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Die SPD leckt ihre Wunden

In normalen Zeiten sind Landesparteitage keine besonders spannende Sache. Denn in normalen Zeiten sprechen auf Landesparteitagen Landespolitiker über Landesthemen. Und die haben in normalen Zeiten wenig Strahlkraft über das jeweilige Land hinaus. Aber für die Sozialdemokraten sind diese Zeiten keine normalen Zeiten.

Von Christoph Gehring, Hans-Jürgen Bartsch, Matthias Günther |
    Immerhin ist ihnen vergangenen Sonntag nach nur zweieinhalb Jahren Amtszeit der Vorsitzende der Bundespartei abhanden gekommen, zerschellt an den Intrigen der Berliner Parteifreunde, zurückgeworfen in sein Bundesland. Rheinland-Pfalz. Hier ist er seit mehr als 14 Jahren Ministerpräsident und Landesvorsitzender der SPD. Hier sind seine Heimat und seine Machtbasis. Hier feierte der gescheiterte Bundespolitiker seine Wiederauferstehung als mächtiger Landesherr. Der Ort für den Landesparteitag der rheinland-pfälzischen SPD war beinahe symbolisch: Die Phoenix-Halle in Mainz. Die füllte sich ab neun Uhr mit 411 Delegierten und eine unüberschaubaren Zahl an Zuschauern, zumeist Unterstützern der Landespartei und ihres Vorsitzenden:

    "Ich finde das war net schlecht, dass der Landesvater wieder hier ist, bei uns. Sehr große Unterstützung!

    Die Stimmung ist nicht nur Aufbruch, sondern ich denke ein Zusammengehörigkeitsgefühl wird heut in einer besonderen Form hier geprägt werden. Nicht nur die Menschen hier auch im Land werden eigentlich erkennen, dass der Herr Beck mehr als nur ein guter Ministerpräsident ist.

    Die Unterstützung für Kurt Beck, ihn zu ermutigen, wieder genauso da anzuknüpfen, wo er in Rheinland-Pfalz aufgehört hat, mit voller Kraft direkt für Rheinland-Pfalz da zu sein. Ja, deswegen bin ich da, um ihm da Beifall zu zollen, für sein Engagement.

    Wir wollen ma sehn, wie Kurt Beck sich präsentiert, was er zu seinem Rücktritt sagt. Wie die Delegierten-Basis auf ihn reagiert."


    Und dann kam er - Kurt Beck. Sechseinhalb Minuten stehender Applaus für den von der Bundesbühne zurückgekehrten balsamierten dessen Seele.

    "Verehrte Gäste, liebe Genossinnen, liebe Genossen, schön bei euch zu sein! Ich bedanke mich sehr herzlich für diesen Empfang. Ich bedanke mich sehr herzlich für die Solidarität in den letzten Tagen!"


    Ein sichtbar gerührter Kurt Beck stand da in der Halle, einer der den Zuspruch seiner Landespartei wie ein Schwamm aufsog, nach den Monaten, in denen ihm auf der Berliner Bühne alles, was er anfasste, zum Fiasko geriet. Doch Berlin ist für den Pfälzer Geschichte, das zeigte seine Rede: Ein paar kurze Sätze über Wolfsrudel in der Politik und dann die besten Wünsche für den Kanzlerkandidaten Steinmeier und den designierten neuen, alten Parteivorsitzenden - dessen Name aber nicht fiel.

    "Ich will und werde mir nicht einreden lassen, dass es ein Vorzug in der Politik sei, wenn man den Umgang des Wolfsrudels miteinander pflegt. Ich finde, das sind Umgangsformen von Vorgestern, wir sollten sie überwinden. Mein Gruß und meine guten Wünsche gehen an diejenigen, die in Berlin die Aufgaben an der Spitze der Partei übernehmen werden und mein Gruß und meine guten Wünsche gehen insbesondere an Frank-Walter Steinmeier. Wir wollen die nächste Bundestagswahl miteinander gewinnen und alle Freundinnen und Freunde können sich darauf verlassen, dass der Landesverband Rheinland-Pfalz der stärkste Landesverband der Sozialdemokratie in Deutschland auch seinen Beitrag zu diesem Erfolg zur Bundestagswahl leisten will und leisten wird."
    Das war alles. Danach war alles Landespolitik: Kurt Beck referierte laut und lang und schwitzend über die Sorgen der Menschen im Lande und über die Lösungen, die seine Sozialdemokraten dafür anzubieten haben. Eine Rede von der Stange, Konfektionsware mit etwas für alle: Arbeitslosigkeit und Umweltschutz, Straßenbau und Krippenplätze, Weinexport und Globalisierung, Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. Nach normalen Maßstäben war das keine glanzvolle Rede, sondern eben eine von der Sorte, wie sie typisch sind für Kurt Beck: Nicht besonders konkret, nicht besonders geschliffen formuliert, nicht besonders neu. Aber den rheinland-pfälzischen SPD-Delegierten war das heute noch gleichgültiger als sonst. Von der einfachen Genossin, die als Gast gekommen war, über die stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Andrea Nahles bis hin zum rheinland-pfälzischen Landtagspräsidenten Joachim Mertes:

    "Ja, ich fand das war ne sehr große Rede, die er gehalten hat. Ich bin unglaublich stolz auf ihn. Ich bin total froh, dass wir ihn wieder hier haben! Die meisten hier wollten gar nicht so viel von Berlin hören, sondern Kurt Beck hören und hören, was er über die rheinland-pfälzische Politik zu sagen hat.

    Das war ne tolle Rede, also wo er die Kraft her genommen hat, das finde ich ganz toll. Aber ich weiß auch, dass es für ihn en Rückenhalt gegeben hat, auch von vielen Leuten, die geschrieben haben und ich glaub das hat das beflügelt. Und das ist ein sehr schöner Aufbruch gewesen in die zweite Hälfte der Legislaturperiode auch hier in Rheinland-Pfalz.

    Das war sicherlich die glanzvolle Wiederkehr des Ministerpräsidenten, den hier in Rheinland-Pfalz ja noch viele Aufgaben erwarten und der ja auch, wie man sieht, in seiner Partei wohl gelitten ist. Und mal ein bisschen bissig formuliert, das war eine Klatsche für die Bundes-SPD, sie hat gesehen, der Mann ist nicht dadurch verloren, dass wir ihm eine Intrige nach der anderen bereitet haben."

    Und während sie draußen im Foyer den Redner Beck rühmten, ergingen sich die Redner im Saal in Solidaritätsadressen an den großen Vorsitzenden.

    "Ich denke, mir ist das so gegangen, wie den meisten von euch. Am Sonntag saßen wir fassungslos vorm Fernseher. Wie und was da passierte, das ist ein einmaliger, ein unverschämter Vorgang und ich hoffe wirklich, dass er auch einmalig bleibt. Aber heute habt ihr gezeigt und heute wissen wir umso mehr, dass du, lieber Kurt, aus der ganzen Geschichte hier gestärkt hervorgegangen bist und jetzt erst richtig mal loslegst und zeigst, was wir hier in Rheinland-Pfalz leisten können."

    ... sagte die Bundestagsabgeordnete Doris Barnett. Und der Bürgermeister der Stadt Worms, Michael Kissel, sprach zwar in den Parteitagssaal, meinte aber doch die Bundesführung in Berlin, als er noch einmal den gewesenen Bundespolitiker Beck lobte.

    "Wir wissen, dass Kurt Beck in schwieriger Zeit sich in den Dienst unserer Partei gestellt hat, eine schwere Last auf seine Schultern geladen hat und dabei auch Pfeile auf sich gelenkt und manche Verunglimpfungs-Kampagnen der Berliner Medien tapfer vertragen hat. Respekt lieber Kurt! Wir hatten Verständnis dafür, dass du das Amt des Parteivorsitzenden niedergelegt hast, du hast damit deine persönliche Integrität gewahrt, deine Glaubwürdigkeit gewahrt und du hast damit auch das Amt des Parteivorsitzenden geschützt, lieber Kurt. Und insbesondere die Haltung, die Kurt Beck in den Tagen danach gezeigt hat, war ein Beleg für ein klares Profil, für Loyalität und für den Stil, der hier in Rheinland-Pfalz geprägt wird. Für Anstand und für Offenheit und du hast deine Werte, lieber Kurt, nicht geopfert und du hast dich nicht verbiegen lassen."

    So ging das Redebeitrag um Redebeitrag: Sie ließen Kurt Beck hochleben, als handele es sich nicht um einen erfolgreichen Landespolitiker, der sich eben in der Bundespolitik verhoben hat. Was die rheinland-pfälzischen Genossen an diesem Tag öffentlich und in Einzelgesprächen über den Mann aus der Pfalz sagten, kam einer Seligsprechung ziemlich nahe. Das Ergebnis seiner Wiederwahl zum Landesvorsitzenden war dann eigentlich keine Überraschung, wiewohl doch eine kleine Sensation:

    "Bei dem Wahlgang zum Vorsitzenden haben 411 Delegierte von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht. Gültig waren alle. Auf Kurt Beck entfielen mit `Ja´ 409 Stimmen. Somit ist der Landesvorsitzende mit 99,5 Prozent gewählt! Herzlichen Glückwunsch!"

    Und der so gerühmte, geehrte, geliebte? Der bemühte sich kurz nach dem realsozialistischen Wahlergebnis um Gelassenheit in jeder Hinsicht.

    "Ja, das ist schon schön, wenn man fast einstimmig gewählt wird, bei weit über 400 Delegierten und was mir noch wichtiger ist, ist in der Tat das hier zu spüren, das diese Partei will gemeinsam arbeiten und die kleinen Nicklichkeiten, die es überall gibt, werden hier nicht zu irgendwelchen Strafaktionen auf verdeckten Stimmzetteln gemacht. Und das was in Berlin abgelaufen ist, ist von mir kommentiert, dem will ich auch nichts mehr hinzufügen. Dass man persönlich, dass man menschlich immer Zeit braucht, um einen solchen Wechsel zu verarbeiten, dass will ich nicht in Abrede stellen aber das ist meine ganz persönliche Sache und ich bin gefestigt genug, das auch hinzubekommen."

    Das Ende als Neuanfang: Nach seinem Scheitern in der Bundespolitik war dieser Parteitag heute in Mainz für Kurt Beck die Wiedergeburt in seiner Rolle als Landesvater - die Rolle, die ihm ohnehin immer am besten gestanden hat. Und sein unseliger Ausflug in die Bundespolitik wird bald vergessen sein - in seinem Sinne und im Sinne der deutschen Sozialdemokratie.

    Was Kurt Beck in Rheinland-Pfalz, das ist Ralf Stegner in Schleswig-Holstein. Beide sind enge Vertraute, beide sind sie gebürtige Pfälzer. Stegner enthält sich bei der Abstimmung im Parteivorstand, als dieser Franz Müntefering Anfang der Woche zum Parteivorsitzenden vorschlägt. Stegner hätte es lieber gesehen, Beck wäre nicht zurückgetreten.

    "Ich habe ihn immer unterstützt, finde übrigens auch, dass Parteivorsitzende Loyalität und Solidarität verdienen. Ich habe ihn übrigens nicht unterstützt, weil Kurt Beck ein Partei-Linker wäre - das ist er mitnichten! Und daran sehen sie übrigens auch schon, dass diese Zuschreibung manchmal so fragwürdig sind, die sagen, der Stegner ist ein Linker, das isser durchaus in den Grundsätzen. Ich hab zwölf Jahre Regierungsämter gehabt, ich bin sehr pragmatisch und daran interessiert, Politik umzusetzen. Das passt alles in einen Kopf."

    Beck hatte auf dem Hamburger Parteitag im vergangenen Jahr die Agenda-Politik zurückgedreht. Eine Politik, für die nun wieder jene beiden Figuren stehen, die damals schon Gerhard Schröder beim Abbau der Sozialleistungen so sehr unterstützten: Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier. Und trotzdem trennen Beck und Stegner Welten innerhalb der eigenen Partei.
    Stegner, auch genannt "der rote Rambo", der die Annäherung an die Linkspartei ausdrücklich billigt - und Beck, der Gemäßigte, der die auseinander strebenden Flügel als Teamworker zusammenbinden wollte. Stegner, der wie die SPD-Linke Andrea Nahles spürt, dass weitere Flügelkämpfe die Partei noch mehr zerreißen werden, wendet sich daher mit all seinem Pragmatismus Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier zu, auch wenn er das ursprünglich nicht so wollte.

    "Selbstverständlich. Frank-Walter Steinmeier wird der nächste Bundeskanzler werden. Er wird viel besser sein als Frau Merkel und Franz Müntefering ist ein fulminanter Wahlkämpfer. Ist SPD pur. Die Leute mögen ihn, das ist prima, wir werden gemeinsam politisch arbeiten. Alle zusammen, in der Breite der Partei und mit den Weichenstellungen, die Kurt Beck noch ins Werk gesetzt hat, innerlich geschlossen und personell nach außen geschlossen. Dann geht's wieder auf die Erfolgsspur."

    Auf dem schleswig-holsteinischen Sonderparteitag in Lübeck ist Stegner trotz seines Lavierens heute zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2010 ausgerufen worden. Solcherart Aufbruchstimmung in stürmischen Zeiten ist vielleicht eher dem Tagesglück geschuldet. Ob es Schleswig-Holstein und die Bundespartei dauerhaft hold sein wird, darf indes bezweifelt werden. Trotz aller zur Schau gestellten Harmonie brodelt es in Lübeck schon wieder gewaltig unter der frisch gewaschenen sozialdemokratischen Kuscheldecke.
    "Wir halten es für das falsche Signal, mit Steinmeier als Kanzlerkandidaten und Müntefering als designierten Parteivorsitzenden gleich zwei ausgewiesene Verfechter der Schröderschen Agenda-Politik an die Spitze zu setzen."

    Mit diesen Worten stimmt der Lübecker Kreisvorstand einstimmig gegen das, was am vergangenen Wochenende am Schwielowsee entschieden worden ist. Er will andere Kandidaten als Müntefering und Steinmeier. Beide, so verfassen es die Lübecker Genossen in ihrer Resolution, verkörperten "nicht die gewünschte inhaltliche Veränderung für einen Neuanfang".
    Der Lübecker SPD-Chef Peter Thieß kritisiert die Parteispitze ganz offen im Deutschlandfunk.

    "Die Kritik an der Parteispitze ist zum Einen das Verfahren, das gewählt wurde. Wir kennen es in der sozialdemokratischen Partei auch anders. Wir haben Bundesvorsitzende schon in Mitgliederentscheiden gewählt. Auch vor dem Hintergrund dramatischer Ereignisse kann man eine Rückkopplung zur Basis vornehmen, das ist der eine Punkt. Der andere Punkt der Kritik ist, dass wir mit Frank-Walter Steinmeier sicherlich einen exponierten Kanzlerkandidaten auf den Weg bringen, der aber für eine politische Richtung in der Partei steht und mit Franz Müntefering aber eben auch jemanden haben, der eher auch dem rechten Flügel der Partei zugeordnet wird und als Volkspartei muss man auch aufpassen, dass man nicht flügellastig wird."

    Kehrt damit die alte "Kakophonie" zurück, die Vielstimmigkeit der widerstrebenden Meinungen unter den Genossen, die schließlich schon Gerhard Schröder zu Fall gebracht hat?
    Wie groß ist die Gefahr, dass auch oder gerade wegen der jüngsten Personalentscheidungen die Basis nicht in den Griff zu kriegen ist?

    "Die Partei hat ne Zukunft. Aber ich glaube, dass sie sich erstmal verkleinern wird, dass sie sich konsolidieren muss, dass sie inhaltlich arbeiten muss und dass wir nicht so weitermachen können, wie bisher. Also die inhaltliche Bestimmung muss doch grundsätzlich eigentlich so sein, dass die Leute wissen, was sie von der Sozialdemokratie zu erwarten haben. Das wissen sie zurzeit eben nicht immer.

    Nach dem Durcheinander in der Partei ist es erheblich besser. Die SPD weiß wieder, wer an der Spitze steht und wer dafür sorgt, dass das auch ordentlich weiter läuft. Die Partei ist in einer schwierigen Situation, das würd ihnen jeder andere hier ganz genauso sagen wie ich. Die Partei hat aber in vielen, vielen Jahrzehnten Methoden entwickelt, mit solchen Situationen, die sehr schwierig sind umzugehen und es wird sicherlich ihr gelingen, aus dieser ganzen momentanen Situation wieder herauszukommen.

    Wenn man innen diskutiert und nach außen einen Weg geht, dann ist das gut und das denke ich gibt Müntefering, da gibt er ne Richtung vor."

    So richtig trauen die Sozialdemokraten hier oben an der Trave dem von der Spitze verordneten Burgfrieden nicht. Da wiederum sind sie sich mit ihrem Spitzenmann Ralf Stegner einig. Einfach zur Tagesordnung übergehen, gar eine Wiederholung der Basta-Strategie, das dürfte die tief geschundene Seele der alten Volkspartei inzwischen nicht mehr heilen. Weil Ralf Stegner wie viele andere auch diese Gefahr erkannt hat, ruft er zu einem künftig fairen Umgang miteinander und zu neuer Geschlossenheit auf.

    "In der SPD muss es wieder Spaß machen, Politik zu machen und wir müssen dafür werben, dass unser altes Motto gilt: Wir ist viel besser als Ich. Und gemeinsam sind wir stärker, und Gemeinwohl geht vor Eigennutz, und wir haben viel mehr Chancen als unsere Vorgängerinnen und Vorgänger in 145 Jahren SPD-Geschichte. Wenn ich manchmal lese, wir seien am Tiefpunkt, kann ich nur sagen: Die Menschen haben wohl vergessen, wie viele in der SPD in Zeiten, wo wir verboten waren, wo wir verfolgt worden sind, die das viel schwerer hatten als wir, wir müssens nur wollen! Und uns anstrengen, dass wir vorankommen. "

    Doch reichen Worte, wenn geschehene Taten längst andere Erfahrungswerte liefern? Ängste und Hoffnungen mischen sich in den Blick auf die Zukunft der Partei. Auf eine Zukunft mit Müntefering und Steinmeier.

    "Da müssen zwei Linien vertreten sein und es sind also alles beide Basta-Leute.

    Viele sehen ja in diesem auch wieder die Ära Schröder so ein bisschen auferlebt. Ich persönlich sehe das als Chance, mit Walter Steinmeier hier einen starken Gegenkandidaten für Angela Merkel aufzustellen, der auch Bundeskanzler werden kann.

    Ich bin ganz optimistisch, dass wir jetzt wieder zur Ruhe kommen und uns den Sachthemen widmen können. Denke schon, dass man das Konzept der Agenda weiter verfolgen muss, was natürlich nicht heißt, dass man bei neuen Erkenntnissen auch mal Modifizierungen vorzunehmen hätte.

    Ich glaube, dass mit der Doppelspitze, auf die das jetzt zusteuert, wir an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen können.

    Es müsste einen inhaltlichen Diskurs geben, es müsste viel mehr innerparteiliche Demokratie und Mitbestimmung geben. Es müsste mehr auf die Mitglieder gehört werden. Es kann nicht so vieles von oben durchgeboxt werden."

    "Stark im Norden!" prangt es in weißen Lettern auf SPD-rotem Grund der Lübecker Kongresshalle. Und davor steht einer der zahlreichen ehemaligen Parteivorsitzenden. Einer, der seine noch früheren Vorbilder für einen zeitlosen Appell gebraucht. Björn Engholm:

    "Und das waren Willy Brandt, Helmut Schmidt und Herbert Wehner und von denen hab ich drei Dinge gelernt: Erstens habe ich gelernt - eine Partei muss in zentralen Fragen der Zukunft, der Ansprache der Wählerschaft gegenüber eine absolut klare Linie haben. Ein verwaschenes Profil ist der Beginn von Niedergang."

    Es muss ein Ruck durch die Partei gehen, sonst werde die Krise der vergangenen Jahre anhalten, ist allseits zu vernehmen.
    Also gibt es zu der Resolution der Lübecker Kreisgenossen eine Anti-Resolution des schleswig-holsteinischen Landesverbandes. Der Tenor: Rückendeckung für die nominierte neue Führungsriege. Fast scheint es, als seien da zwei Parteien in einem Saal am Werk, in Wirklichkeit aber kommt sie hier wieder richtig zum Vorschein: Diese seltsame Mixtur aus Basta, Kakophonie, rechter Bremse und linkem Flügelschlag. Die Sozialdemokratie in Deutschland zwischen Niedergang und neuem Aufbruch; wundgescheuert ist die Seele. Für den Lübecker Kreisvorsitzenden Peter Thieß kann es so nicht weitergehen.

    "Am Stil muss sich ändern, dass wir wieder stärker auch die Basis wahrnehmen, stärker auch die Sorgen und Nöte der Menschen aufnehmen und sie in konkrete politische Handlungen leiten. Die Agenda 2010 ist zu weit gegangen in ihren Auswirkungen. Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass die Armut bei uns steigt. In Lübeck beispielsweise haben wir zwei Stadtteile mit einer Kinderarmut von weit über 50 Prozent. Da nutzen die Konzepte bisheriger Art nicht, da muss ran."

    Andere Konzepte, neue Konzepte oder doch die alten in leicht veränderter Form: Die SPD sucht bereits danach - und muss sich doch erst einmal selber finden.