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Die soziale Kraft

Kaum ist der Bundestag gewählt, da rüsten sich die Parteien in Nordrhein-Westfalen schon für die Landtagswahl 2010. Es steht für alle viel auf dem Spiel. Für Schwarz-Gelb geht es um die Bundesratsmehrheit, für die SPD um eine Trendwende.

Von Susanne Grüter |
    "Es ist sicherlich richtig, dass Nordrhein-Westfalen hier einen maßgeblichen Anteil jetzt leisten muss an diesem Wiederaufbau der Partei, wir sind nicht nur diejenigen, die die nächste Wahl haben, sondern wir sind und bleiben auch der größte Landesverband. Und von daher kommt uns da schon eine besondere Rolle zu."

    Umgehend hat SPD-Landeschefin Hannelore Kraft in Berlin Anspruch angemeldet, stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende zu werden.

    In ihrem Wahlkreis in Mülheim an der Ruhr stehen die Mitglieder voll hinter ihr. Hier ist auch gut angekommen, dass die Bundespartei im Hauruckverfahren personell kräftig aufgeräumt hat. Nach dem katastrophalen Wahlergebnis ersehnen alle den Neuanfang. Juso-Mitglied Dzenan Kurspahic:

    "Ich glaube, die Partei wird auf dem Parteitag im November die Richtung vorgeben und auch einen Vorstand dann wählen, der von der Parteibasis dann auch getragen wird. Und darum geht es uns... Man weiß, dass die Partei gewisse Lager hat, aber da heißt es, Gemeinsamkeiten zu schaffen."

    Nur mit Geschlossenheit und ohne die bei den Sozialdemokraten sonst so beliebten Flügelkämpfe hat die SPD überhaupt eine Chance in NRW, das wissen alle. Zeit für Schuldzuweisungen und zum Wundenlecken darf sie sich nicht nehmen. Für den SPD-Geschäftsführer in Mülheim, Arno Klare, seit 39 Jahren dabei, kommt Resignation nicht infrage.

    "Schnappatmung habe ich nicht gehabt, dazu bin ich zu lang dabei und habe auch schon zu viel erlebt, und ich denke, das hat natürlich eine gewisse Bedeutung, auch für Nordrhein-Westfalen, ist klar, da sind wir von 28 zu 33 hinter der CDU. Das ist kein Abstand, der nicht aufholbar wäre."

    Sicher, die SPD steht in NRW besser da als im Bundesdurchschnitt. Aber die Ausgangslage ist hart - und die Sozis von Rhein und Ruhr müssen Jürgen Rüttgers entzaubern. Der Ministerpräsident fischt gern in ursozialdemokratischen Gewässern. Er fordert eine Mindestrente und höheres Schonvermögen für Langzeitarbeitslose. Ziel: die Johannes-Rau- und Helmut-Schmidt-Wähler locken. Sofort nach dem Wahlsieg hat er angekündigt, als Mitglied des Lenkungsausschusses der CDU bei den Koalitionsverhandlungen mit der FDP mitzureden.

    "Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum am Kündigungsschutz irgendwas geändert werden müsste, ich sehe überhaupt keinen Grund, warum wir jetzt über Mitbestimmung diskutieren sollten. Es würde zwangsläufig von den Gewerkschaften als Provokation empfunden. Das ist nicht nötig."

    Dagegen erklärt der nordrhein-westfälische FDP-Landeschef Andreas Pinkwart, zum Neuanfang gehörten selbstverständlich auch Zumutungen gegenüber den Bürgern, um Wachstum und Wohlstand für das ganze Land zu erreichen. Die NRW-FDP stellt nach dem guten Wahlergebnis ihre stärkste Landesgruppe aller Zeiten. Doch der nordrhein-westfälische CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst meint:

    "Wir werden mit Jürgen Rüttgers an der Spitze, mit Karl Josef Laumann, der ebenfalls an den Koalitionsverhandlungen teilnimmt, aber ich bin ganz sicher, auch mit den Kolleginnen und Kollegen von der FDP dafür sorgen, dass es im Bund keine Koalition der Zumutungen gibt, sondern dass man da den sozialen Zusammenhalt bewahrt, sich auch um die kleinen Leute kümmert. Es hat keiner ein Interesse daran, dass die Bundesratsmehrheit am 09. Mai nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wieder weg ist, denn dann ist Ende mit gestalten, und das sehen alle sehr, sehr klar."

    Die CDU will die FDP disziplinieren. Radikale Einschnitte vergraulen schließlich die NRW-Wähler. Das sieht auch Carla Neisse-Hommelsheim so, die in Rüttgers' Wahlkreis Rhein-Erft Stadtverordnete ist.

    "Ich glaube, dass sehr stark Jürgen Rüttgers hier den Kurs weiterfahren wird, und ich sehe da keine Probleme, daran zu zweifeln. Und das wird so passieren. Jürgen Rüttgers ist das soziale Gewissen der CDU."

    Mit seinem linken Kurs ist er bei der Bundes-CDU oft angeeckt. Carla Neisse-Hommelsheim findet das richtig so.

    "Jürgen Rüttgers ist ja auch unser Ministerpräsident für Nordrhein-Westfalen, und das ist das, wofür er sich einsetzen muss, da muss man auch manchmal in die Diskussion mit anderen gehen."

    Für die NRW-CDU jedenfalls ist die Situation einfacher als für die SPD. Hinzukommt, dass die Grünen sich nicht mehr um jeden Preis auf ein rot-grünes Bündnis festlegen wollen. Sollten die Liberalen zu aufmüpfig werden, könnte Rüttgers mit dem grünen Fähnchen wedeln.

    Für die Sozialdemokraten ist es nun wichtig, ihr Profil vor allem gegenüber der CDU zu schärfen. Jochen Ott, stellvertretender SPD-Landesvorsitzender, wiegelt da aber erst einmal ab.

    "Jürgen Rüttgers ist mir vollkommen egal, weil die SPD wird nur dann an Stärke gewinnen, wenn sie die eigene Stärke in den Mittelpunkt stellt und die eigenen Konzepte und Ideen, wir können keinen Abgrenzungswahlkampf machen, wir müssen schwarz-gelb verhindern, sondern wir müssen einen Wahlkampf machen, wofür stehen wir, was sind die Projekte, warum wollen wir gewählt werden."

    Im Mülheimer Wahlkreis von Hannelore Kraft vertrauen die Mitglieder darauf, dass die Landeschefin die Genossen in Berlin darauf drängt, bei allem Neuanfang glaubwürdig zu bleiben. Mareike Haase:

    "Ich halte nicht viel davon, einfach zu sagen, ok, das war alles falsch, und weg damit, denn das ist auch nicht glaubhaft, denn wir haben dafür gestanden und auch gekämpft, das hatte ja auch Gründe, wir haben ja angefangen, den Sozialstaat umzubauen nicht aus lauter Mutwillen heraus."

    Schröders Agenda 2010 nicht verdammen, aber bei ungewollten Nebenwirkungen wie der ausufernden Leih- und Zeitarbeit gegensteuern, so heißt die Marschrichtung. Und noch eins wollen sich die Genossen erst einmal vom Hals halten: das Gerede, ob nun nicht doch die Zeit reif sei für Rot-Rot. Arno Klare, Mülheimer Geschäftsführer:

    "Ich bin der Meinung, dass wir erst mal definieren müssen, und da sind wir ja auf einem guten Wege, was wir wollen, inhaltlich, und erst dann wird die Frage gestellt, mit wem ist das machbar. Insofern läuft das über Inhalte und nicht über diese sehr simple, wie ich finde, Frage, macht Ihr es denn auch mit den ganz Roten also, das ist so ein Totschläger-Argument, und in die Falle dürfen wir nicht noch mal tappen."

    Ob das bei der schwachen Startposition der SPD gelingt, ist die große Frage. Für die Sozialdemokraten in NRW gilt: Sie müssen vor allem ihre Wähler, die zu Hause geblieben sind, mobilisieren. Die Christdemokraten werden die neue Bundesregierung zur Rücksicht mahnen, um unliebsame Entscheidungen vor der Landtagswahl noch zurückzuhalten.