Es ist Nacht in Glasgow, Geisterstunde. Man blickt auf einen Friedhof, und dahinter steht ein unheimlich erleuchtetes Hochhaus. Es ist gespenstisch still, und eine Zeitlang geschieht gar nichts. Dann plötzlich sackt der riesige Plattenbau in sich zusammen. Eine lautlose Explosion bringt ihn in kaum einer Sekunde zum Einsturz. An seiner Stelle wächst eine gewaltige Staubwolke, breitet sich aus, verschlingt den Friedhof und die gesamte Umgebung, bis nur noch schattenhaft einige Bäume am Rand zu sehen sind. Doch diese Mini-Apokalypse vom Abriss der Plattenbaumoderne, die der junge Franzose Cyprien Gaillard in seinem Video inszeniert, sie wäre nicht vollständig ohne Gottes Erscheinung am Ende der Zeiten. Mitten im schwärzesten Rauch der Trümmerwolke leuchtet plötzlich eine Epiphanie auf, ein neues Bild. Es breitet sich immer weiter aus und nimmt schließlich die ganze Leinwand ein. Es zeigt die Niagara-Fälle in traumartigen, majestätischen Grün- und Blautönen. Lautlos, erhaben ergießen sich die unendlichen Wassermassen von den Felsen, Symbol nicht nur des ewigen Lebens, sondern vor allem auch des Sieges der Natur über die Sünden des sozialen Wohnungsbaus.
Wem das jetzt ein wenig schräg anmutet, sei gesagt, dass hinter alldem Schrägen durchaus Methode steckt. Denn diese gesamte Ausstellung im Museum Fridericianum steht, um es vorwegzunehmen, unter mittelschwerem Kitschverdacht. Die vier beteiligten Künstler erweisen sich allesamt als mehr oder weniger verkappte Romantiker.
Cyprien Gaillard ist zweifellos noch der ästhetisch Versierteste unter ihnen. Seine Videos üben starke sinnliche Verlockungen aus. Und in seinen Installationen beweist der Franzose eine große Begabung für komplexe Kompositionen, die zugleich wie schlichte klare Ornamente gegliedert sind. So hat er 100 kleine Vitrinen in langer Reihe in einen Saal gestellt. In jeder Vitrine liegen neun zu einer Rhombusform angeordnete Polaroid-Fotos. Sie zeigen meist Stätten des Verfalls. Plattenbausiedlungen, Fabrikgebäude, Bunkeranlagen oder futuristische Ferienbungalows aus aller Welt, die aufgegeben wurden und allmählich in den Staub sinken, eine leise und langsame Apokalypse. Und auch hier bildet, um einen hochaktuellen Begriff zu verwenden, der Sieg der Natur sozusagen die Abwrackprämie für die gebaute Moderne.
Der Niederländer Marc Bijl geht im Erdgeschoss ungleich robuster vor. Der einstige Bassist der Gothic Rock Band "Götterdämmerung" besprüht die Wände mit Graffiti, in denen er Walter Benjamin oder Sol LeWitt zitiert, formt Werke der klassischen Moderne von Piet Mondrian bis Barnett Newman als Teer- und Spiegelskulpturen nach oder bringt sie mit Sprühschablonen an die Wand und umgibt sie mit Baustellensymbolik aus Wellblech und nebelwerfenden Gullis, um vielleicht am Ende doch noch so etwas wie ein rebellisches Karma der Moderne zu beschwören.
Die Schwedin Klara Lidén enttarnt den einst ach so meditativen "White Cube" des Museumsraums als banale und flüchtige Konstruktion aus Bauplatten und Ständerwerk. Und dann ist da noch der Altmeister der gruppendynamischen Kunst, der Thailänder Rirkrit Tiravanija, der in das erste Geschoss der Museumsrotunde den Schriftzug "Less Oil More Courage" – "Weniger Öl Mehr Mut" angebracht hat – so etwas wie das Wort zum Sonntag angesichts von Finanz- und Klimakrise.
Im Herbst des vergangenen Jahres hat Rein Wolfs das Kasseler Museum Fridericianum als neuer Direktor übernommen, und es ist zu spüren, dass er dieses altehrwürdige Haus zu einem von der documenta unabhängigen Ort aktueller politischer und sozialer Debatten machen möchte. Und das tut diesem Museum gut.
Diese Ausstellung freilich wirkt unfreiwillig schon überholt, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Die künstlerische Abrechnung mit der Moderne war schon auf der letzten documenta kein ganz so taufrisches Thema mehr. Und aus den "Relational Aesthetics", jenen hippen sozialen Kunstformen aus der Umbruchzeit der neunziger Jahre, als sich Galerien in Clubs verwandelten, sind inzwischen ziemlich flaue Stilübungen von Berufsromantikern geworden – nur noch ein Abglanz von Frische, und somit eigentlich schon Mode.
Wem das jetzt ein wenig schräg anmutet, sei gesagt, dass hinter alldem Schrägen durchaus Methode steckt. Denn diese gesamte Ausstellung im Museum Fridericianum steht, um es vorwegzunehmen, unter mittelschwerem Kitschverdacht. Die vier beteiligten Künstler erweisen sich allesamt als mehr oder weniger verkappte Romantiker.
Cyprien Gaillard ist zweifellos noch der ästhetisch Versierteste unter ihnen. Seine Videos üben starke sinnliche Verlockungen aus. Und in seinen Installationen beweist der Franzose eine große Begabung für komplexe Kompositionen, die zugleich wie schlichte klare Ornamente gegliedert sind. So hat er 100 kleine Vitrinen in langer Reihe in einen Saal gestellt. In jeder Vitrine liegen neun zu einer Rhombusform angeordnete Polaroid-Fotos. Sie zeigen meist Stätten des Verfalls. Plattenbausiedlungen, Fabrikgebäude, Bunkeranlagen oder futuristische Ferienbungalows aus aller Welt, die aufgegeben wurden und allmählich in den Staub sinken, eine leise und langsame Apokalypse. Und auch hier bildet, um einen hochaktuellen Begriff zu verwenden, der Sieg der Natur sozusagen die Abwrackprämie für die gebaute Moderne.
Der Niederländer Marc Bijl geht im Erdgeschoss ungleich robuster vor. Der einstige Bassist der Gothic Rock Band "Götterdämmerung" besprüht die Wände mit Graffiti, in denen er Walter Benjamin oder Sol LeWitt zitiert, formt Werke der klassischen Moderne von Piet Mondrian bis Barnett Newman als Teer- und Spiegelskulpturen nach oder bringt sie mit Sprühschablonen an die Wand und umgibt sie mit Baustellensymbolik aus Wellblech und nebelwerfenden Gullis, um vielleicht am Ende doch noch so etwas wie ein rebellisches Karma der Moderne zu beschwören.
Die Schwedin Klara Lidén enttarnt den einst ach so meditativen "White Cube" des Museumsraums als banale und flüchtige Konstruktion aus Bauplatten und Ständerwerk. Und dann ist da noch der Altmeister der gruppendynamischen Kunst, der Thailänder Rirkrit Tiravanija, der in das erste Geschoss der Museumsrotunde den Schriftzug "Less Oil More Courage" – "Weniger Öl Mehr Mut" angebracht hat – so etwas wie das Wort zum Sonntag angesichts von Finanz- und Klimakrise.
Im Herbst des vergangenen Jahres hat Rein Wolfs das Kasseler Museum Fridericianum als neuer Direktor übernommen, und es ist zu spüren, dass er dieses altehrwürdige Haus zu einem von der documenta unabhängigen Ort aktueller politischer und sozialer Debatten machen möchte. Und das tut diesem Museum gut.
Diese Ausstellung freilich wirkt unfreiwillig schon überholt, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Die künstlerische Abrechnung mit der Moderne war schon auf der letzten documenta kein ganz so taufrisches Thema mehr. Und aus den "Relational Aesthetics", jenen hippen sozialen Kunstformen aus der Umbruchzeit der neunziger Jahre, als sich Galerien in Clubs verwandelten, sind inzwischen ziemlich flaue Stilübungen von Berufsromantikern geworden – nur noch ein Abglanz von Frische, und somit eigentlich schon Mode.