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Die Sprache des Islams
Arabisch lernen als Muslim

Im Islam sind Religion und Sprache untrennbar miteinander verbunden. Denn der von Gott geoffenbarte Koran sei von Mohammed auf Arabisch niedergeschrieben, so die Überzeugung. Was bedeutet das heute für Muslime, die sich intensiv mit ihrer Religion auseinandersetzen wollen?

Von Thomas Ibrahim | 09.12.2019
Koran und Gebetskette
Viele Muslime stellen sich die Frage, ob sie Arabisch lernen müssen (dpa / picture alliance / Roos Koole)
Der Gebetsruf macht es deutlich: Arabisch ist die Sprache des Islams. Und wen das noch nicht überzeugt, für den verweist der Koran selbst auf die Sprache, in der er verfasst wurde:
"Wir haben es zu einem arabischen Koran gemacht, auf dass ihr ihn verstehen möget."
Sure 43, Vers 3
Bei fast zwei Milliarden Muslimen weltweit, ein nicht ganz unumstrittener Punkt. Denn für Muslime, die keine arabischen Muttersprachler sind, stellt sich zwangsläufig die Frage: Muss der Koran im arabischen Original gelesen werden, damit er richtig verstanden werden kann? So oder so werden praktizierende Muslime beim Ausüben ihrer religiösen Pflichten mit der arabischen Sprache konfrontiert. Etwa beim Gebetsruf, Adhan genannt, oder beim rituellen Gebet, in dem die Suren ebenfalls auf Arabisch rezitiert werden.
"Ich will verstehen"
Allein deshalb müssen Musliminnen und Muslime, die keine arabischen Muttersprachler sind, sich wenigstens rudimentär mit der fremden Sprache auseinandersetzen. Und so bieten Moscheegemeinden häufig Koranunterricht an. Diese Stunden fokussieren sich jedoch oft auf die korrekte Aussprache und die Rezitationsregeln, die den arabischen Suren zugrunde liegen. Beim Gebet soll nichts Falsches gesagt werden. Mit herkömmlichem Sprachunterricht hat das Ganze aber meist wenig zu tun.
Es gibt aber auch Muslime, die sich intensiver mit ihrer Religion auseinandersetzen wollen und deshalb im Arabischen den Weg sehen, den islamischen Glauben besser zu verstehen.
"Ich will nicht nur Arabisch lernen, um eine schöne Koranstimme zu haben und um das flüssiger zu lesen: Ich will verstehen und sprechen."
Welche Übersetzung ist die richtige?
Yalcin Kaya ist 29 Jahre, hat dichtes, dunkles Haar, einen dichten, gepflegten Vollbart und sitzt mir im Konferenzraum seines Arbeitgebers gegenüber. Er ist:
"...geboren in Köln, Kölner, Kölner Türke, kölscher Türke."
Yalcin ist nicht religiös aufgewachsen und beschäftigt sich erst seit einigen Jahren mit dem Islam. In einer schwierigen persönlichen Zeit begann er sich für seine Religion zu interessieren. Kurz darauf entstand die Neugierde auf die arabische Sprache.
"Ich hatte ein, zwei deutsche Übersetzungen. Die habe ich gelesen, ja. Aber dann stand ich schon vor der ersten Herausforderung: Welche ist gut? Die einen von der Vereinigung sagen: Die Übersetzung ist super. Die anderen sagen: Die ist super. Und ich habe halt auch den Anspruch an mich gehabt, eigentlich wäre es schön, wenn du es selber verstehen könntest."
Ein Gedanke, den bestimmt schon viele Muslime hatten, aber die wenigsten von ihnen lernen am Ende wirklich arabisch. Wie viel Zeit und Mühe das erfordert, hat auch Yalcin erfahren.
"Ich bin sprachbegabt. Aber als erwachsener Mann - ich habe jetzt einen Sohn, eine Frau, Familie - ist es schwierig, die Zeit zu finden. Ich habe mich so arrangiert, dass ich jetzt extra morgens vor der Arbeit, bevor ich eigentlich aufstehe sonst, eine Stunde extra früher aufstehe und ein bisschen Arabisch lerne, weil ich merke, es funktioniert anders irgendwie nicht."
Selbständigkeit im Glauben
Das Interesse an der Religion sorgt im besten Falle für neue Motivation. Außerdem ermöglicht die arabische Sprache im islamischen Kontext mehr als das Lesen des Korans im Original. Der theologische Diskurs fand seit den Tagen der islamischen Urgemeinde in Mekka und Medina vorwiegend auf Arabisch statt. Die Sprache ist deshalb ein Schlüssel zu einem umfangreichen Fundus von Koran-Kommentaren und theologischen Schriften. Diese Beobachtung hat auch Yalcin Kaya gemacht.
"Wir treffen uns alle zwei Wochen, um so eine kleine analytische Herangehensweise an den Koran zu betreiben. Wir haben gemerkt: Hey, wir machen wenig, was Wissensaneignung unserer eigenen Religion angeht. Wir wissen, dass da Suren sind, Übersetzungen sind. Aber den historischen Kontext kennen wir nicht: Wie wurde das offenbart? Was war denn damals so Thema? Was sagen denn Koranexegeten dazu? Und das machen wir jetzt mit zwei Konvertiten, die halb Ungarn, halb Rumänen sind, aber in Deutschland aufgewachsen, sage ich jetzt mal, ich als Türke und dann der tunesische Kumpel. Und der Tunesier, der kann arabisch: Ihm stehen unglaublich viele Quellen offen. Die klassischen Kommentatoren, da kriegt er seine Hände an Bücher, die sind halt auf Arabisch geschrieben. Da habe ich gemerkt, wie limitiert wir sind."
Eine Limitierung, die natürlich nicht daran hindert, den Islam zu praktizieren. Arabischkenntnisse machen nicht automatisch einen guten Muslim. Aber Yalcin Kaya hat einfach den Eindruck, die Sprachbarriere erschwere es ihm, komplette Selbstständigkeit im Glauben zu erlangen. Selbst die arabischen Worte lesen, sie im Zweifel nachschlagen können - diese Fähigkeit emanzipiert ihn als gläubigen Muslim von der Notwendigkeit, den Koran durch eine andere Person vermittelt zu bekommen.
"Das ist noch mal näher, unverfälschter"
"Gerade in unserer türkischen Kultur ist es leider so: Man richtet sich mehr an Oberhäupter und an Leute, von denen man denkt, die haben Ahnung, und macht sich nicht die Mühe, selber mal nachzuschlagen. Und das ist etwas, dafür habe ich kein Verständnis. Dann können die am Ende blind den Koran lesen oder können das schön lesen, wissen nicht was sie sagen und das ganze Wissen, was sie haben, ist von einem Imam. Und da, finde ich, müssten die Leute mehr hinterfragen. Ich hoffe, da landen wir auch irgendwann. Die neue Generation ist ja nicht so, ich höre mir das an, lasse mich berieseln und plappere das dann nach. Sondern die sind wissbegierig."
In einer Zeit, in der innerhalb und außerhalb des Islams jeder zu wissen glaubt, was diese Religion ausmacht, in der unzählige Gruppen und Personen die Deutungshoheit für sich beanspruchen, war es für Yalcin Kaya eine nicht notwendige, aber logische Konsequenz, sich direkt auf den Koran und seine Sprache zu konzentrieren.
"Für mein Islamverständnis hat es sehr viel mehr gebracht, mir selbst ein Bild zu machen. Immer mal wieder die Meinungen von den großen Exegeten oder von einigen Predigern sich anzuhören und zu gucken: Hey, kann ich das vereinbaren für mich oder nicht? Aber das gibt einem schon so ein bisschen das Gefühl: Okay, das ist noch mal näher, unverfälschter."