Jörg Münchenberg: Herr Steinbrück, schon lange waren die Prognosen, aber auch die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung nicht mehr so gut wie in diesen Monaten. Die Arbeitslosenzahlen gehen zurück, die Wachstumsperspektiven sind mehr als erfreulich. Die Menschen geben auch wieder erheblich mehr Geld aus, und die Steuereinnahmen steigen und steigen. Eigentlich muss man sagen, Sie haben doch als Finanzminister im Augenblick den schönsten Job in dieser Koalition!
Peer Steinbrück: Ja, Sie haben Recht. Man kann sich freuen über diese Entwicklung. Die geht zurück auf eine Reihe von Einflussfaktoren. Die Wirtschaft ist viel wettbewerbsfähiger geworden, wir haben es mit sehr guten Lohnstückkostenentwicklungen zu tun. Die Politik darf sich nicht die Federn an den Hut stecken, aber die Politik hat mitgewirkt an dieser Entwicklung. Ich freue mich darüber, zugegebenermaßen. Allerdings, bei den in Rede stehenden Zahlen, meine Steuerschätzer werden mit um die 90 Milliarden Euro in die aktuelle Steuerschätzung hineingehen nächste Woche, da muss man wissen, was man alles gegenrechnen muss.
Münchenberg: Sie sagen jetzt 90 Milliarden. Das ist aber nur die Zahl für den Bund. Insgesamt wird es sogar noch mehr sein.
Steinbrück: Für alle Gebietskörperschaften, sprich für Bund, Länder und Kommunen, werden es wahrscheinlich an die 200 Milliarden Euro sein. Das ist eine fantastische Zahl. Über die freue ich mich, nur man darf nicht besoffen werden, man darf die Bodenhaftung nicht verlieren. Ich muss gegenrechnen, dass 13 Milliarden beim Bund bereits im Haushaltsplan drin sind, und dass mindestens vier Positionen an die 40 Milliarden Euro Belastungen darstellen, die ich abziehen muss. Also zum Beispiel die noch zu finanzierenden Zuschüsse an die Krankenversicherung. Zum Beispiel die zu finanzierenden Kosten der Unterkunft für die Kommunensätze zusätzlich, der ausfallende Aussteuerungsbetrag der Bundesanstalt für Arbeit vor dem Hintergrund der erfreulichen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, und auch mit Blick auf eine andere Position der Arbeitsmarktpolitik, eine realistischere Veranschlagung von ALG II-Zahlungen.
Münchenberg: Lassen sie uns zu den Ressortwünschen, aber auch den Konsequenzen gleich noch einmal kommen. Zunächst einmal will ich auf die Defizitquote zu sprechen kommen, die Sie ja nach Brüssel schon gemeldet haben für dieses Jahr. Für dieses Jahr 1,2 Prozent, das soll ja dann kontinuierlich runter gehen. Jetzt bei diesen fantastischen Zahlen, da kommen Sie schon in diesem Jahr locker unter die 1,2 Prozent.
Steinbrück: Ja, wir werden eine Zahl bekommen, nach der wir auch dieses Jahr die faktische Nettokreditaufnahme weiter absenken können. Da muss man sehen, wo wir dann an anderer Stelle mehr Belastung haben. Aber ich bin sicher, wir kommen noch mal deutlich runter. Sie wissen, wir hatten im letzten Jahr die niedrigste Neuverschuldung schon nach der deutschen Wiedervereinigung. Und das Kabinett steht dann in Rede, auch für die kommenden Jahre eine Entscheidung zu treffen, in welchem Umfang die Nettokreditaufnahme weiter abgesenkt werden soll, und auf der anderen Seite aber auch dem gestaltenden Anspruch dieser großen Koalition Rechnung getragen werden soll. Ich bin ja dafür, dass wir beides tun, auf der einen Seite zu konsolidieren, wir müssen auf eine Nullverschuldung kommen, und auf der anderen Seite aber Impulse für Wachstum und Beschäftigung zu geben. Das war eine richtige Strategie seit Gründung der großen Koalition, und sie spiegelt sich auch in den günstigen Zahlen wieder.
Münchenberg: Sie sind ja, was jetzt auch die Zeitachse angeht, wann der Bund wieder mit null Euro Neuschulden auskommen wird, sehr vorsichtig. Jetzt gibt es einen Beschluss auch der EU-Finanzminister - 2010 hat man da angepeilt. Noch mal: Angesichts dieser gewaltigen Zahlen, die jetzt da im Raume stehen, könnte das doch durchaus schon deutlich früher gelingen.
Steinbrück: Das will ich nicht ausschließen. Nur, Sie wissen, dass Politiker sich selber schon sehr häufig einen ziemlichen Tort mit Ankündigungen gemacht haben. Einer meiner Vorgänger hat eine solche Ankündigung bereits getroffen. Deshalb bin ich sehr zurückhaltend. Das bedeutet nicht, dass ich da ohne Ehrgeiz bin. Ich glaube, wir müssen in der überschaubaren Zeit der nächsten Jahre, auch mit Blick auf die nächste mittelfristige Finanzplanung, auch für den Bund auf Null runter. Sie haben Recht, der gesamtstaatliche Haushalt, also bezogen auf Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherung wird bereits eine strukturelle Defizitquote haben von Null im Jahre 2010. Das ist mehr denn je realistisch vor dem Hintergrund auch der zu erwartenden günstigen Steuerschätzung in wenigen Tagen.
Münchenberg: Wenn man jetzt aber auch vom Bund vielleicht einen konkreten, früheren Termin sagen würde - das würde doch den Spardruck innerhalb dieser Koalition ein Stück weit verstärken.
Steinbrück: Wenn ich nur um wenige Millionen abweichen würde, dann wird mir diese Ankündigung wie eine Schlinge um den Hals gelegt, insbesondere von Ihrer Branche. Und deshalb bin ich da vorsichtig. Noch mal: Es soll an Ehrgeiz nicht fehlen. Aber es ist Sache der Regierung, des Kabinetts, zu entscheiden, in welchem Ausmaße, in welchem Tempo wir jetzt runtergehen in der Nettokreditaufnahme, ohne auf der anderen Seite diesen Anspruch einer gestaltenden Politik völlig in Abrede zu stellen. Will sagen, wir brauchen auch auf manchen Feldern weitere Initiativen.
Münchenberg: Sie haben die Zahl vorhin genannt, 90 Milliarden allein für den Bund Mehreinnahmen. Das schafft sicherlich ein großes Vermittlungsproblem, gerade auch gegenüber der Öffentlichkeit. Auf der einen Seite, wie gesagt, sprudeln die Einnahmen, auf der anderen Seite heißt die Devise immer noch Konsolidierung, Einsparung. Jetzt gab es die saftige Erhöhung der Mehrwertsteuer, die ja auch mit den Haushaltnöten, mit den strukturellen Defiziten begründet worden ist. Man braucht kein Prophet zu sein: der Aufschrei wird gewaltig sein, wenn diese Zahlen erst einmal im Raume stehen. Und ebenso wird die Forderung laut werden, dass doch ein beträchtlicher Teil des Geldes wieder zurück an die Bürger fließt.
Steinbrück: Ja, ich plädiere dafür, den Realitätssinn und die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Im übrigen, dies ist ein Beispiel, ob auch die Öffentlichkeit, auch die Bürgerinnen und Bürger ein bisschen Stehvermögen haben. Vor einem Jahr haben wir alle gemeinsam festgestellt, dass die Staatsverschuldung von 1,5 Billionen Euro ein riesiges Problem ist, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Generationsgerechtigkeit. Jetzt sprudeln die Steuereinnahmen sehr viel besser, aber deshalb sollten wir ja diese Einschätzung nicht über Bord werfen und uns besoffen machen, sondern die Entschuldung ist nach wie vor eines der entscheidenden Themen. Und ich bin bereit, über die Frage, wie zusätzliches Geld dann wieder ausgegeben werden soll, und in welchem Ausmaß gegebenenfalls Erleichterungen möglich sind, erst dann zu diskutieren, wenn wir das erstrangige Ziel erreicht haben. Die Engländer haben einen politischen Verwaltungs- und Politikgrundsatz, der lautet "First things first". Und was jetzt ansteht, ist, die Nettokreditaufnahme auf null und einen Einstieg in die Entschuldung. Dann, danach, können wir über andere Zielsetzung reden.
Münchenberg: Aber die Zahlen zeigen auch, es gibt immerhin etwas zu verteilen, und zwar mehr als gedacht.. ... .
Steinbrück: Nein, es gibt einen größeren Spielraum, eventuell schneller zu einer Entschuldung zu kommen. Das ist die erste Zielsetzung. Dass ich von Begehrlichkeiten umzingelt bin, dass einige vielleicht auch wieder Stichworte in die öffentliche Debatte werfen, um sich freundlich darzustellen, damit muss ich rechnen. Aber ich bitte diejenigen, die uns zuhören, noch einmal, diesen Realitätssinn nicht zu verlieren. Wir sind nach wie vor ein Land, das 1,5 Billionen Euro Schulden mit uns im Rücksack schleppt. Und den geben wir erkennbar ab an unsere Enkelkinder und an unsere Kinder. Das können wir uns nicht leisten.
Münchenberg: Im Augenblick laufen die Verhandlungen und Rechnungen zu der Haushaltsaufstellung 2008. Was heißt denn jetzt diese Steuerschätzung für den neuen Haushalt, der aufgestellt werden soll bis Ende Juni?
Steinbrück: Es geht um eine Entscheidung des Kabinetts, für welche Schwerpunkte, für welche Prioritäten sie sagt, da sind wir bereit, solche Impulse zu geben. Weil dies für die Zukunft des Landes, auch zur Steigerung des Potentialwachstums, auch zur Verbesserung der Beschäftigung, die ja dann unmittelbar eine Rendite auch von geringeren Belastungen für die Sozialversicherung abwirft, wichtig ist. Das sind dann Stichworte natürlich wie Forschung und Entwicklung, Hochschulen, Infrastruktur, Umwelt- und Klimaschutz, auch wahrscheinlich innere und äußere Sicherheit, um solche Aspekte noch mal in die Debatte zu werfen, weil ich die nicht gering schätzen will. Aber dies ist dann eine Entscheidung des Kabinetts, zu sagen, das sind die vordringlichen Gestaltungsaufgaben - gleichzeitig mit zu entscheiden, in welchem Tempo und in welchem Ausmaß wir in der Neuverschuldung heruntergehen.
Münchenberg: Wo liegen denn Ihre persönlichen Präferenzen?
Steinbrück: Für mich liegen die Präferenzen überall dort, wo es darum geht, Investitionen in die Zukunft dieses Landes zu organisieren. Und dann reden wir natürlich auch von einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, insbesondere für alleinerziehende Frauen. Dies ist nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau, sondern hat auch einen ökonomischen Hintergrund. Wir müssen die Erwerbstätigkeit insbesondere der gut qualifizierten Frauen in Deutschland dem europäischen Durchschnitt anpassen. Infrastruktur ist für dieses Land von erheblicher Bedeutung. Das sind, wie ich meine, die wichtigen Felder, in denen Zukunft zu gestalten ist.
Münchenberg: Wenn Sie so einen Schlüssel mal definieren würden, Konsolidierung und Investition in Zukunftsbereiche, wie würde der aussehen?
Steinbrück: Gute Frage, aber der weiche ich lieber aus, weil es eine Gesamtentscheidung dieser Regierung ist, wie sie da die Perspektiven setzt. Ich mache aus meiner Einschätzung als Bundesfinanzminister keinen Hehl, die da lautet, dass bei dieser zu erwartenden Einnahmesituation die Bundesregierung, die große Koalition, es sich nicht leisten können wird, sich zu verweigern einer Nettokreditaufnahme in der Perspektive von null in der Sicht der mittelfristigen Finanzplanung, will sagen in der Perspektive bis 2011.
Münchenberg: Sie haben vorhin schon gemahnt, die Kollegen im Kabinett sollen nicht die Bodenhaftung verlieren. Da stellt sich die Frage: Angesichts solcher Zahlen, da verliert man doch automatisch die Bodenhaftung.
Steinbrück: Die haben ja teilweise schon die Bodenhaftung verloren, will sagen nicht meine Kabinettkollegen, aber die dahinter stehenden Apparate. Denn, was bisher noch nicht so geläufig ist: die haben in dieser mittelfristigen Finanzplanung bis 2011 mehr Forderungen zusammengesammelt und adressiert an mein Haus in der Größenordnung von fast 30 Milliarden Euro, ziemlich genau 28 Milliarden und ein paar Zerquetschte. Das hat mit den Realitäten nichts mehr zu tun. Nun gebe ich zu, das folgt einem sehr verbreiteten Ritual. Man fordert zehn, um fünf zu kriegen, aber dies wird nimmer das Ergebnis der Chefgespräche sein mit meinen Kollegen, die nach Lage der Dinge Anfang Juni beginnen.
Münchenberg: Diese Wunschliste, sage ich mal, erstreckt sich gleichermaßen auf CDU/CSU wie SPD?
Steinbrück: Ja. Insofern ist die Vorstellung, da sei schon etwas abgekaspert bei Licht aus im Keller, das ist alles Unsinn. Das ist auch eine Ente, die da in die Welt gesetzt worden ist. Weil zwei große Koalitionspartner so ja nicht miteinander umgehen können, will sagen, der eine oder andere würde es ja immer merken, wenn man da beschummelt wird. Insofern sind solche Berichterstattungen wirklich hergezogen.
Münchenberg: Bei Ihrer Zurückhaltung, spielen da vielleicht die Erfahrungen aus dem Jahre 2000 auch eine Rolle? Damals flossen die UMTS-Milliarden in Strömen, der Wirtschaft ging es hervorragend, bis dann ganz schnell der Einbruch kam und Ihr Amtsvorgänger Hans Eichel dann mehr oder weniger zum Schuldenminister zusammengeschrumpft ist.
Steinbrück: Ja, da können Sie sehen, wie volatil das ist, wie wechselhaft auch das Budgetwetter ist. Und man muss hier immer sehen: Diese Steuerschätzungen sind erhoffte Einnahmen, erwartete Einnahmen. Aber das, was wir jetzt festlegen, ist nachher in Stein gemeißelt mit Blick auf die dahinter stehenden Ausgabeströmungen. Und das ist der Fehler gewesen, den wir häufig in der Vergangenheit gemacht haben, nicht nur in den letzten Jahren, sondern in der Rückbetrachtung der letzten Jahrzehnte.
Münchenberg: Es stehen harte Verhandlungswochen bevor, das ist keine Frage. Und da ist ein Finanzminister gerade auf die Rückendeckung der Kanzlerin angewiesen. Sie haben es vorhin kurz angesprochen, es gab Berichte in der zurückliegenden Woche, die Kanzlerin würde besonders die Etats der Unionsminister fördern. Sehen sie sich denn ausreichend unterstützt aus dem Kanzleramt bei Ihrem Kurs, Schwerpunkt mehr Konsolidierung?
Steinbrück: Also die Antwortet lautet eindeutig ja. Denn Sie können sich vorstellen, dass dieses Thema Haushalt nicht nur bezogen auf 2008, sondern auch in der Mittelfristsicht, Gegenstand von doch regelmäßig stattfindenden Gesprächen ist, die man auch so offen führen kann und nicht immer gleich auf dem offenen Markt darlegen muss. Man muss sich ja in einer Regierung da auch abstimmen können. Die Unterstützung ist da. Der Bundeskanzlerin genau so wie dem Vizekanzler Franz Müntefering ist sehr bewusst, dass diese Bundesregierung auch einen Beweis, auch eine Nagelprobe bestehen muss, bei der Verschuldung beziehungsweise zunächst einmal bei dem Schuldentempo herunter zu kommen. Dies wird für das Profil und für die Zuordnung von Kompetenz für diese Regierung von einer entscheidenden Bedeutung sein. Und in dieser Einschätzung gibt es keine Unterschiede zwischen mir, der Bundeskanzlerin und dem Vizekanzler.
Münchenberg: Wirtschaftsminister Glos schlägt jetzt schon seit Wochen die Trommel in Hinsicht auf Steuersenkungen auf mittelfristige Sicht - er hat nicht gesagt, in dieser Legislaturperiode. Auch mit diesen bombastischen Zahlen im Rücken, ist das für Sie trotzdem nach wie vor indiskutabel?
Steinbrück: Ja, es ist indiskutabel, zumal es zu einer unvernünftigen und auch nicht sehr stetigen Politik führen würde. Noch einmal, ich habe vorhin gesagt: "First things first". Und das, was als erstes ansteht, ist in der Tat eine Rückführung oder eine Verringerung, eine Zurückführung der Neuverschuldung und dann ein Einstieg in die Entschuldung, kombiniert mit den von mir jetzt mehrfach angesprochenen Impulsen für Wachstum und Beschäftigung. Man sollte nicht mehr versprechen.
Münchenberg: Nun geht es ja nicht nur der Staatskasse gut. Auch die Bundesagentur für Arbeit meldet Überschüsse. Nun hat ja die Koalition die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt. Wäre es nicht denkbar, auch jetzt im Zuge dieser Mehreinnahmen der Bundesagentur und der guten Steuerzahlen, hier noch weiter zu gehen um den Faktor Arbeit zu entlasten und vielleicht auch so den Aufschwung zu stärken?
Steinbrück: Das muss die Regierung, muss die große Koalition entscheiden. In der Tat geht die Bundesagentur einer wie ich finde glänzenden Überschussentwicklung entgegen. Sie wissen, diese Überschussposition wird auch maßgeblich mitfinanziert durch einen Mehrwertsteuerpunkt, der ja in seinem Volumen immer weiter wächst vor dem Hintergrund der günstigen Entwicklung, also von ungefähr 7 Milliarden in den nächsten vier Jahren sogar auf über 8 Milliarden Euro. Und ich finde die Situation schon etwas absurd, dass der Bund Schulden aufnehmen muss, letztlich um ja auch dann zu finanzieren, was die Bundesagentur auf die hohe Kante legen kann in Form eines Überschusses. Und das vor dem Hintergrund, dass wir bei einem anderen sozialen Sicherungssystem, in diesem Fall bei der gesetzlichen Krankenversicherung, in der Perspektive der nächsten vier Jahre 19 Milliarden Zuschüsse ja noch gegenfinanzieren müssen, was bisher nicht gelungen ist. Insofern bleibe ich dabei, dass hier nach Wegen gesucht werden muss, wo auch zur Entlastung des Bundeshaushaltes Bypässe gelegt werden können, die zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung führen.
Münchenberg: Aber noch einmal konkret bei der Arbeitslosenversicherung: Das hielten Sie auch für einen sinnvollen Schritt, hier noch weiter zu gehen?
Steinbrück: Ich halte es immer für sinnvoll, dass wir die Lohnzusatzkosten in Deutschland senken mit Blick auf die damit verbundene Entlastung für Arbeitnehmer, weil sie höhere verfügbare Einkommen haben, und für die Arbeitgeber, weil sie geringere Brutto-Arbeitskosten haben. Aber dies ist abhängig von der tatsächlichen Situation und von der konkreten Überschussentwicklung. Und da kann ich nicht etwas verteilen, was ich vorher noch gar nicht quantifiziert habe. Deshalb wird man es abwarten müssen.
Münchenberg: Herr Finanzminister, es gibt ja einen Dauerzwist mit der Familienministerin über die Finanzierung der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen. Da geht es um geschätzte drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr. Nun gibt es ja ein Spitzengespräch in der nächsten Woche zwischen Ihnen und Frau von der Leyen, wo man versuchen will, diese Finanzierung zu klären. Es ist aus dem Familienministerium zu hören, dass der Bund nur für die Infrastruktur zuständig sein soll, was die Finanzierungsseite angeht, und Länder und Kommunen für die viel teureren Folgekosten, etwa Betrieb oder Personal. Ist das aus Ihrer Sicht ein seriöser Ansatz oder doch vielleicht ein bisschen Taschenspielertrickserei, wie der Städtetag kritisiert hat?
Steinbrück: Ich kann den Städtetag und die Kommunen verstehen, die sagen: Das Hauptproblem für mich aus kommunaler Sicht ist ja nicht, dass mir Infrastrukturinvestitionen finanziert werden. Das ist wahrscheinlich sogar das geringere Problem. Vor dem Hintergrund einer demografischen Entwicklung, die zunehmend auch zu Leerständen zum Beispiel in Kindergärten führt. Das Hauptproblem aus kommunaler Sicht wird sein: Wie gehe ich denn um mit den Betriebskosten, die ich habe aus einer vermehrten Bereitstellung von Betreuungsplätzen? Insofern - es ist nicht nur eine Finanzierungsfrage, sondern es ist auch die Frage, welches seriöse, tragfähige, qualitativ anspruchsvolle Konzept in Abstimmung mit den Ländern und den Kommunen ist möglich? Und dann ist der nächste Reflex von mir, nicht automatisch zu sagen: Da wird aber Geld zusätzlich oben drauf gesattelt, sondern die Frage ist dann im Raum, ob auch durch Umschichtungen die Finanzierung dieser in meinen Augen richtigen politischen Zielrichtung, nämlich Betreuungsplätze bereitzustellen, realisiert werden kann.
Münchenberg: Aber im Klartext noch mal: Sie halten den von der Leyen-Vorschlag oder diese Idee für wenig weiterbringend?
Steinbrück: Ja, ich habe den Eindruck, dass er nicht dem Bedarf der Länder und der Kommunen entspricht. Und für mich ist nicht der Punkt, was ist das Billigste, sondern für mich ist der Punkt, was ist das Gute, gegebenenfalls was ist das Beste, was wir bieten können? Im übrigen: Die SPD hat ein solches Konzept vorgestellt. Wir haben auch einen Finanzierungsvorschlag darüber gemacht . . .
Münchenberg: . . . den die Union ablehnt.
Steinbrück: Ja gut, aber er liegt wenigstens auf dem Tisch. Er liegt da. Man kann ihn ja ablehnen, man kann ihn für falsch erachten, aber immerhin enthält er eine Reihe von Finanzierungskomponenten, die eben dazu führen, dass nicht automatisch aus dem Steuertopf mehr Geld generiert werden muss.
Münchenberg: Das ist Ihre Position, mit der Sie jetzt in diese Gespräche gehen: Es wird nicht mehr Geld geben, obwohl die Steuerschätzung so bombastisch ausfallen wird.
Steinbrück: Ja, es kommt darauf an, was das Kabinett in seiner Gesamtheit, will sagen auch beide Koalitionspartner, im Konsens bereit sind, für Schwerpunkte an Geld zu mobilisieren, ohne dabei - ich wiederhole es immer wieder - die Zielrichtung aus dem Auge zu verlieren, dass wir das Neuverschuldenstempo auf Null bringen müssen.
Münchenberg: Nun gab es ja ziemlich viel Zoff zwischen Union und SPD. Da hieß es von Seiten der SPD, sie sei nur fürs Bezahlen da, für die Finanzierung, und die Union stehe für die Wohltaten. Das hat Ihr Parteichef Beck gesagt. Ist das eine Rollenverteilung, der Sie auch zustimmen würden?
Steinbrück: Ja, ich habe den Eindruck, dass auch in der Bewertung der Ereignisse ein bisschen Ursache und Wirkung aus den Augen verloren ist. Die Ursache ist gewesen, dass einige Vertreter, auch ein Kabinettsmitglied der CSU, der Öffentlichkeit wenn Sie so wollen Goodies, Bonbons, Pralinés in Aussicht gestellt hat. Insbesondere auch mit Blick auf die Erbschaftssteuer und mit Blick auch auf das Thema von möglichen Steuersenkungen. Und das bedeutet natürlich, dass die SPD in einer Art Ecke steht nach dem Motto: Und wir sollen uns jetzt verweigern. Das heißt, wir sind die Bösen, wir sind die Deppen, die den deutschen Bürgerinnen und Bürgern verweigern, in den Genuss von Steuersenkungen zu kommen. Das lässt man sich nicht so gerne gefallen. Und da kam dann noch eine weitere Komponente, wo immerhin einem zugestimmten Konzept der Unternehmenssteuerreform auch noch einmal mit einem Fragezeichen begegnet wurde. Das heißt, da muss man dann damit rechnen, dass es Reaktionen gibt. Und diese Reaktionen von der SPD sind gekommen, Man darf sich nicht darüber wundern. Wir haben sie nicht ausgelöst, sondern es ist ausgelöst worden durch Vorstöße, die so nicht abgestimmt gewesen sind und erkennbar auch nicht mehrheitsfähig in dieser Regierung.
Münchenberg: Sie haben die Erbschaftssteuer gerade angesprochen. Manche in der Union haben ihre Abschaffung gefordert. Die SPD-Spitze wiederum hat ein Junktim hergestellt zwischen Erbschafts- und Unternehmensteuerreform. Ist das auch Ihre Position?
Steinbrück: Ja. Wir sind da ein bisschen, wenn Sie so wollen, etwas nicht bösgläubig geworden, aber diese Einlassung von Teilen hat uns überrascht. Auf der anderen Seite ist im Koalitionsausschuss nun klargestellt worden, dass das Thema Erbschaftssteuer erledigt ist. Es wird zu einer Überarbeitung der Erbschaftssteuer kommen, auch kommen müssen, weil das Bundesverfassungsgericht uns dies als Aufgabe auf den Tisch gelegt hat. Ich erinnere daran, dass diese Bundesregierung ja eine Reihe von Zumutungen verteilt hat an die große Masse der Bürgerinnen und Bürger. Die Mehrwertsteuer gehört dazu, die Kürzung der Entfernungspauschale, des Arbeitnehmersparerfreibetrages. Dann, finde ich, ist es eine Frage der sozialen Balance, der sozialen Proportion, nicht jemandem zu versprechen, dass hohe Erbschaften plötzlich völlig von der Steuer befreit sind. Ich bin der Auffassung, dass hohe Erbschaften zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden sollen. Ich rede nicht von Oma ihr Häuschen oder der Eigentumswohnung, die von Eltern auf Kinder übertragen werden soll.
Münchenberg: Diese Forderung lehnt die Union ja ab. Trotzdem soll bis Sommer ein Kompromiss gefunden werden. Das hört sich nicht gerade einfach an ... .
Steinbrück: Nein, das wird gelingen. Da würde ich eine Wette darauf machen, denn wir stehen in dem Obligo, die Bewertungsmaßstäbe zu überarbeiten. Das gibt das Bundesverfassungsgericht vor. Wir haben bereits als Bundesregierung beschlossen, also das ist ja nicht ganz unverbindlich. Dass die Vererbung von betrieblichem Vermögen freigestellt werden soll nach zehn Jahren - also zehn Jahre Stundung und dann Erlass einer Steuerschuld, einfach um Nachfolgeregelungen zu erleichtern und den Mittelstand zu stärken. Und alle sind gut beraten, jetzt zügig, will sagen ohne schuldhaftes Zögern daran zu arbeiten, dass wir dort ein neues Erbschaftssteuerkonzept dann vorlegen und verabschieden können. Im übrigen ist es eine reine Ländersteuer. Ich freue mich, dass die Länder im Bundesrat eine einschlägige Resolution gefasst haben, im März, die diesen Arbeitsweg vorzeichnet.
Münchenberg: Stichwort Unternehmenssteuerreform. Die ist derzeit im parlamentarischen Verfahren. Und gerade auch innerhalb der SPD-Fraktion gibt es sehr starke Vorbehalte gegen diese Reform. Es geht um Entlastungen für die Unternehmen in der Größenordnung von 5 Milliarden Euro. Sehen Sie trotzdem, dass diese Reform parlamentarisch verabschiedet wird?
Steinbrück: Ja. Der jetzige Termin, der in Aussicht genommen wurde, ist bereits Ende Mai. Die letzten Abstimmungsprozesse zwischen Union und SPD-Bundestagsfraktion laufen in diesen Tagen. Natürlich gibt es Kritik von unterschiedlichen Seiten. Diese Kritik neutralisiert sich allerdings. Die einen wollen mehr, die anderen wollen weniger. Die einen wollen bei bestimmten Instrumenten noch drauflegen, die anderen wollen bei bestimmten Instrumenten noch Weichzeichner hineinbringen. Ich sage voraus, dass die Blaupause, die in einer politischen Arbeitsgruppe entwickelt worden ist, ziemlich lupenrein verabschiedet wird. Da wird es vielleicht einige Nachjustierung geben, aber sagen wir mal, die Blaupause in ihren Grundorientierungen wird, wie ich glaube, eine klare parlamentarische Mehrheit finden.
Münchenberg: Herr Steinbrück, vieles von den selbstgesteckten Zielen hat die Koalition ja tatsächlich erreicht, oft - muss man sagen - auf dem kleinstmöglichen Nenner. Außer Unternehmenssteuerreform und der Erbschaftssteuer fehlt eigentlich nur noch die Pflegeversicherung. Was kommt danach? Wo liegen aus Sicht des Finanzministers noch wichtige Prioritäten, oder ist man letztlich dann doch längst im Bundestagswahlkampf?
Steinbrück: Nein. Ich rate auch dazu, nicht vorzeitig in diesen Taumel einer Wahlauseinandersetzung hinein zu fallen. Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland erwarten, dass wir kompetent Politik machen, dass wir Probleme lösen. Das gelingt gelegentlich besser, manchmal gelingt es auch schlechter. Da kann man drüber streiten. Aber eine große Koalition steht in der Pflicht, ihre Hausaufgaben zu machen. Und ich finde, das sollen wir so professionell und unaufgeregt wie irgend möglich tun. Sonst verlieren wir hier noch weiteren Zuspruch und Vertrauen in die Lösungsfähigkeit der Politik. Im übrigen kann ich das nicht nachvollziehen, dass gesagt wird, diese große Koalition hätte für die zweite Hälfte der Legislatur keine Aufgaben mehr. Denken Sie an die wichtige Debatte, bezogen auf den Föderalismus mit erheblichen Auswirkungen für die Finanzbeziehung von Bund und Ländern. Die Pflegeversicherung haben Sie schon genannt. Ich glaube, dass es eine ganze Reihe von anderen Punkten gibt, insbesondere mit Blick auf die Frage: Wie kommen wir stärker zu Zukunftsinvestitionen in diesem Land, die dafür Sorge tragen, dass wir das Wohlstandsniveau einigermaßen halten können, und dass wir das Ausmaß und das Niveau sozialer Wohlfahrt vor dem Hintergrund des demografischen Drucks ebenfalls einigermaßen aufrecht erhalten können.
Münchenberg: Trotzdem, das Klima in der Koalition ist gereizt. Es hagelt Vorwürfe, es gibt Unterstellungen. Bei den anstehenden Einzeletatverhandlungen jetzt im Haushalt 2008 mit diesen fantastischen Zahlen im Hintergrund - wird das die Verhandlungen eher erschweren oder vielleicht auch ein bisschen die Stimmung anheben?
Steinbrück: Nein. Ich rate auch dazu, manche Tonlagen, und mögen sie auch schrill sein, nicht gleich zu bewerten als Gesamtzustand der Koalition. Im übrigen, es muss auch möglich sein, in der politischen Auseinandersetzung sich gelegentlich abzugrenzen, auch in einer Koalition. Und nicht jede Auseinandersetzung, nicht jedes Ringen um eine Lösung, ist gleich ein Riesenzoff und eine fundamentale Infragestellung der Koalition. Da habe ich gelegentlich den Eindruck, dass auch im Konkurrenzdruck von Medien manches hochgejazzt und aufgepeppt wird. Was teilweise dann auch Beine bekommt, fast eine Art sich selbst erfüllende Prophezeiung darstellen soll. Die Chefgespräche werden professionell geführt werden müssen, wie ich hoffe auch in der Erkenntnis, dass es nur sehr geringe Spielräume gibt mit Blick auf die Bedienung von Schwerpunkten, jedenfalls weit entfernt von dem, was in einem gewissen Ritualverhalten Ministerialapparate dann bisher gemeldet haben.
Peer Steinbrück: Ja, Sie haben Recht. Man kann sich freuen über diese Entwicklung. Die geht zurück auf eine Reihe von Einflussfaktoren. Die Wirtschaft ist viel wettbewerbsfähiger geworden, wir haben es mit sehr guten Lohnstückkostenentwicklungen zu tun. Die Politik darf sich nicht die Federn an den Hut stecken, aber die Politik hat mitgewirkt an dieser Entwicklung. Ich freue mich darüber, zugegebenermaßen. Allerdings, bei den in Rede stehenden Zahlen, meine Steuerschätzer werden mit um die 90 Milliarden Euro in die aktuelle Steuerschätzung hineingehen nächste Woche, da muss man wissen, was man alles gegenrechnen muss.
Münchenberg: Sie sagen jetzt 90 Milliarden. Das ist aber nur die Zahl für den Bund. Insgesamt wird es sogar noch mehr sein.
Steinbrück: Für alle Gebietskörperschaften, sprich für Bund, Länder und Kommunen, werden es wahrscheinlich an die 200 Milliarden Euro sein. Das ist eine fantastische Zahl. Über die freue ich mich, nur man darf nicht besoffen werden, man darf die Bodenhaftung nicht verlieren. Ich muss gegenrechnen, dass 13 Milliarden beim Bund bereits im Haushaltsplan drin sind, und dass mindestens vier Positionen an die 40 Milliarden Euro Belastungen darstellen, die ich abziehen muss. Also zum Beispiel die noch zu finanzierenden Zuschüsse an die Krankenversicherung. Zum Beispiel die zu finanzierenden Kosten der Unterkunft für die Kommunensätze zusätzlich, der ausfallende Aussteuerungsbetrag der Bundesanstalt für Arbeit vor dem Hintergrund der erfreulichen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, und auch mit Blick auf eine andere Position der Arbeitsmarktpolitik, eine realistischere Veranschlagung von ALG II-Zahlungen.
Münchenberg: Lassen sie uns zu den Ressortwünschen, aber auch den Konsequenzen gleich noch einmal kommen. Zunächst einmal will ich auf die Defizitquote zu sprechen kommen, die Sie ja nach Brüssel schon gemeldet haben für dieses Jahr. Für dieses Jahr 1,2 Prozent, das soll ja dann kontinuierlich runter gehen. Jetzt bei diesen fantastischen Zahlen, da kommen Sie schon in diesem Jahr locker unter die 1,2 Prozent.
Steinbrück: Ja, wir werden eine Zahl bekommen, nach der wir auch dieses Jahr die faktische Nettokreditaufnahme weiter absenken können. Da muss man sehen, wo wir dann an anderer Stelle mehr Belastung haben. Aber ich bin sicher, wir kommen noch mal deutlich runter. Sie wissen, wir hatten im letzten Jahr die niedrigste Neuverschuldung schon nach der deutschen Wiedervereinigung. Und das Kabinett steht dann in Rede, auch für die kommenden Jahre eine Entscheidung zu treffen, in welchem Umfang die Nettokreditaufnahme weiter abgesenkt werden soll, und auf der anderen Seite aber auch dem gestaltenden Anspruch dieser großen Koalition Rechnung getragen werden soll. Ich bin ja dafür, dass wir beides tun, auf der einen Seite zu konsolidieren, wir müssen auf eine Nullverschuldung kommen, und auf der anderen Seite aber Impulse für Wachstum und Beschäftigung zu geben. Das war eine richtige Strategie seit Gründung der großen Koalition, und sie spiegelt sich auch in den günstigen Zahlen wieder.
Münchenberg: Sie sind ja, was jetzt auch die Zeitachse angeht, wann der Bund wieder mit null Euro Neuschulden auskommen wird, sehr vorsichtig. Jetzt gibt es einen Beschluss auch der EU-Finanzminister - 2010 hat man da angepeilt. Noch mal: Angesichts dieser gewaltigen Zahlen, die jetzt da im Raume stehen, könnte das doch durchaus schon deutlich früher gelingen.
Steinbrück: Das will ich nicht ausschließen. Nur, Sie wissen, dass Politiker sich selber schon sehr häufig einen ziemlichen Tort mit Ankündigungen gemacht haben. Einer meiner Vorgänger hat eine solche Ankündigung bereits getroffen. Deshalb bin ich sehr zurückhaltend. Das bedeutet nicht, dass ich da ohne Ehrgeiz bin. Ich glaube, wir müssen in der überschaubaren Zeit der nächsten Jahre, auch mit Blick auf die nächste mittelfristige Finanzplanung, auch für den Bund auf Null runter. Sie haben Recht, der gesamtstaatliche Haushalt, also bezogen auf Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherung wird bereits eine strukturelle Defizitquote haben von Null im Jahre 2010. Das ist mehr denn je realistisch vor dem Hintergrund auch der zu erwartenden günstigen Steuerschätzung in wenigen Tagen.
Münchenberg: Wenn man jetzt aber auch vom Bund vielleicht einen konkreten, früheren Termin sagen würde - das würde doch den Spardruck innerhalb dieser Koalition ein Stück weit verstärken.
Steinbrück: Wenn ich nur um wenige Millionen abweichen würde, dann wird mir diese Ankündigung wie eine Schlinge um den Hals gelegt, insbesondere von Ihrer Branche. Und deshalb bin ich da vorsichtig. Noch mal: Es soll an Ehrgeiz nicht fehlen. Aber es ist Sache der Regierung, des Kabinetts, zu entscheiden, in welchem Ausmaße, in welchem Tempo wir jetzt runtergehen in der Nettokreditaufnahme, ohne auf der anderen Seite diesen Anspruch einer gestaltenden Politik völlig in Abrede zu stellen. Will sagen, wir brauchen auch auf manchen Feldern weitere Initiativen.
Münchenberg: Sie haben die Zahl vorhin genannt, 90 Milliarden allein für den Bund Mehreinnahmen. Das schafft sicherlich ein großes Vermittlungsproblem, gerade auch gegenüber der Öffentlichkeit. Auf der einen Seite, wie gesagt, sprudeln die Einnahmen, auf der anderen Seite heißt die Devise immer noch Konsolidierung, Einsparung. Jetzt gab es die saftige Erhöhung der Mehrwertsteuer, die ja auch mit den Haushaltnöten, mit den strukturellen Defiziten begründet worden ist. Man braucht kein Prophet zu sein: der Aufschrei wird gewaltig sein, wenn diese Zahlen erst einmal im Raume stehen. Und ebenso wird die Forderung laut werden, dass doch ein beträchtlicher Teil des Geldes wieder zurück an die Bürger fließt.
Steinbrück: Ja, ich plädiere dafür, den Realitätssinn und die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Im übrigen, dies ist ein Beispiel, ob auch die Öffentlichkeit, auch die Bürgerinnen und Bürger ein bisschen Stehvermögen haben. Vor einem Jahr haben wir alle gemeinsam festgestellt, dass die Staatsverschuldung von 1,5 Billionen Euro ein riesiges Problem ist, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Generationsgerechtigkeit. Jetzt sprudeln die Steuereinnahmen sehr viel besser, aber deshalb sollten wir ja diese Einschätzung nicht über Bord werfen und uns besoffen machen, sondern die Entschuldung ist nach wie vor eines der entscheidenden Themen. Und ich bin bereit, über die Frage, wie zusätzliches Geld dann wieder ausgegeben werden soll, und in welchem Ausmaß gegebenenfalls Erleichterungen möglich sind, erst dann zu diskutieren, wenn wir das erstrangige Ziel erreicht haben. Die Engländer haben einen politischen Verwaltungs- und Politikgrundsatz, der lautet "First things first". Und was jetzt ansteht, ist, die Nettokreditaufnahme auf null und einen Einstieg in die Entschuldung. Dann, danach, können wir über andere Zielsetzung reden.
Münchenberg: Aber die Zahlen zeigen auch, es gibt immerhin etwas zu verteilen, und zwar mehr als gedacht.. ... .
Steinbrück: Nein, es gibt einen größeren Spielraum, eventuell schneller zu einer Entschuldung zu kommen. Das ist die erste Zielsetzung. Dass ich von Begehrlichkeiten umzingelt bin, dass einige vielleicht auch wieder Stichworte in die öffentliche Debatte werfen, um sich freundlich darzustellen, damit muss ich rechnen. Aber ich bitte diejenigen, die uns zuhören, noch einmal, diesen Realitätssinn nicht zu verlieren. Wir sind nach wie vor ein Land, das 1,5 Billionen Euro Schulden mit uns im Rücksack schleppt. Und den geben wir erkennbar ab an unsere Enkelkinder und an unsere Kinder. Das können wir uns nicht leisten.
Münchenberg: Im Augenblick laufen die Verhandlungen und Rechnungen zu der Haushaltsaufstellung 2008. Was heißt denn jetzt diese Steuerschätzung für den neuen Haushalt, der aufgestellt werden soll bis Ende Juni?
Steinbrück: Es geht um eine Entscheidung des Kabinetts, für welche Schwerpunkte, für welche Prioritäten sie sagt, da sind wir bereit, solche Impulse zu geben. Weil dies für die Zukunft des Landes, auch zur Steigerung des Potentialwachstums, auch zur Verbesserung der Beschäftigung, die ja dann unmittelbar eine Rendite auch von geringeren Belastungen für die Sozialversicherung abwirft, wichtig ist. Das sind dann Stichworte natürlich wie Forschung und Entwicklung, Hochschulen, Infrastruktur, Umwelt- und Klimaschutz, auch wahrscheinlich innere und äußere Sicherheit, um solche Aspekte noch mal in die Debatte zu werfen, weil ich die nicht gering schätzen will. Aber dies ist dann eine Entscheidung des Kabinetts, zu sagen, das sind die vordringlichen Gestaltungsaufgaben - gleichzeitig mit zu entscheiden, in welchem Tempo und in welchem Ausmaß wir in der Neuverschuldung heruntergehen.
Münchenberg: Wo liegen denn Ihre persönlichen Präferenzen?
Steinbrück: Für mich liegen die Präferenzen überall dort, wo es darum geht, Investitionen in die Zukunft dieses Landes zu organisieren. Und dann reden wir natürlich auch von einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, insbesondere für alleinerziehende Frauen. Dies ist nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau, sondern hat auch einen ökonomischen Hintergrund. Wir müssen die Erwerbstätigkeit insbesondere der gut qualifizierten Frauen in Deutschland dem europäischen Durchschnitt anpassen. Infrastruktur ist für dieses Land von erheblicher Bedeutung. Das sind, wie ich meine, die wichtigen Felder, in denen Zukunft zu gestalten ist.
Münchenberg: Wenn Sie so einen Schlüssel mal definieren würden, Konsolidierung und Investition in Zukunftsbereiche, wie würde der aussehen?
Steinbrück: Gute Frage, aber der weiche ich lieber aus, weil es eine Gesamtentscheidung dieser Regierung ist, wie sie da die Perspektiven setzt. Ich mache aus meiner Einschätzung als Bundesfinanzminister keinen Hehl, die da lautet, dass bei dieser zu erwartenden Einnahmesituation die Bundesregierung, die große Koalition, es sich nicht leisten können wird, sich zu verweigern einer Nettokreditaufnahme in der Perspektive von null in der Sicht der mittelfristigen Finanzplanung, will sagen in der Perspektive bis 2011.
Münchenberg: Sie haben vorhin schon gemahnt, die Kollegen im Kabinett sollen nicht die Bodenhaftung verlieren. Da stellt sich die Frage: Angesichts solcher Zahlen, da verliert man doch automatisch die Bodenhaftung.
Steinbrück: Die haben ja teilweise schon die Bodenhaftung verloren, will sagen nicht meine Kabinettkollegen, aber die dahinter stehenden Apparate. Denn, was bisher noch nicht so geläufig ist: die haben in dieser mittelfristigen Finanzplanung bis 2011 mehr Forderungen zusammengesammelt und adressiert an mein Haus in der Größenordnung von fast 30 Milliarden Euro, ziemlich genau 28 Milliarden und ein paar Zerquetschte. Das hat mit den Realitäten nichts mehr zu tun. Nun gebe ich zu, das folgt einem sehr verbreiteten Ritual. Man fordert zehn, um fünf zu kriegen, aber dies wird nimmer das Ergebnis der Chefgespräche sein mit meinen Kollegen, die nach Lage der Dinge Anfang Juni beginnen.
Münchenberg: Diese Wunschliste, sage ich mal, erstreckt sich gleichermaßen auf CDU/CSU wie SPD?
Steinbrück: Ja. Insofern ist die Vorstellung, da sei schon etwas abgekaspert bei Licht aus im Keller, das ist alles Unsinn. Das ist auch eine Ente, die da in die Welt gesetzt worden ist. Weil zwei große Koalitionspartner so ja nicht miteinander umgehen können, will sagen, der eine oder andere würde es ja immer merken, wenn man da beschummelt wird. Insofern sind solche Berichterstattungen wirklich hergezogen.
Münchenberg: Bei Ihrer Zurückhaltung, spielen da vielleicht die Erfahrungen aus dem Jahre 2000 auch eine Rolle? Damals flossen die UMTS-Milliarden in Strömen, der Wirtschaft ging es hervorragend, bis dann ganz schnell der Einbruch kam und Ihr Amtsvorgänger Hans Eichel dann mehr oder weniger zum Schuldenminister zusammengeschrumpft ist.
Steinbrück: Ja, da können Sie sehen, wie volatil das ist, wie wechselhaft auch das Budgetwetter ist. Und man muss hier immer sehen: Diese Steuerschätzungen sind erhoffte Einnahmen, erwartete Einnahmen. Aber das, was wir jetzt festlegen, ist nachher in Stein gemeißelt mit Blick auf die dahinter stehenden Ausgabeströmungen. Und das ist der Fehler gewesen, den wir häufig in der Vergangenheit gemacht haben, nicht nur in den letzten Jahren, sondern in der Rückbetrachtung der letzten Jahrzehnte.
Münchenberg: Es stehen harte Verhandlungswochen bevor, das ist keine Frage. Und da ist ein Finanzminister gerade auf die Rückendeckung der Kanzlerin angewiesen. Sie haben es vorhin kurz angesprochen, es gab Berichte in der zurückliegenden Woche, die Kanzlerin würde besonders die Etats der Unionsminister fördern. Sehen sie sich denn ausreichend unterstützt aus dem Kanzleramt bei Ihrem Kurs, Schwerpunkt mehr Konsolidierung?
Steinbrück: Also die Antwortet lautet eindeutig ja. Denn Sie können sich vorstellen, dass dieses Thema Haushalt nicht nur bezogen auf 2008, sondern auch in der Mittelfristsicht, Gegenstand von doch regelmäßig stattfindenden Gesprächen ist, die man auch so offen führen kann und nicht immer gleich auf dem offenen Markt darlegen muss. Man muss sich ja in einer Regierung da auch abstimmen können. Die Unterstützung ist da. Der Bundeskanzlerin genau so wie dem Vizekanzler Franz Müntefering ist sehr bewusst, dass diese Bundesregierung auch einen Beweis, auch eine Nagelprobe bestehen muss, bei der Verschuldung beziehungsweise zunächst einmal bei dem Schuldentempo herunter zu kommen. Dies wird für das Profil und für die Zuordnung von Kompetenz für diese Regierung von einer entscheidenden Bedeutung sein. Und in dieser Einschätzung gibt es keine Unterschiede zwischen mir, der Bundeskanzlerin und dem Vizekanzler.
Münchenberg: Wirtschaftsminister Glos schlägt jetzt schon seit Wochen die Trommel in Hinsicht auf Steuersenkungen auf mittelfristige Sicht - er hat nicht gesagt, in dieser Legislaturperiode. Auch mit diesen bombastischen Zahlen im Rücken, ist das für Sie trotzdem nach wie vor indiskutabel?
Steinbrück: Ja, es ist indiskutabel, zumal es zu einer unvernünftigen und auch nicht sehr stetigen Politik führen würde. Noch einmal, ich habe vorhin gesagt: "First things first". Und das, was als erstes ansteht, ist in der Tat eine Rückführung oder eine Verringerung, eine Zurückführung der Neuverschuldung und dann ein Einstieg in die Entschuldung, kombiniert mit den von mir jetzt mehrfach angesprochenen Impulsen für Wachstum und Beschäftigung. Man sollte nicht mehr versprechen.
Münchenberg: Nun geht es ja nicht nur der Staatskasse gut. Auch die Bundesagentur für Arbeit meldet Überschüsse. Nun hat ja die Koalition die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt. Wäre es nicht denkbar, auch jetzt im Zuge dieser Mehreinnahmen der Bundesagentur und der guten Steuerzahlen, hier noch weiter zu gehen um den Faktor Arbeit zu entlasten und vielleicht auch so den Aufschwung zu stärken?
Steinbrück: Das muss die Regierung, muss die große Koalition entscheiden. In der Tat geht die Bundesagentur einer wie ich finde glänzenden Überschussentwicklung entgegen. Sie wissen, diese Überschussposition wird auch maßgeblich mitfinanziert durch einen Mehrwertsteuerpunkt, der ja in seinem Volumen immer weiter wächst vor dem Hintergrund der günstigen Entwicklung, also von ungefähr 7 Milliarden in den nächsten vier Jahren sogar auf über 8 Milliarden Euro. Und ich finde die Situation schon etwas absurd, dass der Bund Schulden aufnehmen muss, letztlich um ja auch dann zu finanzieren, was die Bundesagentur auf die hohe Kante legen kann in Form eines Überschusses. Und das vor dem Hintergrund, dass wir bei einem anderen sozialen Sicherungssystem, in diesem Fall bei der gesetzlichen Krankenversicherung, in der Perspektive der nächsten vier Jahre 19 Milliarden Zuschüsse ja noch gegenfinanzieren müssen, was bisher nicht gelungen ist. Insofern bleibe ich dabei, dass hier nach Wegen gesucht werden muss, wo auch zur Entlastung des Bundeshaushaltes Bypässe gelegt werden können, die zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung führen.
Münchenberg: Aber noch einmal konkret bei der Arbeitslosenversicherung: Das hielten Sie auch für einen sinnvollen Schritt, hier noch weiter zu gehen?
Steinbrück: Ich halte es immer für sinnvoll, dass wir die Lohnzusatzkosten in Deutschland senken mit Blick auf die damit verbundene Entlastung für Arbeitnehmer, weil sie höhere verfügbare Einkommen haben, und für die Arbeitgeber, weil sie geringere Brutto-Arbeitskosten haben. Aber dies ist abhängig von der tatsächlichen Situation und von der konkreten Überschussentwicklung. Und da kann ich nicht etwas verteilen, was ich vorher noch gar nicht quantifiziert habe. Deshalb wird man es abwarten müssen.
Münchenberg: Herr Finanzminister, es gibt ja einen Dauerzwist mit der Familienministerin über die Finanzierung der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen. Da geht es um geschätzte drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr. Nun gibt es ja ein Spitzengespräch in der nächsten Woche zwischen Ihnen und Frau von der Leyen, wo man versuchen will, diese Finanzierung zu klären. Es ist aus dem Familienministerium zu hören, dass der Bund nur für die Infrastruktur zuständig sein soll, was die Finanzierungsseite angeht, und Länder und Kommunen für die viel teureren Folgekosten, etwa Betrieb oder Personal. Ist das aus Ihrer Sicht ein seriöser Ansatz oder doch vielleicht ein bisschen Taschenspielertrickserei, wie der Städtetag kritisiert hat?
Steinbrück: Ich kann den Städtetag und die Kommunen verstehen, die sagen: Das Hauptproblem für mich aus kommunaler Sicht ist ja nicht, dass mir Infrastrukturinvestitionen finanziert werden. Das ist wahrscheinlich sogar das geringere Problem. Vor dem Hintergrund einer demografischen Entwicklung, die zunehmend auch zu Leerständen zum Beispiel in Kindergärten führt. Das Hauptproblem aus kommunaler Sicht wird sein: Wie gehe ich denn um mit den Betriebskosten, die ich habe aus einer vermehrten Bereitstellung von Betreuungsplätzen? Insofern - es ist nicht nur eine Finanzierungsfrage, sondern es ist auch die Frage, welches seriöse, tragfähige, qualitativ anspruchsvolle Konzept in Abstimmung mit den Ländern und den Kommunen ist möglich? Und dann ist der nächste Reflex von mir, nicht automatisch zu sagen: Da wird aber Geld zusätzlich oben drauf gesattelt, sondern die Frage ist dann im Raum, ob auch durch Umschichtungen die Finanzierung dieser in meinen Augen richtigen politischen Zielrichtung, nämlich Betreuungsplätze bereitzustellen, realisiert werden kann.
Münchenberg: Aber im Klartext noch mal: Sie halten den von der Leyen-Vorschlag oder diese Idee für wenig weiterbringend?
Steinbrück: Ja, ich habe den Eindruck, dass er nicht dem Bedarf der Länder und der Kommunen entspricht. Und für mich ist nicht der Punkt, was ist das Billigste, sondern für mich ist der Punkt, was ist das Gute, gegebenenfalls was ist das Beste, was wir bieten können? Im übrigen: Die SPD hat ein solches Konzept vorgestellt. Wir haben auch einen Finanzierungsvorschlag darüber gemacht . . .
Münchenberg: . . . den die Union ablehnt.
Steinbrück: Ja gut, aber er liegt wenigstens auf dem Tisch. Er liegt da. Man kann ihn ja ablehnen, man kann ihn für falsch erachten, aber immerhin enthält er eine Reihe von Finanzierungskomponenten, die eben dazu führen, dass nicht automatisch aus dem Steuertopf mehr Geld generiert werden muss.
Münchenberg: Das ist Ihre Position, mit der Sie jetzt in diese Gespräche gehen: Es wird nicht mehr Geld geben, obwohl die Steuerschätzung so bombastisch ausfallen wird.
Steinbrück: Ja, es kommt darauf an, was das Kabinett in seiner Gesamtheit, will sagen auch beide Koalitionspartner, im Konsens bereit sind, für Schwerpunkte an Geld zu mobilisieren, ohne dabei - ich wiederhole es immer wieder - die Zielrichtung aus dem Auge zu verlieren, dass wir das Neuverschuldenstempo auf Null bringen müssen.
Münchenberg: Nun gab es ja ziemlich viel Zoff zwischen Union und SPD. Da hieß es von Seiten der SPD, sie sei nur fürs Bezahlen da, für die Finanzierung, und die Union stehe für die Wohltaten. Das hat Ihr Parteichef Beck gesagt. Ist das eine Rollenverteilung, der Sie auch zustimmen würden?
Steinbrück: Ja, ich habe den Eindruck, dass auch in der Bewertung der Ereignisse ein bisschen Ursache und Wirkung aus den Augen verloren ist. Die Ursache ist gewesen, dass einige Vertreter, auch ein Kabinettsmitglied der CSU, der Öffentlichkeit wenn Sie so wollen Goodies, Bonbons, Pralinés in Aussicht gestellt hat. Insbesondere auch mit Blick auf die Erbschaftssteuer und mit Blick auch auf das Thema von möglichen Steuersenkungen. Und das bedeutet natürlich, dass die SPD in einer Art Ecke steht nach dem Motto: Und wir sollen uns jetzt verweigern. Das heißt, wir sind die Bösen, wir sind die Deppen, die den deutschen Bürgerinnen und Bürgern verweigern, in den Genuss von Steuersenkungen zu kommen. Das lässt man sich nicht so gerne gefallen. Und da kam dann noch eine weitere Komponente, wo immerhin einem zugestimmten Konzept der Unternehmenssteuerreform auch noch einmal mit einem Fragezeichen begegnet wurde. Das heißt, da muss man dann damit rechnen, dass es Reaktionen gibt. Und diese Reaktionen von der SPD sind gekommen, Man darf sich nicht darüber wundern. Wir haben sie nicht ausgelöst, sondern es ist ausgelöst worden durch Vorstöße, die so nicht abgestimmt gewesen sind und erkennbar auch nicht mehrheitsfähig in dieser Regierung.
Münchenberg: Sie haben die Erbschaftssteuer gerade angesprochen. Manche in der Union haben ihre Abschaffung gefordert. Die SPD-Spitze wiederum hat ein Junktim hergestellt zwischen Erbschafts- und Unternehmensteuerreform. Ist das auch Ihre Position?
Steinbrück: Ja. Wir sind da ein bisschen, wenn Sie so wollen, etwas nicht bösgläubig geworden, aber diese Einlassung von Teilen hat uns überrascht. Auf der anderen Seite ist im Koalitionsausschuss nun klargestellt worden, dass das Thema Erbschaftssteuer erledigt ist. Es wird zu einer Überarbeitung der Erbschaftssteuer kommen, auch kommen müssen, weil das Bundesverfassungsgericht uns dies als Aufgabe auf den Tisch gelegt hat. Ich erinnere daran, dass diese Bundesregierung ja eine Reihe von Zumutungen verteilt hat an die große Masse der Bürgerinnen und Bürger. Die Mehrwertsteuer gehört dazu, die Kürzung der Entfernungspauschale, des Arbeitnehmersparerfreibetrages. Dann, finde ich, ist es eine Frage der sozialen Balance, der sozialen Proportion, nicht jemandem zu versprechen, dass hohe Erbschaften plötzlich völlig von der Steuer befreit sind. Ich bin der Auffassung, dass hohe Erbschaften zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden sollen. Ich rede nicht von Oma ihr Häuschen oder der Eigentumswohnung, die von Eltern auf Kinder übertragen werden soll.
Münchenberg: Diese Forderung lehnt die Union ja ab. Trotzdem soll bis Sommer ein Kompromiss gefunden werden. Das hört sich nicht gerade einfach an ... .
Steinbrück: Nein, das wird gelingen. Da würde ich eine Wette darauf machen, denn wir stehen in dem Obligo, die Bewertungsmaßstäbe zu überarbeiten. Das gibt das Bundesverfassungsgericht vor. Wir haben bereits als Bundesregierung beschlossen, also das ist ja nicht ganz unverbindlich. Dass die Vererbung von betrieblichem Vermögen freigestellt werden soll nach zehn Jahren - also zehn Jahre Stundung und dann Erlass einer Steuerschuld, einfach um Nachfolgeregelungen zu erleichtern und den Mittelstand zu stärken. Und alle sind gut beraten, jetzt zügig, will sagen ohne schuldhaftes Zögern daran zu arbeiten, dass wir dort ein neues Erbschaftssteuerkonzept dann vorlegen und verabschieden können. Im übrigen ist es eine reine Ländersteuer. Ich freue mich, dass die Länder im Bundesrat eine einschlägige Resolution gefasst haben, im März, die diesen Arbeitsweg vorzeichnet.
Münchenberg: Stichwort Unternehmenssteuerreform. Die ist derzeit im parlamentarischen Verfahren. Und gerade auch innerhalb der SPD-Fraktion gibt es sehr starke Vorbehalte gegen diese Reform. Es geht um Entlastungen für die Unternehmen in der Größenordnung von 5 Milliarden Euro. Sehen Sie trotzdem, dass diese Reform parlamentarisch verabschiedet wird?
Steinbrück: Ja. Der jetzige Termin, der in Aussicht genommen wurde, ist bereits Ende Mai. Die letzten Abstimmungsprozesse zwischen Union und SPD-Bundestagsfraktion laufen in diesen Tagen. Natürlich gibt es Kritik von unterschiedlichen Seiten. Diese Kritik neutralisiert sich allerdings. Die einen wollen mehr, die anderen wollen weniger. Die einen wollen bei bestimmten Instrumenten noch drauflegen, die anderen wollen bei bestimmten Instrumenten noch Weichzeichner hineinbringen. Ich sage voraus, dass die Blaupause, die in einer politischen Arbeitsgruppe entwickelt worden ist, ziemlich lupenrein verabschiedet wird. Da wird es vielleicht einige Nachjustierung geben, aber sagen wir mal, die Blaupause in ihren Grundorientierungen wird, wie ich glaube, eine klare parlamentarische Mehrheit finden.
Münchenberg: Herr Steinbrück, vieles von den selbstgesteckten Zielen hat die Koalition ja tatsächlich erreicht, oft - muss man sagen - auf dem kleinstmöglichen Nenner. Außer Unternehmenssteuerreform und der Erbschaftssteuer fehlt eigentlich nur noch die Pflegeversicherung. Was kommt danach? Wo liegen aus Sicht des Finanzministers noch wichtige Prioritäten, oder ist man letztlich dann doch längst im Bundestagswahlkampf?
Steinbrück: Nein. Ich rate auch dazu, nicht vorzeitig in diesen Taumel einer Wahlauseinandersetzung hinein zu fallen. Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland erwarten, dass wir kompetent Politik machen, dass wir Probleme lösen. Das gelingt gelegentlich besser, manchmal gelingt es auch schlechter. Da kann man drüber streiten. Aber eine große Koalition steht in der Pflicht, ihre Hausaufgaben zu machen. Und ich finde, das sollen wir so professionell und unaufgeregt wie irgend möglich tun. Sonst verlieren wir hier noch weiteren Zuspruch und Vertrauen in die Lösungsfähigkeit der Politik. Im übrigen kann ich das nicht nachvollziehen, dass gesagt wird, diese große Koalition hätte für die zweite Hälfte der Legislatur keine Aufgaben mehr. Denken Sie an die wichtige Debatte, bezogen auf den Föderalismus mit erheblichen Auswirkungen für die Finanzbeziehung von Bund und Ländern. Die Pflegeversicherung haben Sie schon genannt. Ich glaube, dass es eine ganze Reihe von anderen Punkten gibt, insbesondere mit Blick auf die Frage: Wie kommen wir stärker zu Zukunftsinvestitionen in diesem Land, die dafür Sorge tragen, dass wir das Wohlstandsniveau einigermaßen halten können, und dass wir das Ausmaß und das Niveau sozialer Wohlfahrt vor dem Hintergrund des demografischen Drucks ebenfalls einigermaßen aufrecht erhalten können.
Münchenberg: Trotzdem, das Klima in der Koalition ist gereizt. Es hagelt Vorwürfe, es gibt Unterstellungen. Bei den anstehenden Einzeletatverhandlungen jetzt im Haushalt 2008 mit diesen fantastischen Zahlen im Hintergrund - wird das die Verhandlungen eher erschweren oder vielleicht auch ein bisschen die Stimmung anheben?
Steinbrück: Nein. Ich rate auch dazu, manche Tonlagen, und mögen sie auch schrill sein, nicht gleich zu bewerten als Gesamtzustand der Koalition. Im übrigen, es muss auch möglich sein, in der politischen Auseinandersetzung sich gelegentlich abzugrenzen, auch in einer Koalition. Und nicht jede Auseinandersetzung, nicht jedes Ringen um eine Lösung, ist gleich ein Riesenzoff und eine fundamentale Infragestellung der Koalition. Da habe ich gelegentlich den Eindruck, dass auch im Konkurrenzdruck von Medien manches hochgejazzt und aufgepeppt wird. Was teilweise dann auch Beine bekommt, fast eine Art sich selbst erfüllende Prophezeiung darstellen soll. Die Chefgespräche werden professionell geführt werden müssen, wie ich hoffe auch in der Erkenntnis, dass es nur sehr geringe Spielräume gibt mit Blick auf die Bedienung von Schwerpunkten, jedenfalls weit entfernt von dem, was in einem gewissen Ritualverhalten Ministerialapparate dann bisher gemeldet haben.