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Die Sprache der 68er

Die 68er erregten Anstoß: Nicht nur wegen ihrer politischen Forderungen, sondern auch aufgrund ihrer Erscheinung und ihrer Sprache. Andiskutieren, ausdiskutieren, hinterfragen - das waren Schlüsselvokabeln dieses Sprachstils. Für den avantgardistisch-intellektuellen Sprachstil stand auch Rudi Dutschke.

Von Kay Müllges | 08.05.2008
    Wenn sie über den Berliner Kudamm oder die Frankfurter Zeil zogen ernteten die Demonstranten der außerparlamentarischen Opposition bei den Passanten nur Kopfschütteln - bestenfalls. Den langhaarigen und kurzberockten Arbeitsscheuen und Gammlern wurde auch gerne die Umsiedlung in den anderen deutschen Staat nahegelegt. Oder sie wurden darauf hingewiesen, dass es so etwas "unter Adolf" nicht gegeben hätte. Die 68er erregten Anstoß: Nicht nur wegen ihrer politischen Forderungen, sondern auch aufgrund ihrer Erscheinung und ihrer Sprache.

    Das, wie die Historiker sagen, lange Jahr 1968, denn die Revolte begann ja bereits 1966 und dauerte bis Anfang 1970 an, markiert eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Seine bekannteste Stimme war der Studentenführer Rudi Dutschke:

    " Jede radikale Opposition gegen das bestehende System, das uns mit allen Mitteln daran hindern will, Verhältnisse einzuführen unter denen die Menschen ein schöpferisches Leben ohne Krieg, Hunger und repressive Arbeit führen können, muss heute notwendiger weise global sein. Die Globalisierung der revolutionären Kräfte ist die wichtigste Aufgabe der ganzen historischen Periode in der wir heute leben und an der menschlichen Emanzipation arbeiten. "

    Rudi Dutschke war die markanteste Stimme der 68er und ihre entscheidende Polarisationsfigur:

    Aber war seine Art zu reden, in langen, mit Fremdwörtern gespickten Schachtelsätzen, auch typisch für die Sprache der 68er? Nein, denn die Sprache der 68er habe es eben nicht gegeben meint Sprachforscher Joachim Scharloth von der Universität Zürich.

    "Ich denke, dass es die nicht gibt, in dem Sinne. Sondern dass es eigentlich eher unterschiedliche Kommunikationsstile gibt. Teilweise hängen sie an Gruppen, also kommt der jenige, der da spricht aus dem SDS oder eher aus der Subkultur, aus der Kommunebewegung. Und zum anderen hängen die unterschiedlichen Stile auch daran, mit wem man spricht. Also spricht man mit dem politischen Gegner oder kommuniziert man untereinander. Spricht man mit Arbeitern oder dem Professor oder der Professorin. Und da zeigen sich doch enorme Unterschiede."

    Der avantgardistisch-intellektuelle Sprachstil, etwa eines Rudi Dutschke, war, so Joachim Scharloth, kennzeichnend für die politische Kommunikation innerhalb des SDS und hatte dort eine auch identitätsstiftende Funktion. Nach außen hingegen habe man einen Stil der skeptischen Verweigerung entwickelt. Andiskutieren, ausdiskutieren, hinterfragen - das waren Schlüsselvokabeln dieses Sprachstils. Wenn der Professor von der Kanzel herab seine Vorlesung hielt, forderten die Studenten eine offene Diskussion. In Gottesdiensten stiegen sie selbst auf die Kanzel, um mit der Gemeinde über den Vietnamkrieg zu diskutieren und so weiter. Markantester Ausdruck dieses Diskussionsfiebers war das Teach-In. Das Teach-In war eine politische Massendiskussion, in der nicht der Diskussionsleiter, sondern ganz demokratisch und repressionsfrei alle Teilnehmer über Inhalte und Verfahrensfragen entscheiden sollten. Das so etwas mitunter recht anstrengend sein konnte und manchmal Tage dauerte liegt auf der Hand. Und das die Diskussion, insbesondere mit politischen Gegnern, oft eher den Charakter von Tribunalen hatte und mit Niederbrüllen und Verbalinjurien endete, ist bekannt. Mit ihrer ungebremsten Diskussionsfreude und dem steten kritischen Hinterfragen altbewährter Begriffe, hätten die 68er aber durchaus einen sprachlichen Umbruch erzeugt, meint Martin Wengeler von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf:

    " Und das ist dann wiederum von der Gegenseite auch bemerkt worden, wodurch dann eben Biedenkopf 1973 auf dem CDU-Parteitag gesagt hat, als Generalsekretär, die Anderen, gemeint waren eben die neue Linke, 68er und auch das was in der SPD von denen übrig geblieben war, die haben die Begriffe besetzt und wir müssen die jetzt zurückerobern und wir müssen auch sprachlich wieder in die Offensive kommen."

    Noch nachhaltiger und tiefgreifender als die Umwidmung bestehender politischer Begriffe, so eine These der in Düsseldorf versammelten Linguisten, sei womöglich jedoch die Herausbildung einer subkulturellen Alternativsprache gewesen. Stilbildend dafür waren die etwa 30 Flugblätter der berühmten Kommune 1. Die hat Thomas Niehr von der RWTH Aachen untersucht:

    " Es geht da nicht so bierernst zu, wie bei den anderen, linken, studentischen Flugblättern. Da gibt's einen enormen Humor zu entdecken, einen Sprachwitz und einfach die Lust an der sprachlichen Provokation. Und das macht die wirklich lesenswert und ich finde wirklich zu Kleinkunstwerken."

    Der Kommunarde Fritz Teufel beispielsweise spielte - naheliegenderweise - gerne mit seinem Namen.

    Still schäm ich mich in meiner Zelle/ Fritz Teufel, Ausgeburt der Hölle.

    Schrieb er beispielsweise in einem Brief aus der Untersuchungshaft, in die er nach den Anti-Schah-Demonstrationen 1967 geraten war. Als die Kommune 1 wegen eines satirischen Flugblattes über eine Kaufhausbrandstiftung in Brüssel mal wieder in das Visier der Berliner Justiz geriet, antwortete sie in einem Flugblatt im besten Juristenstil so:

    Hiermit rufe ich die Berliner Bevölkerung auf, die unten angekreuzten Räumlichkeiten, welche zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dienen und zwar zu einer Zeit, während welcher Menschen in denselben sich aufzuhalten pflegen, in Brand zu setzen. Ich empfehle dazu unauffälliges Vorgehen.

    Das mit so einem gezielten Tabubruch auch die Grenzen des guten Geschmacks weit überschritten wurden steht außer Frage. Sicher ist aber auch, das der spielerische Umgang mit der Sprache einen nachhaltigen Einfluss auf die deutschen Sprachgewohnheiten hatte und sich nach und nach immer weiter durchsetzte. Auch und gerade in einem Bereich, der den 68ern so gar nicht behagte: dem Konsumterror.

    " Sexy, super, mini, flower, pop-up, Cola, alles ist in Afri-Cola. "