.