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Die Spur der Steine

Lego-Spielsteinen sind in den letzten Jahrzehnten nicht nur unzählige Kinder verfallen. Auch Erwachsene greifen mitunter exzessiv zu den dänischen Noppenklötzen. Bei der "Steinewahn"-Ausstellung in Berlin kamen rund tausend von ihnen zusammen.

Von Andreas Becker | 19.08.2013
    Der Organisator der Lego-Ausstellung steht stolz im ersten Stock und hat einen guten Überblick über die Kreationen der erwachsenen Lego-Freaks, die aus ganz Deutschland angereist sind.

    Manche von ihnen besitzen Millionen von Steinen. Ein Drittel der Aula wird von diversen Eisenbahnen eingenommen. Das Besondere: Die Bastler haben sich auf einen gemeinsamen Standard bei der Spurweite geeinigt, sodass sie ihre Bahnen ohne Probleme zusammenfügen können. Diverse Züge zuckeln durch riesige bunte Bahnhöfe und Legostädte.

    Andreas Reikowski, zählt die Bahnbetreiber, die sogar auf einen Fantasie-Brand vorbereitet sind:

    "Der Herr von der Feuerwehr Fahrnheim hat einen Feuerwehrzug gebaut, der hier seine Kreise zieht. dieser Zug rückt aus, begleitet von zahllosen Feuerwehrfahrzeugen das ist das, was das Hobby ausmacht. Ich glaube, wir sind ein bisschen kindisch, aber man kann das nicht ernst genug nehmen."

    Neben einem Big Ben-Nachbau, noch einer Eisenbahnanlage und der Berliner Siegessäule, einer Star Wars Ecke und einem Mondflugfahrzeug gibt es auch ein großes, graues Flugzeug – natürlich nicht verleimt, sondern nur durch Noppen verbunden. Sehr sensibel für Berührungen. Grade nähern sich ein paar Kinder dem grauen Objekt:

    "Das ist die Do-X, ein Flugboot. Das größte Flugboot der Welt, das man nicht anfassen darf. Wir haben hier wenig Absperrungen. Das ist ein Experiment."

    Maik Schenker aus Glauchau in Sachsen, hat den höchsten Bismarckturm Deutschlands – im Original 38 Meter - aus gelben Legosteinen nachgebaut. Höhe des Modells: eins-vierzig. Planungszeit: rund zwei Jahre. Auch der Turmbauer lehnt Klebstoff kategorisch ab:

    "Und die Frage ist immer: was ist bautechnisch möglich. Die ganzen Sockel, die Steine stehen alle auf dem Kopf, die Noppen sind alle nach unten gekehrt."

    Früher war es ein großer Aufwand, die Steine für einen solchen Turm zusammenzubekommen. Aber heute gibt’s ja einen florierenden, weltweiten Gebraucht-Steine-Markt.
    Der Turmbauer Schenker, erinnert sich noch gut an die Zeiten vorm Mauerfall. In der DDR gab‘s kein Lego, aber eine Kopie:

    "Ich bin gelernter DDR Bürger, wir hatten also bis zur Wende die Möglichkeit nicht."

    Frage: "Gab's so eine Art DDR-Lego?"

    "PB hieß das, war fast das gleiche Abmessungssystem. Aber die Qualität war wesentlich schlechter. Muss man einfach so sagen."

    Kein Kinderspiel: Das Berliner Stadtschloss aus Legosteinen


    Software-Entwickler Ralf Klasing hat eine Landschaft aus Phantasie-Burgen aufgebaut, an der während der Steinewahn-Show weiter gebastelt werden darf. Klasing ist erst als Erwachsener wieder eingestiegen und hatte dabei ein großes Handicap:

    "Ich bin jetzt gute 40 und bin mit 20 wieder eingestiegen. Ich hab die unangenehme Charaktereigenschaft gehabt, dass ich auf Lego rumgekaut habe. Ein Großteil meiner Kindheitsvorräte war quasi unverbaubar."

    Diese Bestandslücke hat der Legobauer aber inzwischen längst wettgemacht. Seine Steine, schätzt er, besitzen den Wert eines Mittelklassewagens:

    "Die letzte Schätzung ist irgendwie ein paar Monate alt, da hatte ich eine halbe Million Teile, damit bin ich im Mittelfeld. Ich kenne Bekannte von mir, die sind bei drei Millionen und höher.
    Irgendwer hat mal gesagt, ein Stein wiegt zwei Gramm, das heißt, ich habe eine Tonne Lego. Ich hab eine Garage voll, zwei Kellerräume, ein Dachboden. und in der Firma, wo ich arbeite einen Aktenschrank mit ein paar Sets belegt."

    Für diese Welt der großen Kinder, interessieren sich auch Jüngere. Zwei Schüler einer AG, haben eine bunte Phantasiestadt in schwarz-gelb gebaut:

    ""Wir haben eine kleine Stadt gebaut, da wird grade eine Bühne aufgebaut, weil da ein Konzert stattfinden soll."

    Frage: "Wie findet Ihr Erwachsene, die so ernsthaft mit Lego spielen?"

    "Na ja, von Spielen kann man da nicht wirklich reden. Ich meine, jeder hat seine Hobbys, manche sammeln ihr ganzes Leben lang Briefmarken, manche bauen ihr ganzes Leben Lego."

    "Einerseits kann man die Sache nicht ernst genug nehmen. Es ist eigentlich ein Kinderspielzeug! Man muss die Kirche im Dorf lassen."

    In Zeiten des Internets ist die weltweite Vernetzung der AFOLs einfach, trotzdem gibt es bei der Steinewahn auch noch einen Händler, Lutz Plätert aus Kiel, der auch diverse, teils wertvolle ältere Sets im Angebot hat. Und bunte Tütchen:

    "Das sind 500 Gramm, dieses mach ich immer in Gramm, dann hab ich genau den Preis, den ich da anbieten kann, das hier sind neun Euro, aber halt sortiert, immer nach Farbe sortiert."

    "Wir haben einen Internetshop, der hat eine Million Teile, aber ich schätze, das sind noch mal fünf Millionen."

    Ausstellungs-Organisator Reikowski hat längst die mathematische Formel rausgefunden, die für alle Lego-Süchtigen gilt:

    "Der Steinbedarf ist der Steinbestand größer gleich minus eins. Mit anderen Worten: Es fehlt immer mindestens ein Stein."