Archiv


Die Skulptur als Knoten

Komplex verschlungene und ineinander verwobene Formen sind ein Markenzeichen des Waliser Künstlers Richard Deacon. 40 Schaffensjahre fasst die Ausstellung "The Missing Part" im Sprengel-Museum Hannover zusammen.

Von Carsten Probst |
    Wer Richard Deacons Skulpturen entdecken und verstehen will, der sollte ihnen unter freiem Himmel begegnen. Im öffentlichen Raum entfalten sie ihren Witz und ihre erstaunliche Wesenhaftigkeit am eindrucksvollsten: Die eigentümlichen verschlungenen Formen, die grandiose, wie schwerelose Beherrschung von Materialien, denen man vorher nicht zugetraut hätte, sich so virtuos biegen, in die Lüfte zu erheben, zu schlängeln oder zu verknoten. Auf dem Rathausplatz von Waiblingen bei Stuttgart zum Beispiel mit seiner aufdringlichen 70er-Jahre-Architektur hat Deacon mit großen, gewundenen Stahlbändern ein technoides Knäuel geschaffen, das der Umgebung durch seine Hohlräume eine bislang nicht gekannte spielerische Leichtigkeit verleiht. Andererseits wirken diese Stahlbänder wie riesige Kabelverbindungen und ironisieren damit das Stadtbild eines von der Elektrogeräteindustrie geprägten Standortes. An der Hafenpromenade von Toronto in Kanada hat Deacon eine riesige Skulptur aus Stahlbändern geschaffen, die mit ihren wulstigen Enden wie eine Mischung aus Schiffswrack und Walfischskelett erscheint. Am Ufer des Tyne der alten Kohlestadt Newcastle hat Deacon eine Industriefassade mit einem klobigen Ungetüm in Form einer riesigen stählernen Amöbe zu einem weithin sichtbaren Kunstwerk umgewandelt.

    Wo immer man ihnen begegnet, strahlen die Arbeiten des 1949 geborenen Walisers etwas von unbändiger Energie und vielschichtiger Figürlichkeit aus. Früh hat Deacon begonnen, sich für alle möglichen Materialien für seine Skulpturen zu interessieren, neben Stahl und Aluminium auch Kunststoffe, Holz, Keramik oder Glas. In der Ausstellung des Sprengel Museums wird ein ganzes Arsenal der Ideen und Möglichkeiten vorgeführt, mit einem Schwerpunkt auf die unerhört verschlungenen Holzplastiken. Kunstvoll gebogene, mit Stahlverbindungen zusammengezwungene, massive Balkenstrukturen, die so leicht und spielerisch den Raum einnehmen, als wäre es selbstverständlich, die zugleich jedoch die gewaltigen physikalischen Kräfte, die ihnen innewohnen, eindrucksvoll herzeigen. Deacon ist nicht nur ein Fachmann der Raumästhetik, sondern auch ein Ingenieur des scheinbar Unmöglichen und zugleich ein gelehrter Kommentator seines eigenen Schaffens.

    Wie aber kann es sein, dass dieses virtuose und auch nach Jahrzehnten immer noch so frische Werk in den Hallen des Sprengelmuseums Hannover so viel von seinem sprühenden Charme einbüßt. Kaum etwas von seiner humorvollen und unerhörten Vielschichtigkeit scheint sich auf das Ausstellungskonzept übertragen zu haben. Es wirkt eher, als hätte sich Kurator Ulrich Krempel bemüht, einen systematischen Einblick in die Formen- und Gedankenwerkstatt des Meisters zu geben und damit unversehens einen akademischen Setzkasten geschaffen, der wie eine gelehrte Maßregelung des lebendigen Geistes wirkt. Hoch professionell gehängt und arrangiert zwar - dabei jedoch so langweilig wie eine Landwirtschaftsmesse. Richard Deacon wird hier als Traditionalist inszeniert, eingehüllt in ein molliges Strickmuster aus Vergangenheitsbezügen - doch die Wirkung ist ein sofortiger Alterungsprozess, der selbst aktuelle Arbeiten mit einem Grauschleier überzieht und sie erscheinen lässt, als seien sie plötzlich aus der Zeit gefallen. Gerade der fantastische zeichnerische Kosmos Deacons, hier nur mit wenigen Beispielen angedeutet, vermittelt dem Besucher in dieser Ausstellung kein Gefühl davon, welchem enzyklopädischen Geist er in den Entwürfen eigentlich begegnet.

    Das ist schade, die Absicht dahinter mag die beste gewesen sein. Doch die Ausstellung beweist vor allem eins: Die Musealisierung kommt für Deacons Werk zu früh. Es ist zu gut, zu lebendig, zu energiereich, um auf diese Weise irgendwo in der Kunstgeschichte nach Kurt Schwitters und Henry Moore abgelegt und lebendig begraben zu werden. Auch wenn es ein Begräbnis erster Klasse ist.