Samstag, 20. April 2024

Archiv


Die Simulation einer Kunstmesse

Die Art Cologne ist der Krise, und eigentlich schon tot. Das ist zumindest überall zu lesen und zur hören. Dennoch strömen wieder Tausende von Menschen in die Kölner Messehallen. Lesen die keine Zeitung und schauen auch nicht fern? Burkhard Müller-Ullrich hat einen Verdacht: Die Besucher folgen geheimen Absprachen per Internet und Handy.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 16.04.2008
    Irgendwann zwischen 20 und 25 kommt die gefährlich-gewaltige Erfahrung der Masse auf den jungen Menschen zu. Vorher lebt er im kleinen Kollektiv seiner Familie, dann lehnt er sich dagegen auf und befestigt seine Individualität, und dann beginnt die Phase aktiver Vergesellschaftung: Der Mensch sucht Anschluss an größere Gruppen, er findet dort Geborgenheit, er lässt sich fallen in der Masse und empfindet deren Macht. Ob auf dem Fußballplatz, bei Straßendemos oder militärischen Aufmärschen: Es ist dieses von Elias Canetti in dem Buch "Masse und Macht" so genau analysierte Erlebnis, das zu den Grundkonstanten jeder Jugendkultur gehört.

    Auch ein Flashmob gehört zu diesem Formenkreis. Ein Flashmob ist eine der aktuellsten Tollheiten der Jugendkultur. Es handelt sich einerseits um einen klassischen Streich in der Öffentlichkeit - etwa von der Art, ahnungslose Passanten zu erschrecken - und andererseits um ein Phänomen des Medienzeitalters, denn die Beteiligten verabreden sich per Internet oder per Handy, und die Aktion wird per Video dokumentiert sowie im Internet veröffentlicht.

    So kann es sein, dass die scheinbar zufällig verteilten Anwesenden auf einem öffentlichen Platz in Wirklichkeit verschworene Mitspieler eines solchen Flashmob-Happenings sind, das auf ein geheimes Zeichen hin beginnt. Dann lassen sie sich - zum Erschrecken der Nichteingeweihten - plötzlich fallen oder erstarren in der Bewegung oder stoßen dumpfe Laute aus oder was der Scherze sonst noch sind. In Berlin übten kürzlich mehr als 700 Flashmobisten so etwas wie dadaistischen Konsumterror aus, indem sie eine McDonald's-Filiale heimsuchten und 10.000 Burger bestellten.

    Aber das ist gar nichts - verglichen mit dem, was zur Zeit in Köln passiert. Zur großen Überraschung des Bewachungspersonals tauchte heute eine Menschenmasse vor der Messe auf und drängte in den Eingang. Noch ist unklar, auf welche verborgene Weise - per Handy oder per Internet - sich die Leute zu diesem Auftritt verabredet hatten, aber fest steht, dass es sich um einen der größten Flashmobs Deutschlands handelt. Denn zu sehen gibt es auf der Kölner Messe nichts; die Art Cologne ist bekanntlich tot, das war und ist in allen Zeitungen zu lesen. Besucher, die sich dort hin begeben, tun dies nur, um sich selber auszustellen - und genau diese Art von Selbstperformance kennzeichnet ja den avancierten Kunstbegriff der Digitalzeitalter-Demonstranten.

    Auch die Behauptung mancher Mitspieler, das Ganze sei wirklich die Art Cologne, ist Teil der Inszenierung: Wir alle wissen, dass es die Art Cologne nicht gibt. Was jetzt dort stattfindet, ist die subtile Simulation einer Kunstmesse durch eine Horde ferngesteuerter Individualisten. Es ist nichts anderes als ein gigantischer Flashmob.