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Die Sonne auf Erden

Physik. - Seit Jahrzehnten träumen Physiker davon, mittels Kernfusion auf der Erde Strom zu erzeugen. Den Durchbruch soll ITER bringen - der teuerste Versuchsreaktor aller Zeiten. Jetzt scheint das Megaprojekt in Schwierigkeiten zu geraten - wegen der Finanzierung.

Von Frank Grotelüschen | 15.09.2008
    "ITER ist derzeit das größte Wissenschaftsprojekt auf der Welt. Es soll zeigen, dass man über Fusion Energie produzieren kann – letztendlich das Sonnenfeuer auf die Erde holen."

    Es ist höchst ehrgeizig, was sich Norbert Holtkamp vorgenommen hat. Holtkamp ist technischer Direktor von ITER. Gemeinsam mit Hunderten anderer Physiker will er einen Experimentalreaktor bauen, der in einer Art Magnetkäfig ein Wasserstoffgas bis auf 150 Millionen Grad erhitzt. Denn nur bei einer derartigen Höllentemperatur kann mit den Wasserstoff-Teilchen das Entscheidende passieren:

    "Wenn man die oft genug bei hoher Temperatur zusammenstoßen lässt, verschmelzen die miteinander. Und dabei wird Energie frei."

    Eine Energiequelle, die sicher sein soll, unerschöpflich und Klima schonend. ITER ist nichts anders als die Nagelprobe für die Kernfusion: Der Reaktor soll beweisen, dass man mit ihr tatsächlich Energie erzeugen kann. Scheitert ITER, dürfte auch die Kernfusion am Ende sein. Bereits im Jahre 2001 hatten die Forscher den Entwurf für die Anlage vorgelegt, und zwar sollte sie rund fünf Milliarden Euro kosten. Doch es dauerte bis 2006, bis sich Japan, China, Russland, Indien, Südkorea, die USA und die Europäische Union darauf einigen konnten, den Reaktor auch tatsächlich zu bauen, und zwar in Cadarache in Südfrankreich. In der Zwischenzeit aber haben die Physiker gemerkt, dass sie ITER nicht so bauen können wie geplant. Denn sie machten eine unliebsame Entdeckung: Das heiße Plasma dürfte die Wände des Reaktors stärker angreifen als ursprünglich angenommen.

    "Das, was man dagegen tun kann, ist nicht so ganz einfach: Da muss man Magnetspulen in diese große Vakuumkammer einbauen. Und das hat einen Rattenschwanz von Folgen: Die Kammer muss geändert werden, die Spulen müssen rein. Und die kosten natürlich Geld."

    Auch an anderer Stelle mussten Holtkamp und seine Leute den ursprünglichen Entwurf korrigieren. So sind die Rohstoffpreise für Stahl, Kupfer und Niob in den vergangenen Jahren rapide gestiegen. Und auch die atomrechtliche Genehmigung ist offenbar aufwändiger als angenommen. Kurz und gut: ITER wird teuerer als geplant. Um wie viel, lässt sich noch nicht sagen, noch ist die Neuberechnung nicht abgeschlossen. Die Forscher wollten jedoch nicht einmal ausschließen, dass ITER doppelt so teuer wird wie vorgesehen: zehn Milliarden Euro statt fünf. Die ITER-Partner werden also noch einmal tief ins Portemonnaie greifen müssen, sagt Octavi Quintana, Forschungsdirektor von Euratom, der Atomenergiebehörde der Europäischen Kommission.

    "Alle Partner müssen nun ihren Beitrag erhöhen. Da Europa fast die Hälfte von ITER zahlt, wird seine Bürde natürlich besonders hoch sein. Deshalb müssen wir nun alle 27 Mitgliedsstaaten der EU davon überzeugen, dass ITER nach wie vor wichtig ist, dass wir uns einen Misserfolg des Projekts nicht leisten können und deshalb zusätzliche Mittel aufbringen müssen."

    Womöglich wird das Projekt nun gestreckt, und ITER wird nicht wie vorgesehen 2018 sein erstes Plasma zünden, sondern Jahre später. Doch einen Ausstieg aus ITER mag sich Quintana trotz der dramatischen Kostenexplosion noch nicht vorstellen.

    "Ich glaube nicht, dass es sich die europäische Union erlauben wird, ein so großes Projekt einfach fallen zu lassen. Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Schließlich ist das Potenzial dieser Maschine enorm: Sie könnte eine Energiequelle erschließen, die hocheffizient ist und zugleich sauber."