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Die "Spiegel"-Bestselleriste Sachbuch Mai 2007

Es ist wieder Zeit für den literarischen Menschenversuch im Deutschlandfunk. Was geschieht mit einem Gehirn, das Monat für Monat abwechselnd die zehn in Deutschland meistverkauften Romane und Sachbücher von der ersten bis zur letzten Seite tatsächlich liest?

Von Denis Scheck |
    In diesem Gehirn klart's auf - so jedenfalls der subjektive Eindruck des Probanden. Ob's wirklich an den Büchern liegt oder nicht doch am schönsten Frühling aller Zeiten oder gar an der konjunkturellen Aufhellung in Deutschland? Je länger ich lese, desto präzisere Vorstellungen gewinne ich jedenfalls von den tausend Masken der Dummheit: dem Feind. Der Feind, also unsere Frage in Gestalt, dieser Feind ist alles Puschelig-Knopfäugige, mit anderen Worten: der Feind ist ein kleiner knuddeliger Eisbär namens Knut und wohnt im Berliner Zoo. Hat denn niemand einen Baseballschläger zur Hand?

    Die aktuelle Spiegel-Bestseller-Liste Belletristik:

    " diesmal heilig, heilig, heilig: mit Büchern von einer Ex-Nonne, dem amtierenden Papst und einem Guru aus Italien sowie den Notizen eines Fernsehkomikers auf dem Jakobsweg, außerdem erörtern wir endlich mal die Frage von Nebentätigkeiten im Fernsehen, klären darüber auf, was wirklich hässlich macht und was Deutschlands Verderben ist und diskutieren die ewig umstrittene Reihenfolge von Brot und Gehorsam. "

    In diesem Monat bringen die zehn meistgelesenen Romane der Deutschen 5, Kilo und 472 Gramm auf die Waage: zusammen 3808 Seiten.

    " Platz zehn Christopher Clark: Preußen (Deutsch von Richard Barth, Norbert Juraschitz und Thomas Pfeiffer. Deutsche Verlags-Anstalt, 896 Seiten, 39,95 EUR) "

    Der australische Historiker Christopher Clark besitzt den manchmal so notwendigen Blick von außen auf die Geschichte von Glanz und Gloria, Aufstieg und Niedergang Preußens. Zudem schreibt Clark einen farbigen Stil und ringt den Stoffmassen seines fast 400 Jahre umfassenden Erzählraums einen furiosen Reigen so treffender biographischer Portraits und sprechender Anekdoten ab, dass sein Buch auch heute noch mit jedem deutschen Pass ausgehändigt werden sollte. Am Ende weiß man, dass Preußen nur insofern das Verderben Deutschlands genannt werden kann, als Deutschland eben auch das Verderben Preußens war.

    Pflichtlektüre für alle Deutschen auch auf
    " Platz neun: Thomas Buergenthal: Ein Glückskind (Deutsch von Susanne Röckel, 272 Seiten, 19 EUR 90) "

    Die Schilderung einer Kindheit unter der schwarzen Sonne des Holocausts: die Lebens- und Leidensgeschichte des 1934 geborenen Tommy Buergenthal, der als Sohn jüdischer Eltern das Ghetto von Kielce und die Konzentrationslager Birkenau und Sachsenhausen übersteht, hält nicht nur die notwendige Erinnerung an das grausamste Kapitel deutscher Geschichte wach. Sehr eindringlich fällt am Ende gerade die Darstellung aus, wie Buergenthal, inzwischen amerikanischer Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, mit seinem Wunsch nach Rache an den deutschen Tätern umgeht: ein Buch, das einer individuellen Biographie eine universale Weisheit abringt.

    " Platz acht: Petra Gerster: Reifeprüfung (Rowohlt Berlin, 228 Seiten, 19.90 EUR) "

    Auch wenn die Aufmachung nicht darauf hindeutet: dies ist nicht bloß eine weitere buchgewordene Nebentätigkeit einer Fernsehnase. Petra Gerster hat ein gedankenreiches Buch über die Folgen des Alterns für Frauen in einer jugendfixierten Gesellschaft geschrieben. Zusammen mit dem ganz und gar exzeptionellen Essay "Älter werden" von Silvia Bovenschen schützt die Lektüre besser als jede Faltencreme vor dem, was wirklich hässlich
    macht: der Dummheit.

    FUNK: Platz sieben: Eva Maria Zurhorst: "Liebe dich selbst und es ist egal wen du heiratest" (Arkana, 384 Seiten, 18.90 EUR)

    lädt ein zur Doppelbesprechung mit

    " Platz sechs: Sabine Asgodom: "Lebe wild und unersättlich" (Kösel, "
    191 Sieten, 14EUR 95)

    Sabine Asgodom gibt Tipps für die weibliche Selbstermächtigung zum Glücklichsein, Eva Maria Zurhorst für die Arbeit an Beziehungen. Niemand wird etwas gegen die Ziele dieser Ratgeber einwenden können. dass der Inhalt dieser Werke aber so deprimierend ähnlich wie der von zwei Telefonbüchern wirkt, liegt daran, dass beide Autorinnen nicht auf Deutsch, sondern in wattig-wolkigem Beziehungssprech schreiben, so dass Sätze aus Asgodoms Buch wie

    "Liebe dich selbst, sorge für dich, für dein Glück"

    genauso gut bei Zurhorst stehen könnten. Ulrich Wickert: Gauner muss man Gauner nennen (Piper Verlag, 320 Seiten, 19 EUR 90)

    Und weil das so ist, deshalb verzichte ich, allerdings mit Respekt, bei dieser Gelegenheit auch gleich auf jedes weitere Wort zu

    " Platz fünf: Ulrich Wickert: Gauner muss man Gauner nennen (Piper Verlag, 320 Seiten, 19 EUR 90) "

    " Platz vier: Tiziano Terzani: "Das Ende ist mein Anfang" (Deutsch von Christiane Rhein, 416 Seiten, 19 EUR 95) "

    Tiziano Terzani war ein Florentiner Journalist, unter anderem Asien-Korrespondent für den "Spiegel". Mit seinem Sohn hat Terzani vor seinem Tod vor drei Jahren lange Gespräche über seine Krebserkrankung, die er als "Geschenk" bezeichnet, seine Hinwendung zum Buddhismus und die so genannten letzten Fragen geführt. Manche Leser werden aus diesem Buch über das Sterben viel Trost ziehen können, in anderen wird es Bedauern und Reue auslösen. Ich für meinen Teil bereue nach der Lektüre vor allem jedes böse Wort, das ich je über den esoterischen Kitsch von Hermann Hesse geäußert habe.

    Platz drei: Veronika Peters: "Was in zwei Koffer passt" (Goldmann Verlag, 256 Seiten, 18 EUR)

    Der heilige Benedikt von Nursia fordert drei Tugenden von seinen Anhängern: Demut, Gehorsam und "Discretio", jener so schwer zu übersetzende lateinische Begriff, in dem "Unterscheidungsvermögen", aber auch ein wenig "Diskretion" mitschwingt. Veronika Peters war zwölf Jahre Nonne in einem Benediktinerinnenkloster. Über diese Erfahrung hat sie ein lesenswertes, fast diskretes Buch geschrieben, das frei ist von allen Abgeschmacktheiten, die so eine "Ich-war-eine-Nonne"-Enthüllungsgeschichte haben könnte.

    "Nicht ganz richtig, nicht ganz falsch"

    hat sich Veronika Peters im Kloster gefühlt: Ihr Buch ist eine schöne Lektüre für alle, denen es im Leben genauso geht.

    " Platz zwei: Hape Kerkeling: "Ich bin dann mal weg" ((Malik, 352 Seiten, 19.90 EUR) "

    Die spirituellen Erfahrungen eines Fernsehkomikers auf dem Jacobsweg: im Vergleich zu Veronika Peters' Buch nimmt sich Kerkelings Laufpass wie ein Fast-Food-Hamburger zu einem Menü in einem Sternetempel aus.

    " Platz eins der aktuellen Spiegel-Bestsellerliste Belletristik: "

    " Joseph Ratzinger alias Papst Benedikt der 16: "Jesus von Nazareth" "

    Apropos spirituelle Nahrung: auf Seite 63 seines Jesus-Buchs schreibt Joseph Ratzinger:

    "In dieser Welt müssen wir uns den Täuschungen falscher Philosophien widersetzen und erkennen, dass wir nicht vom Brot allein leben, sondern zuallererst vom Gehorsam gegen Gottes Wort."

    Zumindest die Reihenfolge von Brot und Gehorsam werden viele Hungerleider anders sehen.