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Die Skythen - Krieger oder Kulturmenschen?

Schon vor 300 Jahren hat Peter der Große das nomadisch lebende Reitervolk der Skythen als Teil der frühen Geschichte Russlands erforschen lassen und eine gewaltige Sammlung goldener Objekte aus Südsibirien zusammengetragen. Der berühmteste deutsche Skythen-Forscher heißt Hermann Parzinger, er hat auch die große Skythen-Schau initiiert, die am Berliner Martin-Gropius-Bau in dieser Woche eröffnet wird.

Von Carsten Probst | 04.07.2007
    Folgt man dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot, liegt der mythische Ursprung der Skythen weit im Osten, im südsibirischen Altaj-Hochgebirge und in der Grenzregion zu China. Hier wurden bislang auch die ältesten Gräber gefunden, aus dem 9. Jahrhundert vor Christus. Doch die Verbreitung des Reiter- und Nomadenvolkes nahm mit der Zeit ungeheuerliche Dimensionen an, von der Mongolei über Kasachstan, den südlichen Ural, die Kaukasusregion und die Ukraine bis nach Rumänien und Ungarn reichen die Fundstätten von skythischen Fürstengräbern, die seit fast dreihundert Jahren die Archäologen in Atem halten. Denn das "Gold der Skythen", die prunkvollen Schmuckstücke und Kleinplastiken meist mit Tiersymbolen, die sich dort finden, sind von faszinierender Qualität. Man weiß, dass die skythischen Krieger griechische Künstler beschäftigten. Unter dem Zeichen des Goldenen Greifen, dem wichtigsten aller Tiersymbole, zogen sie durch die eurasische Steppe und plünderten, was ihnen vor das Schwert kam. In den letzten zwanzig Jahren wurden schon viele gut besuchte Ausstellungen mit dem Reichtum der Skythen bestückt - eigentlich ist über sie alles gesagt. Könnte man meinen.

    Hermann Parzinger widerspricht da ganz energisch. Der deutsche Archäologe hat sich seit zehn Jahren intensiv mit den ältesten skythischen Grabstellen im Altaj-Hochgebirge und in der russischen Republik Tuva beschäftigt. Parzinger geht es mit dieser Ausstellung nicht in erster Linie um erneutes Prunken mit Goldglanz, obwohl er auch damit durchaus reichlich aufwarten kann. Was ihn fasziniert, ist die Frage: Wie hat dieses Volk gelebt hat, wie diese Erfolgsgeschichte im Rückraum der griechischen und chinesischen Zivilisation zustande kam, obwohl die Skythen keine Hochkultur hatten. Sie bauten keine Städte und kannten keine Schrift.

    Ihr Kapital war zweifellos ihre Ungreifbarkeit, meint Parzinger. Sie waren höchst anpassungsfähig an verschiedenste Lebensbedingungen, in heißen wie in kalten Regionen. Sie waren exzellente Reiter und allseits gefürchtete Krieger, die keine Probleme hatten, Schutzzölle zu erpressen. Aber: Sie metzelten wiederum auch nicht einfach alles nieder, wie viele Jahrhunderte später die Mongolen, sondern entwickelten sich strategisch und integrierten verschiedenste Völker in ihre Reiterhorden. Sogar in Schlesien, in er Lausitz, wurden skythische Hügelgräber gefunden. So kann man sie heute nicht ohne Ironie als echte Globalisierer ihrer Zeit betrachten.

    Die große Erzählung von Aufstieg und Verschwinden der Skythen will Hermann Parzinger im Martin-Gropius-Bau noch einmal episch ausbreiten. Die Besucher durchwandern die Säle in einer imaginären Reise durch die eurasische Steppe, von Fundort zu Fundort. Aber das bewusst mit ägyptischen Anklängen so genannte "Tal der Könige" im südostsibirischen Arzan bildet eine der Hauptattraktionen. Hier hat Parzinger zusammen mit russischen Kollegen zwischen 2001 und 2003 ein noch völlig unversehrtes Fürstengrab ausgegraben, mit zahllosen Grabbeigaben und Skeletten. Starb ein skythischer König, wurde sein gesamtes Gefolge ebenfalls getötet und unter dem Grabhügel in einer gewaltigen Feuerzeremonie beigesetzt. Die Gräber, sogenannte Kurgane, ähneln hier tatsächlich Pyramiden. Ein Modell in der Mittelhalle des Martin-Gropius-Baus demonstriert die riesigen Dimensionen dieser Grablegen. Oft werden goldene Schmuckstücke im Tierstil gefunden, Greifen, Panther, Pferde, selten Abbildungen von Kriegern, alles in bemerkenswerter bildnerischer Qualität. Einer der Klassiker ist der Goldene Mann von Issyk in Kasachstan, ein mit 4000 Goldplättchen geradezu übersäter Krieger in seinem Grab, der ebenfalls in Berlin zu sehen ist.

    Besonders interessant jedoch sind Grabungen aus dem Altaj-Hochgebirge, wo zwar kein Gold, dafür aber durch das Eis im Boden konservierte Kleidungsstücke gefunden wurden. Mehr als zweieinhalbtausend Jahre alte, kegelförmige Kopfbedeckungen, Felljacken, ein Frauenrock, Satteldecken und Pferdemasken, dazu eine der berühmten Eismumien, großartig erhalten mit einer großflächigen Tätowierung auf der Schulter.


    Info
    Im Zeichen des Goldenen Greifen
    Königsgräber der Skythen
    Ort: Martin-Gropius-Bau
    6. Juli bis 1. Oktober 2007

    Zur Ausstellung gibt es auch einen Podcast mit Hermann Parzinger unter www.skythen-podcast.de