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Die Staatsfinanzen und der Traum, eine Ballerina zu sein

"Das sowjetische Ballett führt den Planeten an", hieß es im Russland der 50er und 60er Jahre. Und vor der Stange im Ballettsaal kamen sie die auf die großen Bühnen der Welt: russische Tänzer, die schon zu Lebzeiten Legenden waren wie Nurerejew oder die Pawlowa. Damals wurde das klassische Ballett staatlich gefördert als Propaganda-Instrument für die Massen, auch wenn ihre großen Tänzer nicht immer in der Sowjetunion blieben und sich nach Auftritten im Westen nach London oder Paris absetzten. Auch wenn sich seit Pawlowas Zeiten viel geändert hat, träumen viele junge Russinnen noch den Traum der Primaballerina im Bolschoj. Von Andrea Rehmsmeier.

    Das Opernhaus in Nowosibirsk. An diesem Abend steht die Oper "Mozart und Salieri" von Rimskij-Korsakoff auf dem Programm - das Singduell zweier Komponisten, dazwischen gibt es Tanzeinlagen. Der "Tod" wird dargestellt von einem schwungvollen Tänzer mit schwarzem Kapuzenmantel. Die Muse "Fortuna" dagegen ist biegsam und sehr grazil. Eine winzige weiße Gestalt mit unbewegtem Gesicht und würdevoller Anmut. "Fortuna", das ist dem Programm zu entnehmen, wird getanzt von der 13-jährigen Glafira Grigorieva, genannt Glascha.

    Nach der Aufführung wird gefeiert. Glascha geht mit ihren Eltern in ein Restaurant. Auch die sind Profi-Tänzer. Vassilij Grigoriev ist ein bekannter Solist am Moskauer Bolschoj-Theater, Mutter Marina tanzt im Nowosibirker Ensemble. Glascha führt die Familientradition fort: Sie besucht eine Ballettschule für Hochbegabte. Für ihre 13 Jahre ist sie auffallend dünn, ihr kindlicher Körper zeigt noch keine weiblichen Rundungen. Doch ihre Augen strahlen, wenn sie von ihrem Traum erzählt, eine Ballerina zu werden.

    " Ja, ich will unbedingt! Es ist doch der Beruf meiner Eltern! Ich muss einfach zum Ballett! Meine Mutter war dagegen, sie hat mich gewarnt. In die Ballettschule zu gehen, hat sie mir verboten. Aber ich habe sie überredet. Mir gefällt es so gut in der Schule! Ich möchte nichts lieber als eine gute Ballerina werden. Ganz klassisch. Moderne Tänze mag ich nicht, die sind mir zu unweiblich. Ich möchte tanzen und berühmt werden. Dann will ich nach Europa gehen. Und wenn ich reich werde, will ich in einem Haus wohnen, das am Ufer des Meeres liegt! "

    Marina und Vassilij schauen sich besorgt an. Der Ballettbetrieb, das wissen sie aus eigener Erfahrung, ist im heutigen Russland ein täglicher Überlebenskampf. Das Ehepaar hat den tiefen Fall seines Berufsstandes selbst erlebt.

    " Vieles hat sich verändert in den vergangenen Jahren, die Kultur spielt heute für den Staat einfach keine Rolle mehr. Zur Sowjetzeit war das Ballett die Visitenkarte der Gesellschaft. Das sowjetische Ballett führt den Planeten an, hieß es damals. Dann kam der Zusammenbruch. Heute hat unsere Regierung mit Kultur nicht mehr viel im Sinn. Die Theater versuchen, irgendwie zu überleben, die brauchbaren Tänzer haben längst Engagements im Westen. Nun ja, seit zwei Jahren gibt Putin wieder etwas mehr Geld für die Kultur aus. Aber ich glaube, er hat einfach Glück, dass der Ölpreis gerade so hoch ist. Da hat er zufällig was übrig. Mit solider Kulturpolitik hat das nichts zu tun."

    In den krisengeschüttelten 90er Jahren wurde die staatliche Förderung für die Theater weitgehend eingestellt. Die Ballett-Elite wanderte aus. Auch Vladimir hatte schon Engagements in aller Welt. Aber auswandern - dazu hat das Ehepaar Grigoriev sich nie durchringen können. Auch wenn sie fürchten, dass die einst legendäre russische Kulturszene heute keine rosigen Berufsperspektiven mehr bietet.

    " Jetzt steht uns eine Theaterreform bevor. Die Häuser sollen sich selber tragen - aber wie soll das gehen? Hier kommen wir nicht mit einer so kargen Ausstattung aus wie im Westen. Die Russen lieben pompöse Bühnenbilder und Kostüme. Und in Stücken wie Don Quichotte, Schwanensee oder Dornröschen spielen Dutzende Menschen. Wie teuer muss da eine Eintrittskarte sein, damit sich das rentiert? Das wird das Ende vieler Theater sein. Aber darüber denkt unser Kulturministerium nicht nach."

    Das hat Marina auch ihrer Tochter erzählt - vergebens. Glascha schmollte und bettelte ein halbes Jahr lang, bis die Eltern sie schließlich doch in der Talentschule anmeldeten. Denen bleibt jetzt nur die Hoffnung, dass die junge Ballettgeneration den maroden russischen Kulturbetrieb mit neuem Leben füllt. Doch auch in dieser Beziehung hat Glascha eigene Pläne. Fragt man sie, wo sie einmal leben möchte, dann hört man viele Städtenamen. Nowosibirsk ist nicht darunter.

    " Im Ausland gefällt es mir besser als in Russland. Ich war schon oft in Deutschland, besonders in Dresden und Düsseldorf hat es mir gefallen. Noch besser fand ich Holland - Amsterdam ist einfach toll. Auch Moskau kenne ich gut. Aber da ist es mir zu schmutzig. Europa kommt mir irgendwie zivilisierter vor."