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Die Sprache macht den Mensch

Die Sprache drückt Emotionen, Gefühle und rationale Prozesse aus - und ist sogleich die Grundlage unserer komplexen sozialen Systeme. Auch wenn die Sprache sich aus Tierlauten entwickelt hat, unterscheidet sie den Menschen von den übrigen Lebewesen. In dem Buch "Warum der Mensch spricht" gelingt es Ruth Berger, einen naturgeschichtlichen Abriss der Sprache zu vermitteln: seriös und zugleich humorvoll.

Von Anja Dürrmeier | 09.01.2009
    Die Grundfrage stellten sich nicht nur Herder und Kant: Ist Sprache Natur oder Kultur, Instinkt oder Erfindung? Antwort aus naturwissenschaftlicher Sicht gibt nun Ruth Berger in ihrem Buch "Warum der Mensch spricht. Eine Naturgeschichte der Sprache". Die Sprachwissenschaftlerin hat nicht nur Hebräisch, Englisch und Turksprachen studiert, sondern auch Biologie. Ihre Magisterarbeit schrieb sie dann über die Geschichte der Anthropologie und war somit bestens gerüstet, sich dem Thema Sprache interdisziplinär zu nähern.

    "Mit dem Interdisziplinären, das ist ungemein wichtig bei dem Thema Sprache, weil das natürlich was sehr Komplexes ist, wo sehr viele Bereiche, von Sozialwissenschaften über klassische Sprachwissenschaften, über Neurowissenschaften, allgemeine Biologie, Verhaltenswissenschaften, Genetik, Paläoanthropologie, alle Beiträge liefern, und das ist natürlich ein Ziel gewesen, dass ich versucht habe, nicht aus einem Fach nur das zu betrachten, sondern zusammenzusuchen, was die verschiedenen Fächer in den letzten Jahren für Erkenntnisse hatten."

    Und da gab es in den letzten zehn, 15 Jahren tatsächlich viel Neues. Noch Mitte der 90er Jahre ging der Kognitionswissenschaftler Steven Pinker in seinem Bestseller "Der Sprachinstinkt" von einem angeborenen abstrakten Sprachwissen aus, das vom Kleinkind nur noch abgerufen werden müsste - ein rein genetischer Determinismus also.

    Heute weiß man aber, dass es keine vorprogrammierte "Universalgrammatik" gibt, wie das Pinker und andere Schüler des amerikanischen Linguisten Noam Chomsky lange postulierten. Es gibt zwar durchaus ein "Sprachgen", das steuert jedoch erst die Entwicklung eines wichtigen Hirnbereichs, der Basalganglien. Die sind zuständig für Feinmotorik und Artikulation und neben dem Broca- und dem Wernicke-Areal entscheidend für die Sprache. Dazu kommt noch der vordere cinguläre Cortex, Teil des Gefühlshirns, der Gefühle mit Denken, rationalen Überlegungen und äußeren Eindrücken abgleichen kann. Eine Region, die auch bei Tieren für die Kommunikation zuständig ist. Bei der Recherche fand Ruth Berger heraus, dass Sprache tatsächlich aus Tierkommunikation hervorgegangen ist, was lange umstritten war:

    "Unterschiedliche Tiere haben ihre eigenen Sozialsysteme und ihre eigenen Signale, die sie verwenden, um diese sozialen Systeme zu organisieren, und beim Menschen ist es so, dass die Lautkommunikation irgendwann eine ganz erhebliche Rolle bekommen hat. Das hat möglicherweise etwas damit zu tun, dass Menschen eine natürliche Neigung haben, kooperativer zu sein als Affen, und mehr davon auszugehen, dass andere ihnen nutzen, als dass sie ihnen schaden wollen. Das zeigen Experimente. Und um das zu befördern, ist es vielleicht sinnvoll gewesen, die soziale Kommunikation und soziale Bindung zu intensivieren."

    Weit mehr als der Affe ist der Mensch dank des cingulären Cortex in der Lage, seine Gefühle zu kontrollieren, zu lügen oder auch zu heucheln. Das erlaubt es ihm, im Guten wie im Bösen, in sehr großen Gruppen zusammenzuleben. Auch sorgt die Sprache dank des gleichen Wort- und Erfahrungsschatzes für den Zusammenhalt einer Gesellschaft.

    Als Voraussetzung für das Sprechen dient dem Menschen dabei nicht nur die Intelligenz, auch anatomisch besitzt er alles Notwendige: Neuere Untersuchungen an spanischen Urmenschen zeigen, dass bereits vor 600.000 Jahren der Gehörgang so geformt war, diejenigen Frequenzen weiterzuleiten, die uns die Konsonanten erkennen lassen, was uns ermöglicht, den sprachlichen Code äußerst differenziert zu gestalten. Die Urform der Sprache reicht sogar noch weiter zurück, mindestens 1,8 Millionen Jahre. Denn um sprechen zu können, muss der Mensch seinen Atem kontrollieren, und das geht dank erweiterter Nervenkanäle in den Wirbelknochen, die man schon beim Vorfahren des Homo sapiens findet, dem Homo ergaster. Affen hingegen haben keine Atemkontrolle, weshalb ihr Lachen ähnlich wie Keuchen klingt:

    "Das liegt daran, dass sie in ihrem normalen Atemrhythmus lachen, jedes Mal, wenn sie ausatmen, geben sie dann so eine Art Stöhnlaut von sich, während wir, wenn wir lachen, so ähnlich wie wir sprechen, einen ganz langen Atem- beziehungsweise Ausatmen-Vorgang haben, den wir dann modulieren mit der Stimme. Und deshalb kann man bei uns Lachen sehr viel besser unterscheiden von Keuchen oder anderen angestrengten Atemvorgängen."

    Was dazu führte, dass Versuchspersonen beim reinen Hören die Affenlaute nicht für Lachen, sondern für Sex hielten. Und das liegt durchaus nahe, denn mit dem Sprechen geben Menschen auch Auskunft über ihre biologische Fitness:

    "Also, man darf das jetzt nicht so missverstehen, dass es sich nur auf die sexuelle Fitness bezieht, das wird ja gerne in den Medien so dargestellt, dass Männer sprechen, damit Frauen auf sie fliegen. Das mag auch zutreffen, gelegentlich. Aber immer, wenn wir sprechen, zeigen wir erstmal grundsätzlich, dass wir überhaupt geistig gesund sind und eben in der Lage zu sprechen. Das ist was neurologisch sehr Anspruchsvolles, was sehr viel mit ganz komplizierter Feinmotorik und Lernprozessen zu tun hat. Wenn wir mit anderen Menschen kommunizieren, dann verwenden wir ein Vokabular, das bestimmte Dinge über uns aussagt, und wir zeigen auch anhand der Grammatik, die wir beherrschen, wie belesen oder intelligent wir sind, und wir können über die Sprache auch andere Menschen gut einschätzen, und wenn jemand dieses Medium, womit man so ein bisschen angeben und was über sich aussagen kann, nicht gut beherrscht, dann hat der natürlich Nachteile, indem er zum Beispiel weniger oder weniger gute Kooperationspartner oder auch Geschlechtspartner bekommt."

    Fast wie im übrigen Tierreich also? Rangordnung, Fitness - auch den emotionalen Zustand, die Stimmung und die Gesinnung kann man an der Sprache ablesen. Doch zur Natur gesellt sich die Kultur: Über 90 Prozent dessen, was wir täglich von uns geben, dient nicht dem Vermitteln von Inhalt, sondern dem sozialen Ritual, so Ruth Berger:

    "Da sind zwei Leute, die reden miteinander, aber es geht eigentlich gar nicht so sehr um das, was inhaltlich ausgetauscht wird, sondern es geht darum, dass die beiden ihre Beziehung entweder aufbauen oder verstärken oder intensivieren oder einfach bestätigen, dass die weiterhin besteht diese Beziehung. Das passiert eben darüber, das man mit jemandem redet, und wenn man nicht mehr mit jemandem redet, dann hat man diese Beziehung aufgekündigt."

    Ohne Sprache also keine dauerhaften sozialen Bindungen. Der vieldiskutierte "Sprachinstinkt" zeigt sich in der emotionalen Einstellung des Menschen, in seinen dialogischen Riten, sagt Ruth Berger: Angeboren ist nicht eine Universalgrammatik, sondern der Wille zur Kommunikation.

    Dass die Autorin keiner Schule anhängt, gereicht ihrer Untersuchung zum Vorteil. Sie zeigt den "Link" zwischen Sprache und Monogamie, ebenso wie den "Missing Link" der Sprachforschung: Wie man bis heute bei den sogenannten "Lall-Duetten" zwischen Mutter und Kind die Entwicklung der Sprache im Verlauf der Evolution nachvollziehen kann. All das macht Ruth Berger auf ebenso verständliche wie unterhaltsame Weise deutlich, gibt dabei einen klaren Überblick über den neuesten Stand der Forschung - die Literaturliste weist 450 Titel auf - und hat ihr komplexes Thema bestens im Griff.

    Nur eines vermisst der Leser auf seiner Reise durch die Evolutionsgeschichte der Sprache: Abbildungen, denn welcher Laie kann sich sofort die unterschiedlichen Hirnareale vorstellen? Da hat der Verlag leider gespart. Dennoch: Ruth Berger gibt mit "Warum der Mensch spricht" ein hervorragendes Beispiel, wie man komplizierte wissenschaftliche Zusammenhänge seriös und humorvoll zugleich vermitteln kann. Und sie zeigt: Die Sprache ist nicht durch zufällige Mutationen entstanden - sie hat die Entwicklung des Menschen, seines Gehirns und seines Verhaltens, entscheidend geprägt.

    Ruth Berger: Warum der Mensch spricht
    Eine Naturgeschichte der Sprache

    Eichborn Verlag, 304 Seiten, 19,95 Euro