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Die Stadt als Kunstwerk

Unter dem Namen "City Leaks" hat sich Köln zwei Wochen lang der sogenannten Urban Art gewidmet - ein Oberbegriff, der sowohl das klassische Graffiti einschließt, aber auch das Verzieren von Wänden mit Papierfiguren und -logos. Beide Kunstformen begeistern ihre Betrachter, werfen aber auch Fragen auf.

Von Axel Rahmlow | 26.09.2011
    "Ich finde, das ist irgendwie Kunst, mehr kann ich dazu ehrlich gesagt nicht sagen."

    Der junge Mann schaut etwas ungläubig auf eine alte, graue Mauer im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Ein Künstler hat die zerbröckelten Ecken mit bunten Legosteinen wieder aufgefüllt. Eine visuelle Oase, wie John Iven, einer der Organisatoren des City-Leak-Festivals sagen würde: Ein kleines und doch lautstarkes Ausrufezeichen einer jungen Kunstrichtung.

    "Wir versuchen auch Grenzlinien aufzuzeigen und fragen was passiert, wenn der Betrachter die überschreitet. Wenn man provoziert wird, fängt man ja auch an nachzudenken."

    Deshalb hat eine bemalte Hauswand, so groß wie ein halber Tennisplatz, für einige Aufregung in der Stadt gesorgt. Eine Krake kontrolliert mit ihren Tentakeln zentrale Institutionen der Gesellschaft. Die Polizei, die Justiz, die Medien - alle unterdrücken das Bunte, Lebendige, Andere. Und darüber thront der Papst, direkt neben Adolf Hitler. Bei den Anwohnern ruft das geteilte Reaktionen hervor.

    "Ich find das geschmacklos. Wenn man sich das anschaut, ich finde das nicht schön."

    "Es verschönert die Wand und ich mag auch den Gesamtkontext, dass die Wände verschönert werden. Für Kinder weiß ich nicht, könnte schwierig werden."

    "Ich finde es provokativ, aber man müsste es nicht wegmachen."

    Öffentlichen Raum für sich beanspruchen, der omnipräsenten Werbewirtschaft Flächen streitig machen, Diskussionen anregen - die sehr gut besuchten Führungen durch die Stadt haben gezeigt: Die Kölner, egal welchen Alters, wollen sich mit den Anliegen der Urban Art auseinandersetzen. Das wurde auch in geschlossen Räumen deutlich.

    Vor dem Altar der Herz-Jesu-Kirche im Zentrum Kölns sind zwei CD-Spieler, ein Mischpult und ein Keyboard aufgebaut. Rund 200 nicht nur junge Zuschauer warten auf Jim Avignon. Der Deutsche gehört zu den weltweit renommiertesten Künstler der urbanen Kunst. Die Kirche ist nicht nur der Ort seiner City-Leaks-Ausstellung. Heute ist sie auch Kino- und Konzertsaal in einem.

    "Berlin - Die Symphonie einer Großstadt" heißt der Stummfilm aus den 20ern, den Jim Avignon live neu vertont. Die Bilder zeigen die Hektik und Probleme einer Metropole: Autos und Pferdekarren drängen durch verstopfte Straßen, Menschen eilen zur Arbeit. Reiche Damen entspannen sich in Cafés, arme Kinder suchen im Müll nach Essbarem. Die elektronische Musik baut für die Besucher eine Brücke ins Hier und Jetzt.

    "Man sieht, das die Themen die selben sind. Lärm. Dampf. Der Film greift das Thema der Stadt auf, als ein Moloch, als Krake, die sich ausbreiten will."

    Der Abend sollte deutlich machen: Die Stadt ist nicht nur der Ort, sondern auch der Inhalt der urbanen Kunst. Doch hier liegt für den Protagonisten des Abends, Jim Avignon, auch ein innerer Widerspruch.

    "In den meisten Fällen scheitern die Versuche, Street Art in die Kunsträume zu holen, urbane Kunst funktioniert meist nur in der Kommunikation mit der Stadt."

    Für Kritiker ist Urban Art ein theoretischer Begriff, entwickelt um Kunst die auf die Straße gehört, in Galerien zu vermarkten. Auch Teile der Graffiti-Szene, für die illegales Sprühen ein wichtiger Teil der eigenen Identität ist, schauen skeptisch auf das organisierte Bemalen von Wänden. Daher war die Frage nach der Selbstdefinition eines der großen Themen beim abschließenden Symposium in einer kleinen Bar mit Wohnzimmeratmosphäre. Während es sich die Zuhörer in Sofas bequem machten, diskutierten Experten wie der Soziologe Sascha Schierz und der Künstler Allan Gretzki.

    "Man kann jetzt nicht sagen, die Graffiti-Szene oder die Street-Art-Szene. Es ist alles Urban Art, das ist der Begriff, auf den man sich momentan einigen kann. Die entscheidende Frage ist, wie kommerziell darf etwas werden, aus der Sicht der Szene und aus der Sicht der Konsumenten? Und wir müssen als aktive Szene den Spagat wagen."

    Wie zum Beispiel in einem alten Schutzbunker aus dem zweiten Weltkrieg, versteckt in einer engen Straße zwischen Wohnhäusern. Von der niedrigen Decke hängt ein leuchtendes Affengerippe mit weit offenem Maul, aus dem würmerartige, neonfarbene Würmer quellen. Auf mannshohen Pappkartons direkt daneben starren schwarz-weiße, blockförmige Gesichter die Besucher an.

    Besucher:

    "Ich finde es interessant, dass es über normale Street Art hinausgeht, auch Dinge, die man auf der Straße nicht sehen würde."

    "Ich bin in Köln groß geworden und hab den Krieg miterlebt, im Keller und auch einmal in so einem Bunker, für mich ist das hier irgendwie sehr bedrückend."

    Die beklemmende Umgebung verstärkt die Aussage des Inhalts. Hier funktioniert ein Stück Stadt gleichzeitig als Inspirationsquelle der urbanen Kunst - und als ihre Galerie und Verkaufsfläche. An diesem Ort ist der Spagat gelungen.